Süddeutsche Zeitung

Universitäten:Doping-Kontrolle für Studenten

Um nächtelang lernen zu können, setzen immer mehr Studenten auf Psychopharmaka. Die Medizinerin Isabella Heuser hält Urin-Proben vor Klausuren für denkbar.

Claudia Schuh

Eine Studie der Techniker Krankenkasse zeigt, dass Studenten überdurchschnittlich viele Psychopharmaka nehmen. Leistungssteigernde Mittel sind offenbar weit verbreitet. Die Medizinerin Isabella Heuser von der Berliner Charité erforscht das "Neuro Enhancement", so nennen Experten die Verbesserung der Denkleistungen mit Medikamenten.

SZ: Im Internet tauschen sich Schüler und Studenten über "Wunderpillen" und Lerndoping aus. Brauchen wir Doping-Kontrollen vor Klausuren?

Isabella Heuser: Doping-Kontrollen kennen wir ja bisher nur im Sport, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie bald auch andere Berufszweige durchdringen und irgendwann die Universitäten erreichen. Bei Diskussionen in Internet-Foren muss man aber aufpassen, es gibt viel Imponiergehabe. Da frage ich mich: Kann das überhaupt sein? Wo kriegen Schüler und Studenten die Pillen her? Das meiste ist verschreibungspflichtig, einiges fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Dennoch: "Lernpillen" sind ein Thema.

SZ: Wie viele Schüler und Studenten schlucken denn solche Pillen?

Heuser: Es gibt noch keine Studien, deshalb ist unser Forschungsprojekt so wichtig. Wir wollen damit endlich eine Diskussion anstoßen. Ich kann vor allem über Studenten sprechen, die zu mir in die Beratung kommen, nicht über Schüler. Bei Studenten sind Lernpillen relativ verbreitet, gerade in Medizin und Jura.

SZ: Weil Mediziner und Juristen viel Stoff lernen müssen?

Heuser: Daran kann es liegen. Bei Medizinstudenten mag es auch damit zu tun haben, dass sie besser Bescheid wissen über den Einsatz von Psychopharmaka.

SZ: Bereiten sich Prüflinge mit Pharmazeutika auf Klausuren vor?

Heuser: Ja, ich sehe sie in meiner Sprechstunde. Und ich bekomme auch mit, was Studenten in den psychologischen Beratungsstellen erzählen. Die suchen meist erst das Gespräch, wenn etwas schiefgegangen ist, brechen sie zusammen. Sie erzählen dann, dass sie solche Pillen von Kommilitonen bekommen haben. Neulich hatte ich den Fall einer jungen Medizinstudentin. Sie bekam das Ritalin, das sie nachts wach halten sollte, von ihrer Mutter; ihre Mutter ist Ärztin.

SZ: Ephedrin, Ritalin, Amphetamin, Modafinil: Diese Mittel sollen bei Gesunden die Leistungsfähigkeit erhöhen, wach machen, aufputschen.

Heuser: Amphetamine als Lernpillen wirken wie illegale Drogen, vergleichbar mit Ecstasy. So, wie man die Nacht durchtanzen will, will man dann die Nacht durcharbeiten. Es schadet sicher nichts, wenn ich das einmal mache. Aber über Wochen hinweg steigert es den Blutdruck. Und Schlafmangel kann zu Halluzinationen und schweren Erschöpfungszuständen führen.

SZ: Und man kann abhängig werden?

Heuser: Ja. Und Jugendliche können sich sehr schwer vorstellen, dass auch Substanzen, die sie nur kurzfristig nehmen, Nebenwirkungen haben können. Nicht nur Schlaf, auch Hunger und Durst werden unterdrückt. Viele nehmen stark ab. Tiefschlaf-Mangel führt zu schweren körperlichen Problemen. Es gibt Abhängigkeiten wie bei Drogen.

SZ: Experimente der Uni Münster haben bei erwachsenen Probanden gezeigt, dass sich beim Lernen von Vokabeln die Lernleistung durch Dopamin erhöhen lässt. Was Kranke gesund machen soll, macht Gesunde schlauer?

Heuser: Nein. Lernpillen machen Gesunde nicht schlauer. Schulische und studentische Leistungen sind komplexer als Vokabellernen. Man kann mit Dopamin und anderen Stoffen kurzfristig Leistungen steigern, in sehr begrenztem Bereich.

SZ: Was raten Sie Studenten, die zu Ihnen kommen?

Heuser: Wenn sie sagen, sie haben schwere Prüfungen, klären wir sie über die Folgen der "Gehirndrogen" auf. Und dass das nicht die Lösung sein kann. Ich empfehle ein "strukturiertes Regime": Lernen nach Plan und Regeln, mit Pausen und genügend Schlaf. Länger als acht Stunden konzentriert zu lernen funktioniert nicht, Durchlernen mit Pillen ist ein gefährliches Versprechen.

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Quelle:
SZ vom 10.3.2008/mia
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