Süddeutsche Zeitung

Unternehmensberater:Die Getriebenen

Erfahrung sammeln, um die Welt jetten - und dann ganz was anderes machen: Beratung muss kein Job fürs Leben sein. Oft dient sie einfach als Karrieresprungbrett.

J. Lutz

Saftige Wiesen, viele Holzhäuser und eine Schanze, auf der die deutschen Skispringer trainieren. Im Schwarzwald-Kurort Hinterzarten oberhalb von Freiburg wirkt die Welt noch in Ordnung. Hier arbeitet Jens Buttkereit seit mehr als drei Jahren als Geschäftsführer des Internatgymnasiums Birklehof. Auf den ersten Blick ein Kontrast zu seinem früheren Leben: Als Consultant bei dem internationalen Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte landete er fast jeden Tag auf einem anderen Flughafen, wechselte seine Kunden und Projekte im Viermonatsrhythmus und verbrachte viele Nächte weit entfernt von seiner Familie.

Vergessene Zeitung

Jetzt sitzt er über den Plänen für einen Anbau der Schule, während vor seinem Arbeitszimmer Fünftklässler fröhlich Seilhüpfen üben. Statt mit Finanzvorständen, die früher seine Kunden waren, hat er es heute mit Lehrern, Eltern und Schülern zu tun.

Buttkereit ist begeistert von seinem neuen Job, dabei hätte er sich auch vorstellen können, weiter bei Deloitte zu arbeiten und Partner zu werden. Er liebte die ständige Abwechslung in der Arbeit. Hätte nicht der Zufall in Form einer Stellenanzeige in der Zeitung, die ein Freund bei ihm zu Hause vergessen hatte, die Weichen anders gestellt. In den neun Jahren als Berater hatte Buttkereit manchmal damit geliebäugelt, in eine Entscheiderfunktion zu wechseln.

Wechsel in die Bildung

Auch das Thema Bildung interessierte ihn, und bei einem möglichen Wechsel wäre für ihn nur ein mittelständisches Unternehmen in Frage gekommen. "Als Führungskraft möchte ich mit meinen Entscheidungen gerne etwas bewirken. In Konzernen aber ist der Handlungsspielraum begrenzt", sagt der 40-Jährige. Außerdem träumte der Hannoveraner schon länger davon, nach Süddeutschland zu ziehen.

Sein Fazit: "Diese Stelle in Hinterzarten bietet mir alles, was ich mir gewünscht hatte." Zu gleichen Teilen kümmert sich Buttkereit um die Finanzen und das Facility-Management des Privatgymnasiums sowie um den gesamten Personalbereich. Es fiel ihm nicht schwer, in die neue Position zu wachsen, denn "wenn man eines als Berater lernt, dann wie man Probleme analytisch zerlegt und komplexe Aufgaben innerhalb eines bestimmten Zeit- und Budgetrahmens abarbeitet". Das frühere Leben war spannend, doch Buttkereit vermisst es nicht: "Ich finde es faszinierend, mit jungen Leuten zu tun zu haben, die vieles in Frage stellen. Das hält jung."

Erfolgreiche Minderheit

Der Finanzexperte gehört zu den wenigen Beratern, die nach dem Ausstieg etwas ganz anderes machen. "Bei uns sind das vielleicht fünf Prozent. Meist wechselt ein gutes Drittel in die Industrie, weitere 30 Prozent verbleiben in der Beratungsbranche, 35 Prozent gehen in den Mittelstand, oft auch in das familieneigene Unternehmen", beobachtet Daniela Eisenhauer, Personalpartnerin bei Deloitte. Bei den meisten Consultants entscheide sich nach drei bis fünf Jahren, ob der Job Berufung sei oder ob die gewonnenen Erfahrungen besser gezielt in einem anderen beruflichen Umfeld eingesetzt werden.

Geva Johänntgen wollte schnell viel lernen und fing 2003 als Werkstudentin bei einem großen IT-Beratungsunternehmen an. 2005 wurde sie als Beraterin übernommen und entschied sich vergangenes Jahr, als Risikomanagerin zu einem Hamburger Windenergieanlagenhersteller zu gehen. Auch sie hat ihre Traumstelle gefunden. "In meinem Job geht es darum, finanzielle und organisatorische Risiken aufzudecken. Dabei bin ich gar nicht so weit von meinen früheren Aufgabenstellungen entfernt", stellt die 30-Jährige fest.

Irgenwann sank die Lernkurve

Bei ihrem früheren Arbeitgeber hatte sich Johänntgen hauptsächlich um Management- und Organisationsberatung in der öffentlichen Verwaltung gekümmert. "Dort konnte ich mir in sehr kurzer Zeit ein Bild von unterschiedlichsten Themen und Arbeitsumgebungen zu machen", sagt die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin. Auffassungsgabe, Belastbarkeit, Konfliktfähigkeit - all das konnte sie intensiv trainieren. Aber irgendwann beschlich sie das Gefühl, sich in den oft langen Projekten nicht mehr zu entwickeln. "Gegen Ende sank meine Lernkurve ab. Da wusste ich, dass es Zeit war zu gehen, wenn ich noch etwas anderes machen wollte."

Ihre familiäre Situation - zwei kleine Kinder - veranlasste Cornelia Sengpiel, ihren Beraterjob bei McKinsey nach sieben Jahren an den Nagel zu hängen. Sie kündigte und gründete 2007 mit einer Kollegin in Bad Soden die Personalvermittlung und Berufsplattform Profiplaza. Heute bringt die Betriebswirtin hochqualifizierte Mütter, die sich verändern oder nach der Familienpause wieder arbeiten möchten, mit Unternehmen zusammen, die anspruchsvolle Projekte oder Teilzeitjobs zu vergeben haben.

Enorme Nachfrage

Die Nachfrage sei enorm. Mittlerweile seien Hunderte von Frauen gelistet. Viele Firmen bekunden ihr Interesse an einer Zusammenarbeit, und es kam zu zahlreichen Stellenbesetzungen. "Diese Selbstständigkeit als Unternehmerin ist für mich ideal, da ich über meine eigene Zeit verfügen kann", sagt Sengpiel. Auch für sie war die Phase als Beraterin eine gute Lehrzeit. Ihr Fazit: "Die Grundlagen, die mir bei McKinsey vermittelt wurden, kommen mir auch heute noch bei allem zugute."

Sengpiel ist "hochzufrieden" mit ihrer neuen Aufgabe. Doch manchmal, gesteht sie, vermisse sie ein wenig den spannenden Austausch von früher mit "den unterschiedlichsten Kollegen, auf die man so wohl nur in einer Beratung trifft".

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