Vereinbarkeit von Familie und Beruf:Kulturkampf ums Kind

Deutsche Frauen bewegen sich zwischen den Extremen "karrieregeile Rabenmutter" und "Heimchen am Herd", für Nuancen ist kaum Platz. Familienministern Ursula von der Leyen will das ändern.

Julia Bönisch

Eigentlich liegen alle wichtigen Zahlen zum Thema schon längst auf dem Tisch: Junge Frauen wollen sich nicht zwischen Karriere oder Kind entscheiden, sie wollen beides.

Berufstätige Mutter, ddp

Auf dem Spielplatz mit dem Chef telefonieren: Berufstätige Mütter bewegen sich zwischen Kind und Karriere.

(Foto: Foto: ddp)

Doch Deutschland hat eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt (nur 1,36 Kinder pro Frau); viele Frauen, die dennoch Kinder bekommen, kehren nach der Geburt nie wieder in ihren Beruf zurück (über 40 Prozent), und ein Drittel aller Paare mit einem Kind unter drei Jahren suchen einen Betreuungsplatz. Fündig werden aber nur zehn Prozent.

All diese Zahlen referiert Ursula von der Leyen an diesem Dienstag in München. Sie spricht in den Räumen der Industrie- und Handelskammer zum Thema "Familienfreundlichkeit als Standortfaktor". Im Saal sitzen Landräte, Kommunalpolitiker, Unternehmer und Personalreferenten - und junge Mütter, die sich offenbar schwer tun damit, die warmen Worte der Ministerin von der gesellschaftlichen Wende hin zu einer familienfreundlichen Politik zu glauben.

Unmöglicher Spagat

So meldet sich zum Beispiel eine junge Juristin zu Wort: Sie habe erst kürzlich ein Kind bekommen, erzählt sie, und habe nun das Gefühl, weder ihrer Rolle als Mutter noch ihrer Rolle als Anwältin gerecht werden zu können.

"Trotz vieler Versprechen meines Arbeitgebers merke ich, dass meine Karriere in dem Moment zu Ende ist, in dem ich sage: Im ganzen nächsten Jahr muss ich pünktlich gehen, weil ich meinen Sohn aus der Krippe abholen muss." Und das, obwohl sie sich nur zwei Stunden am späten Nachmittag Zeit für ihr Kind nehme - eigentlich zu wenig, wie sie findet.

Teure Kita

Auch eine junge Soziologin, die für familienfreundliche Universitäten kämpft, fordert von der Ministerin mehr Engagement ein. "Warum gibt es keine Betreuungsmöglichkeiten an Hochschulen? Keine Studentin mit Kind kann sich 260 Euro im Monat für eine Kita leisten." Auch Wissenschaftlerinnen würden auf ihrem Weg zu einer Professur jede Menge Steine in den Weg gelegt. Da sei es kein Wunder, dass gut ausgebildete junge Frauen entweder auf Kinder verzichteten oder auf die Karriere.

Die Verbindung dieser Pole ist offenbar immer noch kaum möglich, das wird im Laufe der Diskussion mit der Ministerin sehr deutlich: In Deutschland tobt ein Kulturkampf ums Kind. Frauen bewegen sich zwischen den Extremen "karrieregeile Rabenmutter" und "Heimchen am Herd", für Zwischentöne ist kaum Platz.

Und das liegt auch daran, dass der Politik lange die großen Visionen gefehlt haben, das gibt Ursula von der Leyen zu. "Wir haben versäumt, gut ausgebildeten Müttern zeitgemäße Lösungen anzubieten. Antworten aus den fünfziger und sechziger Jahren helfen aber nicht bei der Bewältigung heutiger Alltagsprobleme."

Auf der nächsten Seite: Warum Fachkräfte davon laufen, wenn Unternehmer falsche Rahmenbedingungen schaffen.

Kulturkampf ums Kind

Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung

In den vergangenen Monaten hat die Ministerin jedoch - auch gegen viele Widerstände in ihrer eigenen Partei - vieles durchgesetzt und auf den Weg gebracht, was ihren Vorgängerinnen versagt blieb: Elterngeld, Vätermonate, ab dem Jahr 2013 ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung.

Nun will sie die Wirtschaft in die Pflicht nehmen, die sich beim Thema familienbewusste Personalpolitik bislang sehr zurückgehalten hat. Viele Unternehmer stellen junge Frauen erst gar nicht ein, aus Furcht, sie würden kurz nach der Probezeit schwanger werden. Vätern, die Elternzeit in Anspruch nehmen, droht nacht ihrer Rückkehr ein Karriereknick. Denn die Auszeit sei in manchen Firmen noch immer als "Pflichtdienst an der Wiege" oder "Zwang zur Windel" verschrieen, so die Ministerin.

Betriebskindergärten, Telearbeit und Zeitkonten

Doch Firmen müssten ihren Mitarbeitern den Spagat zwischen Karriere und Privatleben erleichtern - mit flexiblen Arbeitszeiten, Betriebskindergärten, Telearbeit und Zeitkonten - schon aus Eigennutz. "Wer als Unternehmer keine guten Rahmenbedingungen für Familien schafft, dem laufen irgendwann die Fachkräfte davon."

Und prompt beschwert sich ein Mittelständler aus dem Plenum: Seine Ingenieure nähmen plötzlich alle Vätermonate in Anspruch. Doch sie seien heute alle so spezialisiert, dass sie kein anderer Mitarbeiter im Unternehmen ersetzen könnte. Und nur für zwei Monate eine neue Kraft einzuarbeiten, das könne er sich nicht leisten.

Da reagiert die Ministerin mit einem süffisanten Lächeln: Ihm werde wohl nichts anderes übrig bleiben. "Ein 35-jähriger, hochqualifizierter Ingenieur - da lecken sich viele Unternehmen im Münchner Raum die Finger. Wenn Sie ihn halten wollen, müssen Sie ihm auch etwas bieten. Und da gehören die Vätermonate heutzutage dazu."

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