Süddeutsche Zeitung

Unterricht zu Hause:Lektionen am Küchentisch

Sie wollen ihre Kinder vor der Evolutionstheorie und Sexualkunde schützen oder finden öffentliche Schulen schlicht zu schlecht: Immer mehr Eltern kämpfen gegen die Schulpflicht. Der Staat hält das für gefährlich.

B. Taffertshofer

Unterricht in Eigenregie - das klingt verdächtig nach Eltern, die ihre Kinder von der Welt fernhalten und mit seltsamen Ideen füttern wollen, doch in diesem Fall ist es nicht ganz so einfach.

Dagmar und Tilman Neubronner gehören nicht zu jenen religiösen Fanatikern, die ihren Nachwuchs nur vor Evolutionstheorien und Sexualkunde schützen wollen. "Wir sind nicht prinzipiell gegen die Schule", sagt der Vater. Sein Sohn Moritz habe sogar zwei Jahre lang eine Montessori-Einrichtung besucht, aber nur unter Protest. Ihn störte der Lärm in der Klasse, er klagte über Kopf- und Bauchschmerzen.

Schließlich beschlossen die Eltern, ihn und seinen drei Jahre jüngeren Bruder Thomas daheim zu behalten. Da die Biologin und der Berufsfachschullehrer einen kleinen Verlag führen, arbeiten sie zu Hause. Ihr Lehrmaterial finden sie im Internet. Dabei orientierten sie sich an den üblichen Lehrplänen, sagt der Vater, mit Rücksicht auf Vorlieben der Kinder.

Dialog mit Andersdenkenden

Seit dreieinhalb Jahren kämpfen die Neubronners nun schon gegen die Schulpflicht. Inzwischen sind sie zu Symbolfiguren der deutschen "Homeschooling"-Szene geworden. Schätzungen gehen von 500 bis 1000 Familien aus, die ihre Kinder am Küchentisch unterrichten.

Ein Phänomen, das der Staat unterbinden will. In den Urteilen hoher Gerichte heißt es, man müsse die Entstehung von "Parallelgesellschaften" verhindern. Nur der Schulbesuch garantiere den Dialog mit Andersdenkenden.

"Wir wollen unsere Kinder nicht wegsperren", beteuern die Bremer Eltern. Ihre Söhne träfen sich regelmäßig mit Freunden, spielten Fußball im Verein und sängen im Chor. Soziale Integration könne auch außerhalb der Schule stattfinden, argumentiert Matthias Westerholt, der Anwalt der Familie. Und seine Mandanten kündigen an, den Rechtsstreit durch alle Instanzen zu treiben - notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Es gibt Eltern, in deren Bildungsideologie eine profane staatliche Schule nicht passt. Manche weichen deshalb auf Privateinrichtungen mit alternativer Pädagogik aus, andere wollen sich um die Bildung ihrer Kinder gleich selbst kümmern. Statt ihren Nachwuchs jeden Morgen ins Klassenzimmer zu schicken, schlüpfen die Eltern in die Rolle des Lehrers. Am Dienstag dieser Woche wird sich das Oberverwaltungsgericht in Bremen mit einem solchen Fall beschäftigen.

Bußgeld, Ersatzzwangshaft, Entzug des Sorgerechts

In den Vereinigten Staaten oder den meisten europäischen Ländern hätten die Neubronners kein Problem. Dort gibt es überwiegend eine Unterrichtspflicht, aber keine Schulpflicht. In den meisten deutschen Bundesländern hingegen drohen Schulverweigerern Bußgeld, Ersatzzwangshaft und womöglich sogar der Entzug des Sorgerechts.

Aus Angst, ihre Kinder im Heim abgeben zu müssen, haben die Neubronners ihren offiziellen Hauptwohnsitz nach Frankreich verlegt und pendeln seitdem zwischen Bremen und Biran.

Der Bildungsforscher Volker Ladenthin hält es für falsch, Eltern zu kriminalisieren. Für die Kinder sei es auf jeden Fall schlechter, wenn sich der Hausunterricht in einer Grauzone abspiele. Ladenthin plädiert deswegen für ein Modell, wie es in Österreich üblich ist. Dort können Eltern in Ausnahmefällen selbst unterrichten, sie werden dabei aber kontrolliert. Die Neubronners würden sich auf diesen Kompromiss gerne einlassen.

Die Gegner des heimischen Unterrichts warnen aber davor, Präzedenzfälle zu schaffen.

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SZ vom 02.02.2009/cag
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