Vergütung:Rückkehr zum Lehrgeld

Aying, Biobäckerei Fritz, Fritz Mühlenbäckerei

Gleicher Lohn: Im Bäckerhandwerk wurde die Azubi-Vergütung in Ost und West bereits angeglichen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Bei der Bezahlung von Auszubildenden gibt es gewaltige Unterschiede - je nach Beruf, Branche und Bundesland. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert: Das Lehrlingsgehalt muss zum Leben reichen.

Von Annika Grah/dpa

Einst zahlte die Familie Lehrgeld an den Meister, damit er den Lehrling bei sich aufnahm. Heute ist es umgekehrt. Ob ein Lehrling allerdings davon leben kann - das hängt stark vom Beruf ab. Denn die Unterschiede bei der Vergütung in den einzelnen Ausbildungsberufen sind gewaltig. Knapp 1400 Euro bekommt ein Maurerlehrling in Westdeutschland im dritten Lehrjahr. Ein Friseur im selben Jahr muss mit gerade mal 596 Euro auskommen. Ebenfalls groß sind die Differenzen nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (Bibb) zwischen West und Ost: Während der angehende Einzelhändler in den alten Ländern im ersten Jahr mit 733 Euro rechnen kann, sind es in Mecklenburg-Vorpommern 653 Euro. Genug, um auf eigenen Füßen zu stehen?

Nein, kritisiert die Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. "Das klassische Negativbeispiel ist ein Friseur-Azubi in Ostdeutschland, der 269 Euro bekommt. Das ist skandalös", sagt Anna Gerhardt, politische Referentin der DGB-Jugend. Ein weiteres Problem: "Es gibt nach wie vor gravierende Unterschiede zwischen männlich und weiblich dominierten Berufen." So verdient ein Gleisbauer im dritten Lehrjahr im Westen 1263 Euro, eine Medizinische Fachangestellte aber nur 790 Euro.

Gleichzeitig gibt es ein erhebliches Gefälle zwischen den Branchen. Reinhard Bispinck, Tarifexperte bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, begründet die Unterschiede mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Branchen. "Die Bezahlung hängt aber auch von der Organisationskraft der Beschäftigten ab", sagt er. In der Elektroindustrie könne die IG Metall beispielsweise mehr durchsetzen als Verdi bei den Friseuren. Ein dritter Faktor seien der Bedarf an Auszubildenden und die Beliebtheit der Branchen. "Friseure und Kfz-Mechatroniker sind sehr beliebt", sagt Bispinck. Das drückt den Preis, den Unternehmen für ihre Lehrlinge zahlen. Ein Kraftfahrzeugmechatroniker gehört selbst in der Industrie am Ende seiner Ausbildung in Westdeutschland mit etwas mehr als 900 Euro pro Monat nicht zu den Spitzenverdienern unter den Lehrlingen.

Der Umkehrschluss lässt sich nach Einschätzung der DGB-Jugend allerdings nicht beobachten: "Vor allem Branchen, die darüber klagen, keine Azubis zu finden, zahlen schlecht." Klempner beispielsweise verdienen selbst im vierten Lehrjahr in Westdeutschland nur 723 Euro, Köche liegen mit 826 Euro je Monat gerade mal im Durchschnitt. Allerdings seien bei Ausbildungsberufen mit Bewerbermangel wie etwa im Lebensmittelhandwerk überdurchschnittliche Steigerungen zu beobachten, heißt es beim Bibb.

Eine grundsätzliche Höhe für die Ausbildungsvergütung gibt der Gesetzgeber nicht vor. Die Ausbildungsvergütung müsse "angemessen" sein, erklärt Bispinck. Beim Zentralverband des Handwerks hält man das für gegeben: "Die Ausbildungsvergütung ist eine einzigartige Sache", sagt ein Sprecher. Weder für die schulische noch die Ausbildung an der Uni werde man bezahlt. Auch trügen die Auszubildenden in der Regel noch nicht zum Umsatz des Unternehmens bei. Gerade in Dienstleistungsberufen und kreativen Jobs spiele die Bezahlung für die Ausbildungswahl überhaupt keine Rolle. "Ausbildungsplätze als Goldschmied werden immer gesucht."

Im Schnitt, so errechnet das Bibb, verdiente 2015 ein Lehrling in Deutschland 826 Euro pro Monat und damit 3,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Allerdings fließen in diese Berechnung nur die tariflich gezahlten Ausbildungsvergütungen ein - laut Bibb bei etwa 89 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse. Die DGB-Jugend geht auf Basis eigener Umfragen davon aus, dass die tatsächlich gezahlten Ausbildungsvergütungen darunterliegen.

Die Gewerkschaftsjugend fordert deshalb Mindeststandards: "Es muss eine existenzsichernde Ausbildungsvergütung geben, von der ein Azubi eigenständig leben kann und die ihm eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht", sagt Gerhardt. "Das muss über allgemeinverbindliche Tarifverträge erreicht werden. Im Bäckerhandwerk beispielsweise ist uns das gelungen." Dort ist zumindest das Ost-West-Gefälle aufgehoben. Deutschlandweit bekommen Bäckerlehrlinge im dritten Lehrjahr 730 Euro je Monat.

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