University of the Arctic:Eisige Studien

An der multinationalen "University of the Arctic" erforschen Studenten die nördlichste Region der Erde - ohne ihre warmen Arbeitszimmer verlassen zu müssen. Ein Internetzugang genügt.

Birgit Lutz-Temsch

Die Warnung ist eindeutig: "Wer sein Essay nicht bis morgen abgegeben hat, bekommt keine Punkte mehr." Diese Meldung poppt eine Woche nach dem Abgabetermin auf dem Bildschirm auf, wenn man sich in den Kurs "Land und Umwelt" an der University of the Arctic einloggt. Wer glaubt, ein Fernstudium sei kein richtiges Studium, irrt zumindest hier gewaltig.

University of the Arctic: Wer einen Kurs zu "Land und Umwelt" der Arktiks belegen möchte, schreibt sich am besten an der multinationalen University of the Arctic ein. Das warme Wohnzimmer muss man dafür kaum verlassen.

Wer einen Kurs zu "Land und Umwelt" der Arktiks belegen möchte, schreibt sich am besten an der multinationalen University of the Arctic ein. Das warme Wohnzimmer muss man dafür kaum verlassen.

(Foto: Foto: AP)

Die University of the Arctic (UARC) ist eine ungewöhnliche Hochschule, sie ist ein Zusammenschluss von Organisationen und Universitäten aus allen Anrainerstaaten der Arktis: den USA, Kanada, Dänemark, Island, Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Darunter sind exotische Mitglieder wie das norwegische "Internationale Zentrum für Rentierzucht" oder das russische "Zentrum zur Unterstützung indigener Völker im Norden".

Seit fünf Jahren gibt es die arktische Universität mit Hauptsitz im kandischen Saskatchewan. Sie will die Forschung über die Region stärken und Studenten ermutigen, sich mit den Problemen der Arktis zu beschäftigen. Der "Bachelor of Circumpolar Studies" ist ein interdisziplinärer Studiengang, der die Bereiche Geologie, Biologie und Meeresbiologie, Glaziologie und Meteorologie, aber auch die Soziologie umfasst.

Disziplinäre Grenzen überschreiten

Anna Godduhn unterrichtet den Kurs "Land und Umwelt". Warum ist eine eigene Universität der Arktis nötig? Sie sagt: "Die Arktis ist eine sehr große und abwechslungsreiche Region, einzelne Ökosysteme oder menschliche Siedlungen haben aber auch viel gemeinsam." Deshalb sei es sinnvoll, die Region insgesamt in den Blick zu nehmen und dabei disziplinäre Grenzen zu überschreiten.

"Die Erderwärmung verändert zum Beispiel die Art und Weise, wie die Menschen künftig von Land und Meer leben können", sagt Godduhn. Die Umweltwissenschaften seien wichtig, um den Wandel zu bewerten und vorherzusagen, wie sich die Kommunen in der Arktis und Subarktis anpassen müssen. Es werde viel zu tun geben in den kommenden Jahrzehnten im hohen Norden, und dafür brauche es gut ausgebildete Bürger. Wegen der globalen Erwärmung und dem Schmelzen des Permafrostbodens werden Bodenschätze leichter erreichbar. Deren Abbau berge große Herausforderungen und Gefahren, sagt Godduhn.

Sieben Kernkurse gehören zum Bachelor der arktischen Universität: Eine Einführung, zwei Kurse über Land und Umwelt, zwei über Menschen und Kulturen und zwei über die derzeitigen Herausforderungen in der Region. Außerdem muss ein Semester lang ein vertiefendes Fach an einer der beteiligten Hochschulen direkt, also nicht im Internet, belegt werden. In den Online-Kursen wird jede Woche eine Vorlesung plus Zusatzliteratur freigeschaltet. Die Studenten müssen dann über eine zentrale Frage in einem Forum diskutieren, pro Semester mindestens zwei Arbeiten schreiben und am Ende eine Prüfung ablegen.

Das größte Problem ist die Sprache

Godduhn hat noch keinen ihrer Studenten persönlich kennengelernt, alle Kommunikation läuft in Internetforen, per E-mail oder Skype. Wegen der verschiedenen Zeitzonen und Sprachen ist das nicht immer einfach: "Die Studenten, die Kurse abbrechen, scheitern meistens an der Sprache." Viele Studenten hätten Schwierigkeiten mit dem Englischen, sagt Godduhn. "Auch wenn ich mir Mühe gebe zu verstehen, was sie sagen wollen, haben diese Studenten einen klaren Nachteil. Aber ich bemühe mich trotzdem, ihre Ideen und ihr Wissen zu beurteilen, und nicht ihr Englisch."

Die Arbeit in so stark international geprägten Kursen sei nicht nur für die Studenten, sondern auch für sie selbst eine Bereicherung: "Wir ermutigen die Studenten, von denen die meisten aus unterschiedlichen Regionen der Arktis stammen, Erfahrungen aus ihren Heimatgemeinden einzubringen: von welchen Tieren sie leben, welche Erntetechniken sie haben, welche klimatischen Veränderungen sie in ihrer Umwelt feststellen. Es ist auch interessant zu hören, wie sich die politischen Entscheidungen der regionalen und nationalen Regierungen direkt auf das tägliche Leben auswirken." Die Foren seien ein aktueller, authentischer und dadurch unschätzbar wertvoller Teil der Wissenvermittlung in dem Studiengang, sagt Godduhn.

Das Interesse wächst

Aleksandra Beloglazova studiert im russischen Arkhangelsk Chemie und hat zwei Semester an der UARC studiert. "Die Online-Foren machen es leichter, die Kurse neben dem normalen Studium zu belegen, gleichzeitig muss man aber sehr selbstdiszipliniert sein." Inhaltlich sieht sie sich durch das Studium bereichert: "Ich verstehe jetzt die Probleme besser, mit denen die Umwelt und die Menschen in der Arktis kämpfen. Ich bin sicher, dass mir die Kurse für mein weiteres Studium hilfreich sind."

Ungefähr 100 Studenten haben bisher den Bachelor erworben, die meisten aus Russland und Kanada; auch ein Deutscher, der in Norwegen studierte, ist darunter. Hinzu kommen etliche Studenten, die nur einige Kurse belegen, sagt Emmy Neuls, die Programmkoordinatorin der Uni. Das Interesse sei stark gewachsen, sagt sie. "Als wir die ersten Kurse anboten, hatten wir 66 Teilnehmer. Seitdem haben fast 5500 Studenten hier Kurse belegt, allein 2008 waren 1754 Studenten eingeschrieben."

Die Artkis ist näher als man denkt

Für Godduhn ist der Grund dafür klar: "Der Rückgang des arktischen Meereises ist das offensichtlichste Symptom für die Erderwärmung, er wird wichtige Auswirkungen auf den ganzen Erdball haben." Die doppelte Bedeutung der Arktis als Seismograph und Beschleuniger globaler Veränderungen werde immer mehr erkannt - und die Kursinhalte der University of the Arctic kämen dem entgegen. Wie auch dem wachsenden Bewusstsein, dass die Arktis doch nicht so weit weg ist von den tieferen Breiten, wie viele früher glaubten.

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