Glykol im Rotwein, Auto im Elchtest, Ackermanns Victory-Geste - die Krisenfalldatenbank der Uni Kiel steckt voller Katastrophen und Skandale. Bis zu 250 Krisenfälle pro Jahr ereignen sich in Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein. Sie alle werden am Institut für Krisenforschung (IFK), einem "Spin-Off" der Uni Kiel, gespeichert. Nicht jede dringt in das Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit. Nur etwa ein Fall pro Woche sorgt für Schlagzeilen in nationalem oder internationalem Rahmen.
Frank Roselieb jedoch kennt sie alle. Der Krisenforscher vom IFK rattert Jahreszahlen und Skandale herunter wie andere das Alphabet. "1994", sagt Roselieb "hatte eine Krise erstmals ihren Ursprung im Internet". Ein Mathematik-Professor aus Virginia hatte in jenem Jahr seine Meinung über einen fehlerhaften Chip der Firma Intel in einem Internet-Forum geschrieben. Die Resonanz darauf war so gewaltig, dass die Massenmedien weltweit das Thema aufgriffen. Intel wurde durch den öffentlichen Druck gezwungen, den Chip zurückzurufen. "Dieser Fall hat erstmals gezeigt, welche Möglichkeiten das Internet hat", sagt Roselieb.
Seither mussten viele Unternehmen erkennen, wie stark Konsumenten durch das Internet an Macht gewonnen haben. "Heute wird selbst ein Kleinstereignis zu einer Krise aufgebaut. Das führt dazu, dass sich Unternehmen manchmal für ein angeblichen Fehlverhalten rechtfertigen müssen, das vor einigen Jahren niemand beachtet hätte", sagt Frank Roselieb. "Dadurch steigt der Bedarf an Krisenkommunikation." Dennoch dürfe man die Online-Bedrohung nicht überbewerten. "In der Regel sind diese Krisen schnell wieder vergessen." Denn ein Skandal löst immer schneller den nächsten ab. "Früher wurde über einen Autorückruf bis zu vierzehn Tage in den Medien berichtet, heute ist nach zwei Tagen Schluss", sagt Roselieb. Dadurch stumpfen die Konsumenten zunehmend ab.
In den vergangenen Jahren haben sich vor allem private Weblogs, die man am ehesten als öffentlich Internet-Tagebücher beschreiben kann, für Unternehmen als Herausforderung entwickelt. Die Betreiber der Weblogs, Blogger genannt, können durch gegenseitige Verlinkungen innerhalb kürzester Zeit Informationen durch das Internet schicken. "Dank der intensiven Vernetzung kann ein einzelner Blogger eine etablierte Marke nachhaltig beschädigen", sagt Ansgar Zerfaß vom IT-Komepetenzzentrum MFG des Landes Baden-Württemberg.
"2004", sagt Frank Roselieb. "Der Fall Jamba." Ein Blogger hatte über die Geschäftspraktiken des Klingeltonanbieters geschrieben und viel Negativ-PR ausgelöst. Zum Kommunikationsgau wurde die kritische Berichterstattung aber erst durch die ungeschickte Reaktion des Unternehmens: Mitarbeiter diskutierten in den Weblogs anonym mit. Der verdeckte Manipulationsversuch schlug fehl - die Mitarbeiter flogen auf und der PR-Schaden war größer als zuvor.
Es sind offenbar immer wieder dieselben Fehler, die Unternehmen bei der Krisenkommunikation im Internet machen. "Es wird versucht, zu leugnen so lange es geht. Aber Lügen haben im Internet kurze Beine", sagt Roselieb. Denn die Wahrheit ist womöglich nur einen Link weit entfernt. Außerdem würden Unternehmen vergessen, dass im Internet rund um die Uhr kommuniziert wird und dass ihre Sicht der Dinge unmittelbar kommentiert werden kann.
Aber Roselieb erinnert sich auch an das erste "Paradebeispiel für erfolgreiche Krisen-PR im Internet: "1998", sagt der Krisenforscher. Die damalige Swissair veröffentlichte nach dem Absturz einer ihrer Maschinen vor der kanadischen Küste sämtliche verfügbaren Informationen in mehreren Sprachen auf ihrer Webseite. "Das war ein Novum damals."
Schnelle Reaktion und viel Information lautet das Erfolgsrezept im Internet. Krisenberater empfehlen daher vorzubeugen. "Das beste Mittel gegen eine Krise ist Prävention", sagt Klaus-Peter Johanssen, der Unternehmen in Sachen Krisenkommunikation berät. Er nennt als Beispiel Presseinformationen, die bereits vorformuliert werden und im Ernstfall nur noch ergänzt werden müssen. Auch ganze Internetseiten können schon im Vorfeld erarbeitet werden. Wie eine Studie seiner Agentur zeigt, vernachlässigen Unternehmen aber die interaktiven Möglichkeiten des Netzes. Diskussionsforen bietet nicht einmal jedes Vierte an.
Auch Weblogs sind für viele Unternehmen und PR-Spezialisten noch immer Neuland. "Die Herausforderung wird ohne Zweifel erkannt", sagt Ansgar Zerfaß vom MFG. "Ein Weblog-Monitoring ist bei vielen schon Standard." Einige Vorreiter experimentieren auch mit eigenen Weblogs, in denen Mitarbeiter schreiben. Doch während sich die PR-Experten noch ans Bloggen herantasten, warten schon die nächste Herausforderungen. "Es entwickeln sich neue Formen der sozialen Software, die die Kommunikationspolitik der Unternehmen nachhaltig verändern werden", sagt Zerfaß.
Das reicht von so genannte Podcasts, das sind Audio- und Video-Dateien, die online veröffentlicht werden, bis zu "Social Bookmarks". Diese Sammlungen von Internet-Lesezeichen haben den Charakter eines öffentlich angelegten Recherchesystems und funktionieren ähnlich wie das Online-Lexikon Wikipedia, bei dem jeder Internet-Nutzer mitschreiben kann.
Doch gerade der Gedanke, dass sich viele engagieren und gemeinsam an etwas arbeiten, scheint den Unternehmen noch fremd. Das zeigt der Umgang mit kritischen Bloggern. Betroffene Firmen schicken häufig einfach Abmahnungen. Davon gibt es zurzeit so viele, dass die Blogger inzwischen beginnen, den Unternehmen Nachhilfe zu geben. "Marketingtool Abmahnung?", titelt etwa der "Werbeblogger" ironisch und fordert Unternehmen auf, stattdessen lieber "auf Augenhöhe" mit ihren Kritikern zu kommunizieren.
An der Uni Sankt Gallen findet am 8. Juni der Schweizer Krisengipfel statt (siehe Link).