Formaljuristisch hat sein Professor recht, das weiß auch Roger Vogel. Aber moralisch? "Ein Telefonanruf, eine kurze E-Mail, das hätte genügt." Die E-Mail blieb aus, das Telefon stumm, und Roger Vogel soll jetzt gut 1000 Euro Anwaltskosten zahlen. Anfang November bekam der Leipziger Student Post von einer Kanzlei aus Stuttgart. Er habe ein Buch des Journalistikprofessors Marcel Machill eingescannt und ins Internet gestellt, lautete der Vorwurf. Der Hinweis stammt dem Schriftverkehr zufolge vom Autor. "Das war nicht klug von mir", sagt Vogel. "Ich habe das aber nicht aus Profitgier gemacht oder um Professor Machill zu schaden, ich wollte meinen Kommilitonen helfen."
Es geht um das jüngste Buch des Leipziger Wissenschaftlers: "Medienfreiheit nach der Wende", das Machill als einer von drei Herausgebern im UVK-Verlag publiziert hat. Nach ein paar Wochen war die Erstauflage vergriffen. Erst seit kurzem kann man das Werk wieder im Buchhandel kaufen. Warum ist Machills Buch so gefragt? Die Antwort findet sich in der Literaturliste zu seiner Einführungsvorlesung "Grundlagen der Journalistik". Auf Seite fünf steht: "Die Klausur dauert 90 Minuten. Als Hilfsmittel ist das Buch ,Medienfreiheit nach der Wende' erlaubt. Andere Hilfsmittel, Notizen oder Kopien sind nicht erlaubt.
" Wer die Klausur bestehen möchte, sollte sich das Buch kaufen. Bereits in vergangenen Semestern ließ Machill eines seiner Bücher als Hilfsmittel zu und stellte in der Klausur Fragen, die sich ohne Buch kaum lösen ließen. Von den 343 Studenten, die sich in diesem Semester für die Prüfung angemeldet haben, werden nur 20 ein Exemplar aus der Uni-Bücherei nutzen können. Diese hat 22 Exemplare gekauft. 20 davon sind längst ausgeliehen und mehrfach reserviert. Nur zwei Präsenzexemplare können noch eingesehen werden.
Eines davon landete unter Roger Vogels Flachbettscanner. Weil das Buch mehrere Wochen nicht verfügbar war, hatte er seinen Laptop und einen Scanner in die Bibliothek mitgenommen. "Zuerst habe ich aus Versehen das falsche Buch eingescannt und ins Internet gestellt, es gibt ja so viele Bücher von ihm", sagt Vogel. Im zweiten Anlauf digitalisierte er das richtige Buch - in sehr niedriger Auflösung. Druckt man die gescannten Seiten aus, sind nur ein paar graue Schatten zu sehen. "Ich habe die Qualität der Kopie bewusst herabgesetzt", sagt er. Schließlich sei es nicht seine Absicht gewesen, dass jeder das Buch ausdrucken könne und es nicht mehr kaufen müsse. "Mir war wichtig, dass man es einigermaßen am Bildschirm lesen kann, um die Zeit zu überbrücken bis das Buch wieder erhältlich ist."
Weshalb zwingt Machill seine Studenten dazu, seine Bücher zu kaufen? Geld alleine kann es nicht sein. Zwar nennt der UVK-Verlag auf Nachfrage keine Honorare. Doch andere UVK-Autoren geben an, dass sie zehn Prozent der Erlöse als Honorar überwiesen bekämen. Bei einem Verkaufspreis von 39 Euro würde das 3,90 Euro pro Buch bedeuten, die Machill sich aber noch mit seinen beiden Co-Herausgebern teilen müsste. Machill äußert sich nicht dazu. "Ich habe keine Lust, meine Zeit mit irgendwelchen Studenten zu vertändeln", sagte er auf SZ-Anfrage und beendete das Gespräch.
Der Prorektor für Lehre und Studium, Wolfgang Fach, ist nicht überrascht: "Herr Machill ist einmalig, wir haben laufend Probleme mit ihm", sagt er. "Es vergeht praktisch kein Semester, in dem ich mich nicht mit der Causa Machill beschäftigen muss. Es fehlt mir leider der Löffel, um diesen Brei auszulöffeln." Er könne erst tätig werden, wenn sich mehr Studenten über Machill beklagten. Schon im März entschloss sich Machill dazu, in mündlichen Abschlussprüfungen nur noch die Inhalte zweier Bücher abzufragen. "Die Macht der Suchmaschinen" und "Journalistische Recherche im Internet". Herausgeber beider Werke: Marcel Machill. "Die Prüfung zur mittleren Reife ist anspruchsvoller als ein Examen bei Professor Machill", spotten bereits Kollegen an anderen Instituten.
Der Dekan der sozialwissenschaftlichen Fakultät, Günter Bentele, kann die Kritik nachvollziehen. Es sei nicht üblich in Leipzig, dass bloß zwei Bücher in einer Prüfung abgefragt würden. "Aber es ist legitim im Rahmen der Lehrfreiheit eines Hochschullehrers." Eingreifen könne die Universität nur dann, wenn Machill in seinen Prüfungen Aufgabe stellte, die der Prüfungsordnung widersprächen. Aber davon ist nicht auszugehen, Marcel Machill sitzt dem Prüfungsausschuss für Journalistik selbst vor.