Karriere im Vertrieb:Überzeugen auf einer Fahrstuhlfahrt

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Mit dem Staubsaugervertreter, der von Tür zu Tür geht, hat ein Job im Außendienst heute wenig zu tun.

(Foto: imago/Science Photo Library)

Produkte anpreisen, Kunden überreden: Außendienstler im Vertrieb haben keinen guten Ruf. Quereinsteiger und Trainer erzählen, was sie wirklich vorher lernen.

Von Sigrid Rautenberg

Ein Job im Außendienst? Daniela Althaus zögerte lange. Eigentlich hatte sie sich bei ihrem jetzigen Arbeitgeber auf ein andere Stelle beworben. Doch dann bot man der Mediengestalterin an, als Außendienstlerin einzusteigen. Schließlich sagte die 44-Jährige zu. "Dabei hatte ich keine Vorstellung von Vertrieb", sagt sie. Seit knapp zwei Jahren arbeitet die Quereinsteigerin nun für die MIK-Center GmbH in Berlin und Erfurt.

Das Unternehmen digitalisiert analoge Daten- und Archivbestände und vertreibt Spezialscanner und Software, mit denen Behörden, Hochschulen oder Museen ihre Dokumente selbst scannen und archivieren können. Althaus recherchiert Interessenten, vereinbart Besuchstermine und stellt die Produkte vor. Regelmäßig besucht sie ihre Bestandskunden. Was jedoch die Ansprache neuer Kunden angeht, fühlt sie sich immer noch unsicher. Daher hat ihr die Firma einen zweitägigen Kurs beim Seminar-Institut zum Thema "Professioneller Außendienst" spendiert.

Seminarleiter Norbert Vooren ist selbst ein erfahrener Vertriebler. Er erzählt von alten Zeiten, in denen Außendienstler noch als einsame Cowboys ihre Kunden abklapperten und ihnen aus dem Bauch heraus alles Mögliche verkauften. Aber die Märkte haben sich verändert, Preise und Leistungen sind durch die Digitalisierung transparenter. Heute kann jeder alles von vielen Anbietern kaufen und Preise vergleichen. "Die Macht", sagt Vooren, "ist vom Verkäufer auf den Kunden übergegangen. Deshalb muss der Verkäufer sich umso mehr um den Kunden bemühen."

"Kunden kaufen Produkte, die sie brauchen, bei Verkäufern, die sie mögen."

Die Kernkompetenz von Außendienstmitarbeitern ist die Kommunikation mit den Kunden. Doch nicht jeder ist ein geborener Verkäufer und trifft intuitiv den richtigen Ton. "Man muss sich bewusst machen, dass Kommunikation immer auf der Sachebene und gleichzeitig auf der emotionalen Beziehungsebene stattfindet", sagt Vooren. "Aber die Beziehungsebene dominiert." Sein Leitsatz: "Kunden kaufen Produkte, die sie brauchen, bei Verkäufern, die sie mögen." Er empfiehlt, immer die Beziehungsebene im Blick zu behalten.

Zwar hält Daniela Althaus sich durchaus für empathisch und sensibel genug, um auf unterschiedliche Charaktere einzugehen. Aber sie glaubt nicht, dass sie steuern kann, ob jemand sie nett findet. Der Trainer widerspricht: "Das ist ganz einfach - lächeln Sie! Das ist eine unheimlich starke Waffe." Er zitiert ein chinesisches Sprichwort: Wer nicht lächeln kann, soll kein Geschäft eröffnen.

Viele Seminarteilnehmer, erzählt Vooren, verlangten nach rhetorischen Kniffen und Tricks, um Kunden zu beeinflussen. Davon hält er nichts, das wirke schnell wie Manipulation. Vertriebler sollten versuchen, die oft versteckten Bedürfnisse ihres Ansprechpartners herauszufinden, den Kunden schlicht und einfach zu verstehen. Zuhören, statt mit Informationen zu überschütten. Mit positiver Grundhaltung auf sein Gegenüber zugehen. Fragen stellen und Antworten abwarten. Um dann passende Leistung anbieten zu können.

"Blöde Rhetorik aus Lehrbüchern hilft nichts", findet auch Kerstin Stocker. Auch sie ist neu im Vertriebsaußendienst und hat sich auf eigene Initiative hin coachen lassen, noch bevor sie ihre Stelle bei Orthomol antrat. Das Unternehmen stellt Nahrungsergänzungsmittel her, die vor allem in Apotheken verkauft werden. Wie Althaus ist sie Quereinsteigerin. Als Industriekauffrau und pharmazeutisch-technische Assistentin stand Stocker jahrelang in der Apotheke hinter dem Tresen. Der Seitenwechsel reizte sie, irgendwann sprach sie die Orthomol-Außendienstlerin an.

Keine Angst vor Ablehnung

Schon kurze Zeit darauf betreute die 34-Jährige in Süddeutschland einen eigenen Kundenstamm. Aus dem Home-Office in ihrer bayerischen Heimatstadt heraus kontaktiert sie Bestands- und Neukunden, vereinbart Termine, legt ihre Route fest und fährt los. Ihr Arbeitgeber hat seinen Sitz im Rheinland, für viele Außendienstler ist das heimische Büro die Basis. Die zweifache Mutter schätzt den großen Freiraum. Von ihrem Arbeitgeber bekommt sie lediglich Vorgaben für die tägliche Besuchsfrequenz in Apotheken und bei Ärzten.

Der Trainer stellte Stocker erst einmal vor die Kamera, um sich und ihre Produkte kurz zu präsentieren. Die Übung heißt "Elevator Pitch", also Präsentation im Aufzug. Sie stammt aus den USA, wo Mitarbeiter in der Aufzugfahrt mit ihrem obersten Boss die einzige Chance sahen, ihn von einer innovativen Idee zu begeistern. Auch wer als Vertriebler potenzielle Kunden anruft, hat nicht länger Zeit, um Interesse für sein Anliegen zu wecken.

Kaum ein Seminar für Vertriebler kommt ohne Elevator Pitch aus. Die Teilnehmer üben, wie sie dem häufig von vielen Verkaufsanrufen genervten Gesprächspartner in aller Kürze sagen, dass sie möglicherweise gute Lösungen für seine Anforderungen zu bieten haben. Viele beißen sich die Zähne daran aus. Aber Kerstin Stocker findet die Übung "fantastisch". Denn: "Du musst dich aufs Wesentliche konzentrieren." Sie liebt die Herausforderungen, Angst vor Ablehnung hat sie nicht.

Dass der Vertriebsjob sogar zur persönlichen Herausforderung werden kann, findet Silja Dietschmann. Sie arbeitet seit etwa sechs Monaten für die Huttenlocher GmbH. Das schwäbische Unternehmen verkauft als Großhändler Verpackungen aus Glas und Kunststoff wie Flaschen, Dosen und Tiegel unter anderem an Kosmetikbranche und Pharmazie. Die 39-jährige Dietschmann ist ausgebildete Kauffrau im Groß- und Außenhandel, Yogalehrerin, hat Deutsch und Englisch auf Lehramt studiert und arbeitete zuvor im Einzelhandel. Ihre Chefs setzen großes Vertrauen in ihre Persönlichkeit. Letztlich, hat Dietschmann im Nachhinein erfahren, war dies auch der ausschlaggebende Faktor für ihre Einstellung.

"Wer sind Sie denn überhaupt"

Um das Unternehmen kennenzulernen, arbeitete sie sich zunächst einige Wochen in die Abläufe im Innendienst ein, besuchte Messen, fuhr gemeinsam mit ihrem Vertriebsleiter zu Kundenbesuchen. Mittlerweile ist sie alleine unterwegs, bis zu zwölf Reisetage im Monat sind für ihr Gebiet in West- und Norddeutschland vorgesehen. Auch sie übte im Seminar den Elevator Pitch in 60 Sekunden vor der Kamera, schrieb Textbausteine für die unterschiedlichen Kundengruppen und trainierte Antworten für schwierige Telefonate, in denen Kunden sie schon mal mit "Wer sind Sie denn überhaupt" abkanzeln. Die wichtigste Erkenntnis für Dietschmann: "Im Verkauf wird viel über Sympathie und Vertrauen entschieden. Ich kann noch so gut vor- und nachbereiten, aber am Ende muss ich dem Kunden zuhören, und die Chemie muss stimmen."

Einen erfolgsabhängigen Gehaltsbestandteil bekommt Dietschmann übrigens nicht. Darüber ist sie froh. Viele Vertriebsmitarbeiter sehen das genauso, gerade wenn das Sicherheitsbedürfnis hoch ist. Auch Trainer Norbert Vooren kann das bestätigen: "Geld ist für die meisten Menschen nicht der ausschlaggebende motivierende Faktor. Auf viele wirken Vorgaben wie die Anzahl der Telefonate, der Termine oder Abschlüsse eher demotivierend."

Was ist es dann, was Dietschmann motiviert? "Ich liebe die Begegnungen mit Menschen, die täglichen neuen Anforderungen und die Freiheit, die in diesem Job steckt." Daniela Althaus bewertet ihre Aufgabe ähnlich: "Im Vertrieb ist Unvoreingenommenheit enorm wichtig. Ich habe oft sehr interessante Menschen kennengelernt, die ich anfänglich gar nicht so eingeschätzt hätte." Aus ihrem anfänglichen Zögern ist echte Begeisterung geworden: "Für Menschen, die gern beweglich sind, selbständig arbeiten wollen, offen und neugierig auch über den Tellerrand blicken, ist Vertrieb eine gute Möglichkeit, um berufliche Erfüllung zu finden." Die drei Quereinsteigerinnen haben sie auf jeden Fall gefunden.

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