Urteil zu Tattoos bei Bundespolizei:Jeder entstelle sich so, wie er mag

Die Bundespolizei lehnt eine Bewerberin ab, weil sie auf dem Unterarm ein Tattoo trägt. Ein Gericht bestätigt die Entscheidung. Es sieht Zeichen "überzogener Individualität". Wie weltfremd kann man sein?

Ein Kommentar von Joachim Käppner

"Geätzte Schrift sollt ihr an euch nicht machen. Ich bin der Herr." So steht es im 3. Buch Mose, und wer mag, darf daraus ableiten, dass schon in biblischen Zeiten die Tätowierung als unschön und entstellend galt. Vielleicht haben die Israeliten aber auch einfach schon gewusst, dass die Zeichnung des Körpers ihrem Träger mit den Jahren immer weniger zur Zierde gereicht.

Auf das Buch Mose und das Wort des Herrn hat sich das Darmstädter Verwaltungsgericht freilich nicht berufen, als es jetzt die Klage einer jungen Frau abwies. Diese war wegen eines großen Tattoos auf einem Unterarm nicht zum Auswahltest für die Bundespolizei zugelassen worden.

Das Ganze klingt nach einer jener Behördengrotesken, die gelegentlich das Ergebnis unausgesprochener Leitsätze des Amtshandelns sind, wie "Wo kämen wir dahin?", "Das haben wir schon immer so gemacht" und "Da könnte ja jeder kommen". Mit großer Ernsthaftigkeit werden dann Erörterungen und Expertisen ausgetauscht, wie lang genau das Haupthaar des Soldaten sein und ob der Drogenfahnder einen Ohrring tragen dürfe.

Man wird dem Gericht nicht großes Unrecht tun, wenn man in den Formulierungen des Beschlusses einen Hauch von Weltfremdheit spürt: Eine derartige Tätowierung könne als "Zeichen eines gesteigerten Erlebnisdrangs verstanden werden" und "überzogene Individualität zum Ausdruck bringen". Das klingt ein wenig wie zu Kaisers Zeiten. Nun sind aber die Zeiten des behelmten Schutzmannes lange vorüber - und Tätowierungen nicht mehr das Privileg von Leuten, die damit der Gesellschaft bedeuten wollen, sie solle ihnen bloß vom Halse bleiben.

Die Polizei ist weltfremd, die keine Bewerber mit Tattoos haben will

Tattoos sind wie Piercings eine Art Jugendmode geworden, die aus Sicht ihrer Träger einen großen Vorteil haben: Beide gehören zu den wenigen Dingen, mit denen sich selbst moderne oder sich modern gebärdende Eltern noch mit hundertprozentigem Erfolg provozieren lassen. Die üblichen Nachahmer über 40 sehen damit übrigens definitiv älter statt jünger aus.

Alltag auf Schulhof und Fußballplatz

The Great British Tattoo Show At Alexandra Palace

Tiger und andere Tattoo-Motive finden sich mittlerweile bei jedem fünften Deutschen.

(Foto: Getty Images for Alexandra Palac)

Nun kann man einerseits den Wunsch der Behörden verstehen, dass der Träger des staatlichen Gewaltmonopols dem Bürger nicht gegenübertritt wie ein tätowierter Drogenkönig aus L.A. Andererseits gehören normale Tattoos heute zum Alltag auf Schulhof und Fußballplatz. Und mag es auch viele gute, vor allem ästhetische Gründe geben, diesen Trend zu bedauern (wie gräuliche Anblicke im Freibad): Es ist albern, wenn die Polizei eine Bewerberin nur wegen ihrer Tätowierung ablehnt.

Neben bürokratischer Engstirnigkeit verrät der kuriose Fall aber auch etwas über den inneren Zustand der Ordnungsmacht. Die Polizei ist nicht flexibel genug, wofür der Darmstädter Rechtsstreit nur einen skurrilen Beleg darstellt.

Die Polizei verpasst den Wandel

Das Gericht hat argumentiert, dass ein Teil des Volkes die neue Akzeptanz des angeblichen Körperschmucks nicht mitvollzogen habe. Umgekehrt ließe sich freilich sagen, dass auch ein nicht kleiner Teil der Polizei den Wandel der Gesellschaft nicht mitvollzogen hat. Frauen sind, trotz vieler Bemühungen, noch immer stark unterrepräsentiert, Beamte mit Migrationshintergrund weiterhin die Ausnahme. Zu welchen Problemen das führen kann, zeigt sich in den schwierigen Vierteln der Großstädte.

Ähnlich der Bundeswehr, wenn auch nicht in diesem Ausmaß, hat auch die Polizei ein gewisses Problem, qualifizierte junge Menschen für einen fordernden und oft sehr stressigen Beruf zu finden. Bewerber mit Kriterien zu behandeln wie zu Zeiten des Königlich Bayerischen Amtsgerichtes, das wird die Sache nicht besser machen.

Andererseits: Bei einer Polizei, die solche Sorgen hat, scheint die Welt ja in Ordnung zu sein.

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