Verhasstes Großraumbüro:Wie in einer Bahnhofshalle

Trotz aller Beschwerden der Angestellten bleiben Großraumbüros weiter Standard. Die Beschäftigten leiden nicht nur unter Trubel und Temperatur.

Joachim Göres

Die Versicherungsgruppe Hannover, kurz VGH, ist Niedersachsens größte Assekuranz. Im vergangenen Jahr wurden für die Zentrale in Hannover drei neue Gebäude mit einer Bürofläche von 28.500 Quadratmetern fertiggestellt, so dass nun alle etwa 1600 Mitarbeiter an einem Standort arbeiten. Das soll die Zusammenarbeit und Kommunikation im Konzern erleichtern. Zur Konzeption der Büroarbeitsplätze schreibt die VGH-Pressestelle: "Transparent aus Glas und Aluminium konstruiert, bilden helle, offene Räume für vier bis 14 Mitarbeiter die Teamstruktur und Kommunikationskultur des Versicherers optimal ab."

Großraumbüro

Großraumbüros sind weiterhin Standard. Auch wenn sich viele Angestellte nach einem Einzelbüro sehnen.

(Foto: dpa)

Ein Jahr ist die Eröffnung her, seitdem wurde manches geändert. "Es gab von den Mitarbeitern Beschwerden ohne Ende, das ging bis zum Personalrat. Der offene Bereich lag direkt am Fahrstuhl, was zu Unruhe durch den permanenten Strom von Menschen führte", sagt Architektin Ulrike Härke, bei der VGH zuständig für die Projektsteuerung beim Neubau. Wände wurden nachträglich eingezogen, um den Lärmpegel zu senken. Auf die Fensterscheiben zum Flur wurden Folien als Sichtschutz geklebt - Mitarbeiter hatten darauf gedrungen, um nicht permanent den Blicken von Außenstehenden ausgesetzt zu sein.

Der Lärm in den Großraumbüros bleibt ein Problem, das permanente Telefonklingeln wird als störend empfunden. "Man kann nachträglich keine Akustikpaneele einhängen, denn das würde die Kühlung beeinträchtigen", sagt Härke. Die VGH hatte auf eine künstliche Be- und Entlüftung verzichtet und sich statt dessen für wassergekühlte Leitungen in der Decke entschieden.

Die Vorstellungen der Arbeitgeber und der von ihnen beauftragten Architekten darüber, wie die 17 Millionen Büroarbeitsplätze in Deutschland idealerweise aussehen sollen, haben nicht unbedingt etwas mit den Wünschen der Betroffenen zu tun. Das stellt Silke Stadler von der Beratungsfirma Officekoncept aus München immer wieder fest. Die Architektin hat 2007 im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung im Raum München Büromitarbeiter von drei großen IT-Konzernen nach ihren Erfahrungen befragt. 86 Prozent der Befragten arbeiteten in Großraumbüros mit mindestens einem Dutzend Beschäftigten. Die Unternehmen hatten ihre Büroarbeitsplätze vor einiger Zeit umgestaltet und kleine Büros zugunsten von größeren Einheiten zusammengelegt.

Fehlende Rückzugsräume

43 Prozent der befragten Mitarbeiter bestätigen, dass durch die Umgestaltung tatsächlich mehr miteinander gesprochen werde, 48 Prozent sehen keinen Unterschied zu früher. Die fachliche Kommunikation untereinander fördern - dies wird immer wieder als Grund für die Zusammenlegung von Büros genannt. Für nur 20 Prozent steigt dadurch die Arbeitseffizienz, 36 Prozent halten dagegen ihre Arbeit im Großraumbüro für weniger effizient als früher. Stadler wundert diese sehr unterschiedliche Bewertung nicht: "Die Kommunikationsbedürfnisse sind je nach Tätigkeit verschieden. Für das Marketing und den Vertrieb ist enger Kontakt wichtig, die Buchhaltung braucht mehr Ruhe, um konzentriert rechnen zu können. Es muss nicht jeder mit jedem reden können."

Lärm und Ablenkung werden von mehr als einem Drittel der Mitarbeiter im Großraumbüro als sehr störend und von weiteren etwa 40 Prozent als störend empfunden. Dazu gehören ständiger Durchgangsverkehr, laute Gespräche, Telefonklingeln und Telefonate am Nachbartisch, zu wenig Rückzugsbereiche und ein Niedergang der Umgangskultur: Auf den Einzelnen werde immer weniger geachtet.

"We're trying to work here. Keep quiet, please! Bitte leise sein!" Mit diesem Schild versucht eine Abteilung eines internationalen IT-Konzerns die Kollegen zu mehr Rücksicht zu bewegen. "Hier geht es zu wie in einer Bahnhofshalle", lautet das Urteil eines Befragten. Dazu kommt Kritik an den Lichtverhältnissen oder an den von Klimaanlagen geregelten Bürotemperaturen. Dem einen ist es zu warm, dem anderen zu kalt.

"Der Trend zurück zu den Großraumbüros setzt sich durch, deswegen ist ein gutes Konzept bei der Umsetzung von wesentlicher Bedeutung. Bislang wurden Mitarbeiter meist nur gefragt, wie viel Platz sie brauchen, aber ihre Wünsche bei der Umgestaltung werden kaum berücksichtigt", sagt Stadler. Sie sieht derzeit vor allem zwei Entwicklungen: Zunehmen würden die "open offices", offene Bürolandschaften mit einer Größe von bis zu 400 Quadratmetern, in denen sich auch Rückzugsräume, Besprechungszonen und informelle Treffpunkte mit Couch und Kaffeeautomaten befinden. Dieses Modell spare Platz und Kosten gegenüber Einzelbüros. "Wichtig ist hier, dass es genügend Rückzugsbereiche gibt und sie für jeden Mitarbeiter offenstehen. In einigen Unternehmen sind sie nur für Angestellte höherer Hierarchien zugänglich", so Stadler.

Wer zuerst kommt, bekommt den besten Platz

Eine zweite Tendenz sei das "desk sharing", bei dem es keine festen Arbeitsplätze mehr gibt, sondern sich jeder im Großraumbüro seinen Platz sucht. Hintergrund ist die Reduzierung der vollzeitbeschäftigten Kernmannschaften zugunsten flexibel einsetzbarer Arbeitskräfte wie Teilzeitmitarbeiter oder Zeitarbeiter, die nur phasenweise einen Schreibtisch benötigen. So könne man Raum sparen und auch flexible Arbeitsplätze von unterschiedlicher Qualität anbieten.

"Man hat allerdings auch immer neue Nachbarn, und wer als Letzter kommt, kriegt den schlechtesten Platz. Das führt dazu, dass die Leute früher mit der Arbeit beginnen", sagt Stadler. Das Urteil der Beschäftigten zu diesem Modell fällt häufig negativ aus: Man kann seinen Arbeitsplatz nicht mehr persönlich gestalten, denn Fotos der Kinder oder sogar das Abstellen der Brotdose auf dem Schreibtisch sind oft verboten. Bei der VGH in Hannover sind eigene Pflanzen unerwünscht - der Arbeitgeber sorgt in den Büros selber für die Begrünung.

Ein weiteres Problem ist laut Stadler das Verhalten von Führungskräften: "Einerseits soll die informelle Kommunikation durch Treffpunkte wie den Kaffeeautomaten im Großraumbüro gestärkt werden, andererseits reagieren Vorgesetzte negativ, wenn sie Mitarbeiter dort häufig treffen oder sie über den Urlaub reden hören. Angestellte fühlen sich dann kontrolliert." Letztlich, so Stadler, stecke hinter der starken Kritik an den Großraumbüros in Deutschland auch ein kulturelles Problem: "Bei Microsoft zum Beispiel haben im weltweiten Vergleich die deutschen Mitarbeiter die meiste Bürofläche. Der Konzern will einheitliche Verhältnisse und in Deutschland die Fläche reduzieren. In den USA, England oder den Niederlanden sind Großraumbüros üblich, in denen auch die Führungskräfte sitzen. In Deutschland regt sich dagegen noch Widerstand."

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