Unternehmenskultur:Mein Feind, der Chef

Der Druck in der Arbeitswelt nimmt zu, aber es gibt einen bequemen Ausweg für Angestellte und die mittleren Chargen: über unfähige Vorgesetzte zu lästern. Die Führungskultur liegt im Argen. Und mit dem Thema lassen sich Bücher und Zeitschriften verkaufen.

Verena Wolff und Caspar Schlenk

Martin Wehrle ist der Kummerkasten-Onkel für deutsche Angestellte. Dem freiberuflichen Karriereberater aus Hamburg berichten Büromenschen aus dem ganzen Land tagtäglich die Erlebnisse mit vermeintlich unfähigen Chefs. Wehrle hat Bücher daraus gemacht, und die haben Wahnsinns-Titeln: "Ich arbeite in einem Irrenhaus", neuerdings "Ich arbeite noch immer in einem Irrenhaus" oder auch: "Der Feind in meinem Büro."

Chefs und ihre Untergebenen, das passt offenbar oft nicht zusammen. Was ist los in der deutschen Arbeitswelt?

2500 Geschichten über das Versagen in den Chefetagen hat Wehrle gesammelt. Er erzählt Geschichten von Angestellten, die eine Abmahnung eines Kollegen im Drucker fanden; die Chefs wollten Papier sparen und hatten ausgedruckte Mails wieder in den Drucker gelegt. Eine Mitarbeiterin berichtete von einer Bombendrohung, über die der Chef sie nicht informiert hatte - sonst wäre je bei der Evakuierung Arbeitszeit vertändelt worden.

Das Thema hat Konjunktur. Bestseller-Autor Wehrle, 42, handylos, hat 200.000 Exemplare von seinem Irrenhaus-Büchlein verkauft. Bild druckte seinen Test nach: "Ist Ihr Chef ein Idiot?", der Stern breitete zum "Irrsinn Büro" eine Titelstory auf. Der Karriereberater hat eine einfache Erklärung parat: "Jeder kennt Geschichten über das Versagen der Chefs - jeder fühlt sich angesprochen." Vom Sachbearbeiter bis zur Krankenschwester, von der Verkäuferin bis zum Ingenieur: Alle haben Vorgesetzte - Erlebnisse ganz eigener Art.

Dass das Thema jetzt wieder "in" ist, erklärt Unternehmensberaterin Ana-Cristina Grohnert mit der derzeitigen wirtschaftlichen Lage. "Die gesamte Berufswelt ist im Wandel", sagt das Mitglied der Geschäftsleitung von Ernst & Young. Grohnert beschäftigt sich seit Jahren mit der Führungskultur. Der dauernde Wandel auf den Märkten belaste Führungskräfte und Angestellte gleichermaßen, findet sie: "Die Sicherheit der vergangenen Jahre ist weg, derzeit müssen täglich neu Entscheidungen in einem unsicheren Umfeld getroffen werden." Durch technische Errungenschaften wie Smartphones, Twitter-Dienste und Skype wird alles schneller, oberflächlicher. Und doch lebten, so Expertin Grohnert, in vielen Firmen "die Führungskulturen aus dem vergangenen Jahrhundert fort".

"Command and Control" sei oft noch die Maxime, befehlen und kontrollieren. Im Vordergrund: das Ego des Chefs, und das duldet keine anderen Egos neben sich. Dieses Ego ist sich selbst genug, herrlich genug. Allerdings würden "diese eindimensionalen Persönlichkeiten" in der modernen Arbeitswelt nicht mehr funktionieren, sagt Grohnert. Wichtiger sei es, dass auch Vorgesetzte Vielfalt als Bereicherung verstehen und die Ideen der Mitarbeiter aufnehmen. "Manche Führungskräfte sind unsicher - und stehen sich damit selbst im Weg", diagnostiziert Grohnert.

Es kommt immer mehr auf die Chefs an

Dabei sei "Diversity Management" das Erfolgsrezept für die kommenden Jahre. Vielfalt müsse als Bereicherung gesehen werden, denn die Welt sei nicht mehr nur schwarz und weiß. "Hinzu kommt, dass einer in seinem Kopf gar nicht mehr all das abbilden kann, was in der Welt passiert." Daher sei es essentiell für den Erfolg von Unternehmen, nicht nur das Chef-Ego zu betrachten sondern eher "die Intelligenz des Umfelds". Das sei "postheorisch", findet Frank Appel, Chef der Deutschen Post DHL, es bestimmt nicht mehr einer mit dicker Zigarre, wo es lang geht, sondern einer, der Teams steuert. Doch der Normalfall ist das nicht - trotz all der Seminare und Ratgeber, die es zum Chefthema gibt.

Hans Ochmann, Mitglied der Geschäftsführung bei Kienbaum Consultants, betont, dass sich zwar die Rahmenbedingungen für Führungskräfte geändert haben, nicht aber unbedingt deren Kompetenz: "Gerade im Internet gibt es vielerlei Kanäle, in denen sich Angestellte trefflich über ihre Vorgesetzten auslassen können". Problematisch sei, dass man sich da sehr allgemein zu einer Sache äußere, die Differenziertes erfordere. Die Führungskräfte von heute haben es mit viel mehr Dynamik und Komplexität in den Unternehmen zu tun, die Anforderungen an sie seien mittlerweile sehr hoch: "Früher haben sie Spielzüge gelernt, heute müssen sie das ganze Spielfeld überblicken."

In einer Zeit, in der deutsche Firmen noch volle Auftragsbücher haben, stößt das Verhalten der Chefs intern bitter auf, sagt Erfolgsautor Wehrle. "Die Vorgesetzten preisen nach außen die Erfolge des Unternehmens und nach innen geben sie Spardivisen aus: Das ist Kommunikation mit zwei Zungen." Andererseits sind Mitarbeiter nicht ganz unschuldig an der Misere, denn "deutsche Arbeitnehmer leben in einer Untertanenkultur", so Wehrle.

Eine Studie der Universität Harvard gibt den Wutmitarbeitern recht: Forscher haben herausgefunden, dass einfache Angestellte oft gestresster sind als ihre Vorgesetzten. Das, so begründen die Wissenschaftler, hänge damit zusammen, dass Führungskräfte Entscheidungsspielräume haben, die Untergebenen aber fehlten. Die Medizinerin Dagmar Ruhwandl kommt noch zu einem anderen Schluss. Das Verhältnis von Chefs zum Personal sei häufig wegen Minderleistungen stressig: "Wenn etwas nicht läuft, versuchen wir, die Dinge nach oben zu projizieren." Es treffe meist einen der Chefs, allerdings nicht unbedingt den direkten Vorgesetzten. Der Mitarbeiter fühle sich dann zum "Nichtstun verdammt", eine Ursache für Burn-out. Und durch das Lästern über Chefs, und das Reden darüber, fühlten sich die Lästerer bestätigt. Kurzzeitig entsteht ein Gefühl von Überlegenheit.

Deutschland, sagt Autor Wehrle, brauche eine neue Führungskultur - und eine neue Art von Persönlichkeiten in den Chefetagen. "Eigenschaften wie Charisma erleben in dieser unsicheren Zeit eine Renaissance", sagt Kienbaum-Partner Ochmann. Ein Mensch mit Ausstrahlung vermittle Sicherheit, Machismo aber schreckt ab. Solche Eigenschaften könne man nicht lernen, das sei "Typ-Sache." Doch er weiß auch: "Führung ist auch Handwerk."

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