USA: Klage wegen Diskriminierung:Amerikas Frauen gegen Wal-Mart

Dürfen Mitarbeiterinnen, die sich diskriminiert fühlen, gesammelt gegen ein Unternehmen klagen? Das muss jetzt das oberste US-Gericht entscheiden - und könnte damit die amerikanische Arbeitswelt verändern.

Moritz Koch

Auf eines können sich die Streitparteien schon vor dem Richterspruch einigen: "Historisch" nennen sie das Verfahren, das nun vor dem Obersten Gericht der USA beginnt. Rechtsexperten erwarten ein Urteil, das die amerikanische Arbeitswelt prägen könnte, vielleicht auf Generationen hinaus.

A worker brings carts back into a Walmart store in Westminster

Wal-Mart: Dem größten Einzelhändler der Welt drohen massenhafte Klagen von Mitarbeiterinnen.

(Foto: REUTERS)

Wenn am Dienstag in Washington die Verfassungsrichter die Anhörungen im Fall Dukes vs. Wal-Mart Stores aufnehmen, geht es juristisch um die Frage, unter welchen Bedingungen Sammelklagen gegen Unternehmen zulässig sind. Wal-Mart, der größte Einzelhändler der Welt, will verhindern, dass Mitarbeiterinnen, die sich diskriminiert fühlen, für ein Entschädigungsverfahren ein Klage-Team bilden können. Dass sie es so machen wie Betty Dukes, die 1994 bei Wal-Mart begann und die seit elf Jahren gegen ihren Arbeitgeber klagt.

Sollten sich die Frauen durchsetzen, könnten sich US-Konzerne bald Mammutprozessen ausgesetzt sehen, wie sie selbst im klagefreudigen Amerika bisher unbekannt waren. Allein im Fall Wal-Mart erwarten Experten, dass Hunderttausende Frauen gemeinsam klagen werden. Am Ende könnten die Entschädigungszahlungen mehrere zehn Milliarden Dollar betragen.

Von solchen Summen fühlt sich das gesamte Corporate America bedroht - und hat sich daher hinter Wal-Mart versammelt. 20 Großkonzerne, darunter die Bank of America, Intel und General Electric, wollen den Einzelhändler vor Gericht unterstützen. Auch die Handelskammer verfolgt das Verfahren mit großer Nervosität. Amerikas Wirtschaftselite weiß, dass Dukes vs. Wal-Mart zum Präzedenzfall werden.

"Die Gefahr ist, dass praktisch jedes Unternehmen in Amerika bald riesigen, teuren und haltlosen Sammelklagen ausgesetzt ist, was schlecht für Arbeitsplätze und schlecht für die Wirtschaft ist und letzten Endes auch den Leuten nicht weiterhilft, die die Klagen angestrebt haben", sagt Wal-Mart-Verteidiger Theodore Boutrous. Den Bossen und ihren Anwälten steht ein nicht minder entschlossenes Bündnis von Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen gegenüber. Joseph Sellers, der Klägeranwalt, sagt: "Wal-Mart behauptet, dass es ein Sonderrecht für große Unternehmen gebe. Doch in diesem Land unterliegen die Bürgerrechte keinen Ausnahmen."

Fremdartiger Streit

Aus deutscher Sicht erscheint der Streit fremdartig. In Deutschland gibt es keine Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild. Doch in den USA sind sie ein beliebtes juristisches Mittel. Sie sollen auch mittellosen Amerikanern die Möglichkeit geben, gegen erlittenes Unrecht vorzugehen. Was für Amerika zur Schicksalsfrage wurde, begann vor Jahren als gewöhnlicher Prozess.

Im Jahr 2000 reichte Betty Dukes, damals 54 Jahre alt, eine Klage ein. Fünf Frauen schlossen sich ihr an. Die Klägerinnen machen geltend, dass sie bei Beförderungen übergangenen wurden und von ihren Vorgesetzten sexistische Kommentare zu hören bekamen. "Puste die Spinnweben von deinem Make-up und rüsch' dich auf", soll ein Manager einer von Dukes Mitstreiterinnen geraten haben. Die Klage ging durch alle Instanzen. Nun muss der Supreme Court urteilen.

Wal-Mart bezweifelt nicht grundsätzlich, dass einzelnen Frauen unrecht getan wurde. Doch der Konzern betont, dass er sich seit jeher für Gleichberechtigung einsetzt und dass er gegen jeden Filialleiter vorgehe, der sich nicht an die Firmenstandards hält. "Ist jeder hier perfekt? Nein!", sagt Personalvorstand Gisel Ruiz. "Wir haben Mitglieder in unserem Team, die schlechte Entscheidungen treffen. Und wenn sie schlechte Entscheidungen treffen, tragen sie die Konsequenzen." Wal-Mart ist der größte private Arbeitgeber in den USA. Das Unternehmen hat auf seinem Heimatmarkt 1,4 Millionen Beschäftigte, mehr als die Hälfte davon sind Frauen. Doch im Vorstand und in leitenden Managementpositionen sind Frauen eine Minderheit, ihr Anteil beträgt weniger als 30 Prozent.

Es ist nicht das erste Mal, dass Wal-Mart mit Diskriminierungsklagen konfrontiert ist. 2001 erzielte das Unternehmen eine Einigung mit schwarzen Lastwagenfahrern und Angestellten mit Behinderungen. Sechs Millionen Dollar zahlte Wal-Mart damals, um 13 Verfahren beizulegen.

Durch die Rezession ist die Zahl der Diskriminierungsklagen in den USA noch mal gestiegen. Insgesamt fast 100000 Beschwerden gingen 2010 bei der Gleichstellungsbehörde Equal Employment Opportunity Commission ein. In Zeiten wirtschaftlicher Not steigt die Klagebereitschaft. Viele hoffen auf eine Entschädigung. Vergangene Woche erst verklagten sechs Amerikanerinnen den Pharmakonzern Bayer - auch sie fühlten sich bei Beförderungen übergangen.

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