Universitäten:Die Lehre vor dem Sturm

Zu wenig Dozenten, zu viele Studenten, zu schlechte Vorlesungen: An deutschen Hochschulen wird die Lehre vernachlässigt. Vielen Professoren sind Vorlesungen eine Last.

Tanjev Schultz

Wenn Theo Dingermann joggt oder Auto fährt, hört er sich die Vorlesungen von Kollegen amerikanischer Spitzenunis an. Der Frankfurter Pharmazie-Professor lädt sich die Vorträge im Internet herunter, um etwas zu lernen. Dabei geht es ihm nicht ums Fachwissen, sondern um Inspiration für den eigenen Vortragsstil. Jede Vorlesung sollte ein Erlebnis sein, sagt Dingermann. Ein Professor dürfe nicht einfach den Stoff herunterbeten, er müsse Geschichten erzählen, Spannung aufbauen.

Hörsaal, dpa

Hörsaal in München: Die Lehre spielte in dem Elite-Uni-Wettbewerb noch keine Rolle.

(Foto: Foto: dpa)

Damit auch in Massenvorlesungen niemand wegdöst, bittet Dingermann die Studenten mit Hilfe von elektronischen Wahlgeräten in den Hörsaalreihen Fragen zu beantworten - so als seien sie Günther Jauchs Publikumsjoker ("Welches Medikament würden Sie empfehlen?"). Aber nicht das Prüfen von Wissen steht im Vordergrund, sondern das Diskutieren. Auf die Quiz-Fragen des Professors gibt es oft keine eindeutigen Antworten.

Ansporn durch Kollegen ist rar

Dingermann sagt, er lehre leidenschaftlich gerne. Glücklich sind die Studenten, die so einen Hochschullehrer haben. In Deutschland gibt es für Professoren bisher kaum Anreize, ihre Kraft und Kreativität in die Lehre zu stecken. Druck oder Ansporn durch Kollegen sind rar, viele Wissenschaftler erleben die Lehre als Last: zu viele Seminare, zu viele Studenten und zu viele Prüfungen.

In den vergangenen zwei Jahren hat die Politik mit der Exzellenzinitiative versucht, die Spitzenforschung zu stärken. Die Lehre spielte in dem Elite-Uni-Wettbewerb noch keine Rolle. Nun aber will der Wissenschaftsrat einen Aufbruch in den Hörsälen organisieren. An diesem Donnerstag tagt das einflussreiche Gremium, dem außer Professoren auch die Wissenschaftsminister von Bund und Ländern angehören, in Rostock, um "Empfehlungen zur Qualität von Lehre und Studium" zu verabschieden.

Der Chef des Rates, der Münchner Professor Peter Strohschneider, kämpft dafür, dass Wissenschaftler besser auf die Arbeit im Hörsaal vorbereitet werden. Gute Lehrleistungen müssten auch bei Berufungen eine größere Rolle spielen, bisher zählt vor allem die Reputation in der Forschung. Strohschneider dringt außerdem darauf, dass Wissenschaftler sich gegenseitig in Lehrveranstaltungen besuchen und so voneinander lernen.

In der Tradition Humboldts

Eine bessere Aus- und Fortbildung der Hochschullehrer allein wird jedoch nicht genügen. Wer die Qualität der Lehre steigern will, muss auch über Quantitäten sprechen. Dass mit Strohschneider derzeit ein Germanist an der Spitze des Wissenschaftsrats steht, wirkt wie ein Zeichen. Denn in keinem anderen Fach ist die Betreuungsrelation - die Zahl der Studenten je Professor - so ungünstig wie in diesem.

Im Durchschnitt kommen auf jeden Germanistik-Professor 119 Studenten, sagt Strohschneider. Zählt man Langzeitstudenten mit, sind es sogar mehr als 140. Eine "gleichberechtigte Gelehrtengeselligkeit" von Professoren und Studenten, die Helmut Schelsky einst in der Tradition Humboldts pries, ist da unendlich fern. Es kommt vor, dass Prüfer und Prüflinge sich am Tag des Examens zum ersten Mal treffen.

Auf der nächsten Seite: Das unausgesprochene Bündnis zwischen Professoren und Studenten.

Die Lehre vor dem Sturm

Unzuträgliche Lehrmethodik

Auch in den Naturwissenschaften, in Jura oder BWL gibt es Klagen, in den Geisteswissenschaften aber, so sagt der Freiburger Historiker Ulrich Herbert, sei ein Teil der Lehre regelrecht "verrottet". Vielerorts hätten Studenten und Dozenten ein unausgesprochenes Bündnis geschlossen: "Die einen akzeptieren die unzuträgliche Lehrmethodik, die anderen garantieren gute Noten auch bei eigentlich unzureichenden Leistungen."

Herbert fordert kleinere Seminare und ein größeres Lese- und Schreibpensum für die Studenten, deren Arbeiten ausführlich besprochen werden müssten. Ohne "rabiate Reduktion der Betreuungsrelationen" sei dies nicht zu schaffen.

Für ihre Aufgaben in der Lehre erhalten die Hochschulen in Deutschland deutlich weniger Geld als in England, der Schweiz oder in den USA. Auch die in einigen Bundesländern eingeführten Studiengebühren können dies nicht ausgleichen. Kritisch ist die Situation auch deshalb, weil die Zahl der Studenten noch einmal drastisch steigen wird, wenn in den kommenden Jahren die letzten geburtenstarken Jahrgänge an die Unis drängen.

Um sie unterzubringen und zugleich die Qualität der Lehre zu verbessern, sind nach Expertenmeinung milliardenschwere Investitionen nötig. Den genauen Bedarf will der Wissenschaftsrat am Freitag beziffern. Die Hochschulallianz, ein Zusammenschluss von Professoren und Studenten, hat bereits eine stolze Summe genannt, die jedes Jahr zusätzlich in die Hochschulen fließen müsse: 2,7 Milliarden Euro.

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