Unterforderung im Job:"Auch das Internet wird irgendwann langweilig"

Stress aufgrund von Überarbeitung ist ein bekanntes Problem. Doch auch Leerlauf im Job kann belastend sein. Philippe Rothlin hat ein Buch über das Phänomen "Bore-out" geschrieben. Wie Betroffene Beschäftigtsein vortäuschen - und was Bore-out mit Burn-out zu tun hat.

Von Johanna Bruckner

Stress und Burn-out waren die Schlagworte der krisengeprägten vergangenen Jahre. Zu wenig zu tun zu haben? Klingt für viele Arbeitnehmer traumhaft und nicht besorgniserregend. Philippe Rothlin und Peter R. Werder sehen das anders. Ihr Buch "Unterfordert. Diagnose Boreout - wenn Langeweile krank macht" (Redline Verlag) wurde jüngst neu aufgelegt. Im Gespräch erklärt Unternehmensberater Rothlin, welchen Leidensdruck Unterforderte im Job haben und warum häufig nicht die Arbeitnehmer, sondern die Chefs verantwortlich sind für vergeudete Arbeitszeit.

SZ.de: Herr Rothlin, wann hat Sie Ihre Arbeit zuletzt so richtig angeödet?

Philippe Rothlin: Das ist zum Glück schon sehr lange her.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie andauerndes Nichtstun im Job als "blanken Horror".

In unserer Arbeitswelt gilt die Mär des süßen Nichtstuns. Viele Arbeitnehmer stellen es sich toll vor, im Büro Zeit für private E-Mails, soziale Medien oder zum Surfen zu haben. Doch irgendwann wird auch das Internet langweilig, trotz seiner Abermillionen Angebote. Man will das, was man gelernt hat, umsetzen und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Wer ist schon gerne der gefühlte Außenseiter, der sich langweilt, während alle anderen etwas leisten? Das ist ein entscheidender Punkt beim Bore-out: der Leidensdruck aufgrund des Nichtstuns.

Wer nach der Mittagspause mal ein Motivationstief hat und nach dem nächsten Urlaub googelt, ist also noch nicht Bore-out-gefährdet?

Fast jeder hat im Arbeitsalltag Phasen, in denen er sich geistig "durchlüftet": einen Kaffee holt, mit dem Kollegen private Worte wechselt oder einfach aus dem Fenster starrt. Das ist ganz normal und nicht bedenklich - im Gegenteil. Man bezeichnet solche Unterbrechungen auch als "creative waste", also kreative Verschwendung. Man tut mal zehn Minuten nichts, um danach mit frischem Kopf an seine Arbeit zurückzukehren.

Was ist also ein echter Bore-out?

Drei Dinge kommen zusammen: Langeweile, Desinteresse und Unterforderung. Das führt dazu, dass Betroffene über längere Phasen ihres Arbeitstages nicht produktiv tätig sind. Es gibt Leute, die sich vier bis fünf Stunden am Tag mit Dingen beschäftigen, für die sie nicht eingestellt wurden. Allerdings fällt das nur selten auf, weil die Arbeitnehmer Strategien entwickeln, um ihr Nichtstun zu vertuschen. Die Vorgesetzten schätzen die Arbeitsauslastung ihrer Mitarbeiter vollkommen falsch ein.

Welche Strategien sind das?

Ich kann die mir aufgetragene Arbeit zum Beispiel sofort erledigen, aber ich kommuniziere das nicht. Ich warte bis zur Abgabefrist oder bis mein Vorgesetzter auf mich zukommt und präsentiere ihm dann meine Ergebnisse. Oder ich strecke die zu erledigenden Aufgaben, obwohl ich sie auch in viel kürzerer Zeit abarbeiten könnte. Auch beim Terminmanagement gibt es Möglichkeiten, der ungeliebten Arbeit zu entkommen. Beispielsweise indem ich Auswärtstermine wahlweise mitten in den Vormittag oder auf den Nachmittag lege, sodass es sich nicht mehr lohnen würde, davor oder danach ins Büro zu fahren. Bore-out-Betroffene sind sehr gut darin, Beschäftigtsein vorzustäuschen.

"Es gibt schlicht nicht genug zu tun für alle Mitarbeiter"

Man könnte auch sagen, sie betrügen.

Aus Arbeitgebersicht mag das so erscheinen, ja. Aber die allermeisten Betroffenen leiden unter ihrer Situation. Sie fühlen sich in einem Teufelskreis aus Lust- und Antriebslosigkeit gefangen, aus dem sie keinen Ausweg sehen. Und man darf auch nicht vergessen, dass Bore-out häufig im Unternehmen oder der Abteilung liegende strukturelle Ursachen hat.

Zum Beispiel?

Arbeit wird nicht delegiert oder es gibt schlicht nicht genug zu tun für alle Mitarbeiter. Viele Firmen sind personell auf Spitzenauslastungen eingestellt. Zweimal im Monat gibt es etwas zu tun, für das alle Mitarbeiter gebraucht werden - doch dazwischen ist weniger los. Hier ist es am Management, offen zu kommunizieren: Es ist okay, auch mal früher Feierabend zu machen. Die Zeit kann in den Stressphasen wieder reingeholt werden. Es ist frustrierend für Arbeitnehmer, wenn sie das Gefühl haben, Präsenz um der Präsenz Willen zeigen zu müssen.

Welche Ursachen hat Bore-out noch?

Ein Grund kann sein: Man ist im falschen Job, hat eine Stelle vielleicht nur aus der Notwenigkeit heraus angenommen, doch die Arbeit, für die man bezahlt wird, interessiert einen nicht. In diesem Fall ist der Bore-out bis zu einem gewissen Grad vom Arbeitnehmer selbst verschuldet.

Gibt es auch Arbeitsumstände, die Bore-out fördern, zum Beispiel fehlende Deadlines für Projekte?

Ja, wobei das immer auch Typsache ist. Vorgesetzte sollten ihre Leute kennen und persönlichkeits- und situationsgerecht führen. Ein Chef muss wissen: Wer ist eher ein kreativer Kopf, der aber auch eigenverantwortlich mit zugestandenen Freiheiten umgehen kann? Dieser Mitarbeiter wird sich vielleicht auch mal eine halbe Stunde in die Sonne setzen, um seine Aufgabe danach innerhalb kürzester Zeit und auf superkreative Art und Weise zu erledigen. Es gibt aber auch Menschen, die freie Zeit nicht produktiv nutzen können, sondern in einen Sumpf aus Prokrastination und fehlender Motivation versinken. Dann ist es am Chef, diesem Mitarbeiter verstärkt eine Struktur im Arbeitsalltag vorzugeben.

Sie sagen: Burn-out und Bore-out sind wie Yin und Yang - können Sie das erklären?

Auf den ersten Blick haben wir es mit Gegensätzen zu tun: Hier geht es um Über-, da um Unterforderung. Doch Symptome und Folgen ähneln sich, Burn-out und Bore-out sind wie Brüder. Die betroffenen Arbeitnehmer sind frustriert und gestresst, im schlimmsten Fall geht ihre Arbeitskraft verloren. In Teams finden sich nicht selten sowohl Burn-out-, als auch Bore-out-Betroffene. Erstere sind chronisch überarbeitet, weil sie sich immer neue Aufgaben aufhalsen oder aufhalsen lassen. Und Letzteren wird dadurch quasi Arbeit weggenommen, sie haben zu wenig zu tun.

Was können Arbeitnehmer tun, um dem Bore-out zu entkommen?

Eigenverantwortung ist sehr wichtig, auch wenn die Ursachen beim Unternehmen oder dem Vorgesetzten liegen. Nur der Arbeitnehmer kann das Problem ansprechen. Wobei man aufpassen sollte, wie man seine Botschaft formuliert. "Ich langweile mich den ganzen Tag" kommt natürlich nicht gut an. Besser sagen: "Ich hätte noch Kapazitäten - gibt es etwas, das ich Ihnen abnehmen kann?"

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