Universitäts-Karrieren:Leben in der Warteschleife

Junge Forscher investieren viel Zeit in eine Uni-Karriere. Am Ende ist der "wissenschaftliche Nachwuchs" nicht selten 40 Jahre alt und arbeitslos.

Birgit Taffertshofer

Guido Fischer hat schon einiges geschafft in seinem Leben. Er ist 39 Jahre alt, promoviert, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni in Aachen, leitete ein Forschungsprojekt in Gießen und brachte es vor fünf Jahren zum Juniorprofessor. Doch nun wirkt der Zwei-Meter-Mann, der schon immer hoch hinaus wollte, ganz klein. Vor einem Jahr verschickte er Bewerbungen an mehrere Universitäten - eine Rückmeldung hat er bis heute nicht.

"Virtuell Reality"-Labor

Ein Studen im "Virtuell Reality"-Labor der TU Dresden. In Deutschland klagen viele Nachwuchsforscher, auch die Uni-Karriere habe etwas Irreales an sich.

(Foto: Foto: dpa)

Wieder einmal liegt seine Zukunft im Vagen. Kein angenehmes Gefühl als Vater einer kleinen Tochter. Und die Erfahrungen des Mikrobiologen zeigen, was für deutsche Hochschulen symptomatisch ist: Sie bieten dem Nachwuchs keine verlässlichen Karriereperspektiven. Deshalb schlagen junge Wissenschaftler nun immer lauter Alarm.

Mehr Sicherheit, weniger Risiko? Neigen jetzt also schon junge Forscher zur Beamtenmentalität? Nein. Wer sich für eine Karriere an der Hochschule entscheidet, darf nicht zu viel Wert auf eine klare Zukunftsplanung legen. Aber selbst wer beste Leistungen erbringt, hat oft ungewisse Aussichten auf eine Professur. Nach der Habilitation ist man zunächst nur Privatdozent. Erst wenn eine Universität nach einem oft langen, undurchsichtigen Auswahlverfahren einen Ruf erteilt, ist die Karriere gesichert. Viele warten darauf vergebens.

"Unsere Zukunfts- und Hoffnungsträger werden in den Hochschulen wie Bittsteller behandelt", sagte Bernhard Kempen, Präsident des Hochschulverbands, vergangene Woche in Stuttgart. Dies ist auch Selbstkritik, wie sie bei Verbandstagen eher selten zu hören ist. Doch Kempen ist es ernst: Bereits vor sechs Jahren habe der Verband Leitlinien für den Umgang mit Bewerbungen formuliert, doch geändert habe sich wenig. Nach wie vor hofften viele Bewerber vergebens auf ein zügiges, transparentes Berufungsverfahren.

"Wir brauchen einen Mentalitätswandel an den Universitäten", appellierte er an seine Kollegen. Professoren müssten viel mehr auf die jungen Kollegen zugehen. Sonst brauche man sich nicht zu wundern, wenn gerade die talentierten Forscher den Unis den Rücken kehrten.

Nach einem neuen Bericht für das Bundesbildungsministerium gibt es im Ausland oft günstigere Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Promovierten bietet Deutschland im Vergleich zu Großbritannien, Frankreich und den USA die geringste Aussicht, eine unbefristete Stelle als selbständiger Forscher zu bekommen. Nur ein Fünftel der Hochschullehrer erhält Dauerstellen an den Universitäten. In Großbritannien sind es zwei Drittel, in Frankreich drei Viertel, in den USA mehr als die Hälfte.

Leben in der Warteschleife

Hierzulande machen sich allerdings auch vergleichsweise viele Kandidaten auf den Weg zum Professor. Für jene, die den Anforderungen am Ende nicht genügen, fehlen alternative Aufgaben an der Uni. In den USA steigen Mitarbeiter in einem festen System auf, wenn sie etwas leisten.

Zwar ist die Uni-Karriere im Ausland oft steiniger, aber in Deutschland lebten Nachwuchsforscher viel zu lange im Unklaren, kritisieren die Autoren des 285 Seiten starken Berichts. Es fehlten frühzeitige Perspektiven. Nur 40 Prozent der Habilitierten werden zum Professor ernannt.

Den anderen droht das Schicksal, von der Alma Mater ins berufliche Aus geschubst zu werden. Zumindest dürfte ein beruflicher Neueinstieg im fortgeschrittenen Alter nicht mehr so einfach sein, Akademiker sind bei der Habilitation im Durchschnitt 40 Jahre alt. Die Bezeichnung "wissenschaftlicher Nachwuchs" klingt da eher wie böse Ironie.

Neue Perspektiven bieten Modelle wie die "Tenure-Track"-Professur, die in den USA seit langem üblich ist. Professoren auf Probe könnte man die neuen Kollegen auch nennen. Wenn sie sich sechs Jahre als Juniorprofessor bewähren, haben sie ohne öffentliche Ausschreibung Aussicht auf eine Daueranstellung an der Uni. Bislang besetzen aber nur etwa zehn Prozent der bundesweit 800 Juniorprofessoren eine Tenure-Track-Position.

Die Universitäten sehen Bund und Länder in der Pflicht, das Modell auszubauen. Der Hochschulverband fordert insgesamt sogar 40 Prozent mehr Professorenstellen. Utopisch, heißt es im Bundesministerium, die Unis müssten ihre Personalpolitik verbessern, um langfristige Perspektiven zu schaffen.

"Schier unerträgliche Situation"

Juniorprofessoren müssen Vorlesungen halten, Prüfungen abnehmen, Studenten betreuen und Forschungsanträge schreiben. Habilitanden haben zwar ein ähnliches Arbeitspensum, sie sind aber einem Professor unterstellt. Eine Situation, die der Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz, schier unerträglich findet. Er bringt auf den Punkt, was viele junge Wissenschaftler denken: "Wer Leistungsfähigkeit fordert, muss frühe Selbständigkeit fördern." Denn wenn alles über den Tisch eines etablierten Professors geht, gibt es für die jungen Forscher wenig Gelegenheit, sich selbst auszuprobieren, Fehler zu machen, Umwege zu gehen und ein eigenes Profil auszubilden.

Im Ausland ist der deutsche Weg zum Professor ohnehin meist nur schwer zu vermitteln. Diese Erfahrung machte auch Matthias Klatt. Der Rechtswissenschaftler ist derzeit Fellow an der Universität Oxford. Und auch wenn die reiche Eliteuniversität keineswegs pauschal als Vorbild für deutsche Hochschulen taugt, findet Klatt, dass deutsche Professoren gerade im Umgang mit dem Nachwuchs noch viel von ihren Kollegen in Großbritannien lernen könnten. Dort habe er ein Miteinander von Alt und Jung erlebt, an deutschen Hochschulen stoße man stattdessen nicht selten auf Desinteresse oder gar Misstrauen.

Guido Fischer weiß, wovon sein Kollege spricht. Gerade Juniorprofessoren würden von habilitierten Kollegen zuweilen kritisch beäugt. Manche sprächen sie stur mit Doktor statt Professor an. Kein Wunder, dass zwei Drittel der Juniorprofessoren nach einer Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) mit dem Gedanken spielen, doch noch zu habilitieren. "Das ist der Wahnsinn an sich", meint dazu CHE-Geschäftsführer Detlef Müller-Böling. Denn gerade die Juniorprofessur, die bei guter Leistung in eine Dauerstelle führt, wäre endlich eine gerechte Perspektive für junge Wissenschaftler.

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