Süddeutsche Zeitung

Unsichere Jobs:Nur ein Leiharbeiter

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Nico Vlachos war für BMW nur Manövriermasse: Als Zeitarbeiter erhielt er die Kündigung. Nun arbeitet er im Akkord in einer Möbelfabrik - für die Hälfte seines bisherigen Lohnes.

U. Ritzer

Seine alten Kollegen haben ihn zu ihrer privaten Weihnachtsfeier eingeladen. Der Meister wird wieder allen das Essen spendieren, und ihre Getränke werden die Arbeiter selbst bezahlen. Wie in den vergangenen Jahren. "Das wird bestimmt wieder sehr gemütlich", sagt Nico Vlachos, der sich auf den Abend diesmal ganz besonders freut.

Denn eigentlich ist er draußen. Seit ein paar Wochen gehört er nicht mehr zu der kleinen Abteilung aus dem BMW-Werk im niederbayerischen Dingolfing. Nico Vlachos, 29, war dort als Zeitarbeiter beschäftigt. Der Meister habe noch dafür gekämpft, dass er länger bleiben dürfe, erzählt Vlachos. Zuerst sah es gut aus, aber dann kam die "Entscheidung von ganz oben", wie er sagt. Nun arbeitet der gelernte Einzelhandelskaufmann im Akkord in einer Möbelfabrik. Für die Hälfte seines bisherigen Lohnes.

"Seit September ist alles anders", sinniert 200 Kilometer entfernt in Nürnberg Ingrid Hofmann. Binnen 20 Jahren hat sie mit I.K. Hofmann Personalleasing eine der größten deutschen Zeitarbeitsfirmen aufgebaut. In den vergangenen drei Jahren verdoppelte sich die Zahl der Beschäftigten. Vlachos gehört zu den europaweit 13000 Hofmann-Mitarbeitern.

Mancher wird entlassen

Dass BMW auf Leiharbeiter wie ihn verzichten wird, war unabhängig von der Krise schon länger klar. "Nur war es bis September kein Problem, diese Leute woanders in der Autobranche oder bei einem Zulieferer unterzubringen", sagt Ingrid Hofmann.

"Das hat sich grundlegend geändert." Die Finanzkrise hat die Verbraucher bei größeren Anschaffungen vorsichtig gemacht. Sie kaufen kaum noch Autos, was den Absatz nahezu aller Marken stark sinken ließ. Die Hersteller, und in der Folge auch ihre Zulieferer, drosseln die Produktion. Das Stammpersonal wird Überstunden abfeiern oder in Sonderurlaub geschickt, und die Leiharbeiter müssen gehen. Erschreckend lapidar las es sich zuletzt, wenn Firmen erleichtert mitteilten, dass es nur die Zeitarbeiter treffe. Als hätten Menschen wie Nico Vlachos nichts zu verlieren.

"Ich wusste um mein Risiko", sagt Nico Vlachos. "Deswegen falle ich nun auch nicht in ein tiefes Loch." Wie lange er bei BMW gearbeitet hat, will er nicht sagen. Er sei froh, dass Hofmann ihm gleich einen neuen Job vermitteln konnte. Lieber Arbeitslosengeld zu kassieren sei ihm nicht eingefallen, auch wenn das kaum weniger wäre als im neuen Job.

Sofas im Akkord

Seit zwei Wochen bringt man Vlachos in der Möbelfabrik Himolla in Taufkirchen an der Vils bei, im Akkord Holzgestelle für Sofas zu schreinern. Am Monatsende wird er mit 1000 Euro netto nach Hause gehen. Bei BMW verdiente er zuletzt knapp das Doppelte. "Ich hatte mich da hochgearbeitet", sagt er stolz. Anfangs putzte Vlachos als Helfer Großpressen. Er stellte sich geschickt an, war zuverlässig, kollegial und zeigte Einsatz.

Schließlich bediente er in Schichtarbeit eine der Maschinen, an denen Seitenwände für Kleinserien wie die BMW-Modellreihen M3 oder M6 gepresst werden. Die direkt bei BMW angestellten Kollegen, die für die gleiche Arbeit deutlich mehr bekommen, hätten ihn immer als gleichwertig akzeptiert und behandelt, sagt Vlachos.

Auf der nächsten Seite: Was eine Kündigung für Zeitarbeiter bedeutet.

Ein Aufschrei bleibt aus

Nun trifft die Automobilkrise die Zeitarbeiter als Erste und es scheint, als rege das niemanden sonderlich auf. Selbst der obligate Aufschrei der Gewerkschaften bleibt aus. Niemand weiß zuverlässig, wie viele tausend Zeitarbeitnehmer die Autokrise die Jobs bereits gekostet hat oder noch kosten wird.

Und vor allem, wie viele von ihnen am Ende tatsächlich auf der Straße stehen werden. "Fragen Sie mich das im Januar", sagt Ingrid Hofmann, die auch dem Präsidium des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA) angehört. "Im Moment ist die Lage sehr, sehr unübersichtlich."

In ihrer eigenen Firma war in Spitzenzeiten jeder fünfte Beschäftigte in der Automobilbranche eingesetzt. Für wie viele sie nun einen alternativen Arbeitsplatz hat, wisse sie noch nicht, sagt Ingrid Hofmann. Gute Fachkräfte und Ingenieure seien weiter gefragt. Nahrungsmittel-, Solar- und Windkraftindustrie, Callcenter und Unternehmen aus der Medizintechnik hätten noch Bedarf.

Bescheidene Zukunftspläne

Um alle Zeitarbeiter zu versorgen, die momentan in der Autobranche ihre Jobs verlieren, werde das aber nicht reichen. Also wird mancher mangels Folgeaufträgen entlassen werden. Und wer doch weiter ausgeliehen werden kann, arbeitet häufig wie Nico Vlachos für viel weniger Geld, denn in vielen Branchen gelten auch für Zeitarbeiter deutlich niedrigere Tariflöhne als in der Autobranche.

Nico Vlachos' Zukunftspläne sind bescheiden. Zu BMW-Zeiten blieb am Monatsende etwas zum Sparen übrig. Das sei nun vorbei, fürchtet er. Bald wird er umziehen, von seiner Zweizimmer-Wohnung zur Freundin in deren Elternhaus. So spart er die Miete.

Und weil die Möbelfabrik dort gleich um die Ecke liegt, rechnet Vlachos mit "um die 200 Euro weniger Spritkosten im Monat." Statt wie früher in der BMW-Kantine zu essen, nimmt er sich nun belegte Brötchen zur Arbeit mit. Und am Wochenende will er eben weniger ausgehen und lieber einen DVD-Abend mit Kumpels machen.

"Ist eh oft lustiger", sagt Nico Vlachos.

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SZ vom 27.11.2008/heh
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