Veränderung im Job:Neustart nach der Sinnkrise

Veränderung im Job: "Ich war ein Manager, perfekt, aalglatt", sagt Erwin Gegenbauer. Heute versteht er sich als Archäologe, der verschollene Genüsse aufspürt.

"Ich war ein Manager, perfekt, aalglatt", sagt Erwin Gegenbauer. Heute versteht er sich als Archäologe, der verschollene Genüsse aufspürt.

(Foto: Jean-Pierre Sylvestre)

Sie waren angekommen und hatten Erfolg im Beruf - doch irgendetwas fehlte immer. Wie Menschen sich verändert haben, um ihren Job wieder mit Leidenschaft und Herzblut auszuüben.

Von Ingrid Brunner

Ein Buchhalter würde ihm sicher raten, sich mehr um seine Zahlen zu kümmern. Und aus betriebswirtschaftlicher Sicht sollte man Erwin Gegenbauer wohl auch wünschen, er möge erst mal die bereits vorhandenen Geschäftsideen in die Gewinnzone bringen, ehe ihm ständig neue einfallen. Doch genau dieser Sicht der Dinge hat er radikal den Rücken gekehrt, seit er das Familienunternehmen, eine Konservenfabrik, verkauft hat.

Seither sind seine Projekte mit Krediten finanziert. Sprich, er muss ziemlich viele Bälle in der Luft halten und zusehen, dass er keinen davon aus den Augen verliert. Erst war da die Kaffeerösterei, dann kamen der Essig, das Öl, nun braut er auch noch Bier aus Urkorn und Emmer, die er mitten in Wien anbaut, bäckt Brot und vermietet Gästezimmer. Architekten haben raumgreifende Bettskulpturen für ihn gezimmert, die in schlichten Räumen mit nackten Backsteinwänden stehen.

Logisch und alternativlos

Sein jüngstes Projekt: eine Terrasse über dem Innenhof vor dem Hühnerstall, eine zweite für die Gäste, eine dritte für den Hochgarten. Der Gast begibt sich auf Stegen von einem Deck zum anderen, erntet Gemüse und Kräuter, holt sich sein Frühstücksei und bereitet es sich in der Gemeinschaftsküche zu. Eier mit Aroma: Die Hühner picken den Trester von der Himbeerölpressung.

All das findet Platz im elterlichen Wohn- und Geschäftshaus im Wiener Bezirk Favoriten, einem wenig idyllischen Arbeiterviertel. Nicht unbedingt der Ort, an dem man nach Spitzenessigen und hochwertigen Ölen in Bioqualität suchen würde, um die sich internationale Sterneköche reißen. "Wahnsinn" nennen das Berater, wenn einer aus erlesenen Früchten und seltenen Reben erst Wein macht, um ihn in einem jahrelangen Reifeprozess zu Essig werden zu lassen. Logisch und alternativlos, nennt Gegenbauer sein Verfahren. Im naturkühlen Kellergewölbe reifen seine Essige in Hunderten Glasballons.

Der unverfälschte Geschmack von Lebensmitteln ist Gegenbauers Benchmark: "Ich sehe mich als Aromenbewahrer." Überall nimmt er Geschmacksspuren auf - den Duft von frisch geschnittenem Gras im Leindotteröl, die Marzipansüße im Apfelkern. Sein Ehrgeiz ist es, alte Geschmäcker wie ein Archäologe wiederzuentdecken. Etwa die säuerliche Frische des Bohnapfels. Nebenher lässt er diese fast vergessene Sorte jetzt wieder anbauen und macht Saft daraus.

Er kämpft "gegen die Uniformierung des Geschmacks, wie ihn die Lebensmittelindustrie betreibt". Seine These: Je schlechter etwas schmecke, desto mehr Geld investiere man, um es unter die Leute zu bringen. "Ist Ihnen das noch nie aufgefallen?", fragt er. Der Grund, erklärt er, sei eine einfache Kostenrechnung: Entweder kümmere man sich permanent um die Qualität eines Produkts: "Das ist mühsam und kostenintensiv." Oder man investiert in die Schaffung einer Marke - wie Coca-Cola. Versteht sich von selbst, wofür Gegenbauer sich entschieden hat.

"Sie können das ruhig Burn-out nennen"

Im Rückblick sagt er von sich: "Ich war ein Manager, perfekt, aalglatt, ich habe jede Woche mehrmals die Strecke Wien-Tschechien-Deutschland gemacht und unsere Produktionsstätten dort besucht - und damit viel Geld verdient." 600 Mitarbeiter hatte er damals. Aber: "Das war ein reiner Zahlenjob - und Massenproduktion." Gefangen im Bermuda-Dreieck des Geldverdienens blieb ihm keine Zeit mehr, das Geld auszugeben. Irgendwann kam dann die Sinnkrise - "Sie können das ruhig Burn-out nennen", sagt er. Immer bohrender wurde die Frage, warum er etwas erzeugt, was er selbst nicht essen würde.

Eine Wandlung vom Saulus zum Paulus? Er wäre nicht der Erste. Immer wieder wechseln Manager, Unternehmer und ganz normale Arbeitnehmer die Seiten. Das neue Leben von Erwin Gegenbauer begann 1992, als er den Betrieb verkaufte. Heute wischt er Fragen nach Umsatz, Cashflow und Gewinn beiseite: "Ich weiß nicht mal, wie viel Geld auf meinem Konto ist." Heute hat er acht handverlesene Mitarbeiter, jeder muss alles machen: Flaschen befüllen, etikettieren, Bestellungen versandfertig machen, Zimmer putzen, Gäste betreuen, Kunden im Laden am Naschmarkt beraten.

Kontakt mit einem Endverbraucher

Am Naschmarkt hatte er auch, wenn man so will, sein Damaskuserlebnis: "Stellen Sie sich vor, nach all den Jahren im Management hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit einem Endverbraucher." Ein Kunde hatte einen seiner Essige gekauft und ein Rezept mitgenommen. "Ich wusste noch nicht, ob meine Essige gut sind oder nicht. Und wissen'S was? Der kam zurück und hat gesagt, der Essig war toll, aber ich hab' was anderes damit gekocht." Das, sagt er, war für ihn der Knackpunkt: Der Austausch, die Gespräche mit den Kunden - das war es, was er wollte. Sein einfaches Leben gefällt ihm. "Früher waren es Hummer und Kaviar, heute ist es die Kartoffel und die Butter." Aber eben die beste Butter und eine besonders gute Kartoffelsorte.

Wahrer Luxus sei es, Zeit zu haben, zu entscheiden, was er als Nächstes in seinen Mini-Mischkonzern aufnehmen, welches Projekt er als Nächstes angehen möchte. So ist er jüngst eine Kooperation mit Gault-Millau und dem Discounter Lidl eingegangen. Wird Gegenbauer sich da untreu? Nein, sagt er, es sei nicht mehr zeitgemäß, Spitzenprodukte allein für eine Genießer-Elite zu erzeugen. Mit seinem Wildkräuter-Essig-Öl-Set habe auch der normale Konsument Zugang zu guten Lebensmitteln.

Eine Utopie? Sicher, aber Unternehmer wie Gegenbauer schreckt das nicht ab. Sonst gäbe es den Balsamessig nicht, der in Holzfässern jahrelang auf seinem Flachdach reift. Oder den Balsamhonig: Seine Bienenvölker ernten dort oben den Zucker, der aus den Fugen der Fässer tröpfelt und verwandeln ihn in einen raren, ergo exklusiven Genuss. Ein Wahnsinn, würden die Controller wohl sagen. "Ein sinnvoller Kreislauf", sagt Gegenbauer.

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