Uni-Magazin "Anwesenheitsnotiz":Endlich mehr als einen Leser

Viele Hausarbeiten von Studenten sind gut - und trotzdem verschwinden sie nahezu ungelesen in der Schublade eines Professors. Ein neues Magazin soll das ändern. Veröffentlicht wird nach ganz eigenen Kriterien.

Maria Holzmüller

So viel wertvolle Zeit, so viele herausragende Gedanken - und jetzt soll all das in der Schublade eines einzigen Professors verschwinden? Jeder, der schon mal eine Hausarbeit an der Uni geschrieben hat, kennt das Gefühl: Die Arbeit ist abgegeben und damit auch in der Versenkung verschwunden. Mit etwas Glück liest der Professor sie vollständig, manchmal nur dessen Assi - aber sonst garantiert niemand.

Manchmal ist das durchaus besser so, aber in manche Aufsätze stecken Studenten auch Herzblut, Engagement und Zeit - und sind selbst am Ende richtig zufrieden mit ihrem Ergebnis. Dass sich an diesen Aufsätzen künftig auch andere Studenten und Professoren in ganz Deutschland erfreuen können, dafür sorgt eine Gruppe von Studenten an der Freien Universität Berlin. In ihrem Magazin Anwesenheitsnotiz veröffentlichen sie Hausarbeiten von Studenten aus ganz Deutschland.

"Vor zwei Jahren haben wir mit Kommilitonen darüber gesprochen, was für spannende Hausarbeiten wir zum Teil schreiben, und wie schade es ist, dass sie von kaum jemandem gelesen werden. So geht es vielen Studierenden", sagt Martin Lhotzky, Mitbegründer von Anwesenheitsnotiz und Master-Student der Theaterwissenschaften.

Ein eigenes Magazin sollte das ändern - und den Studenten endlich den Blick über den Tellerrand ermöglichen. "Schon in unserem eigenen Studiengang bekommen wir kaum mit, was die Kommilitonen so machen - über Studienganggrenzen hinweg gibt es kaum Austausch über Hausarbeiten. Gerade deshalb haben wir unser Magazin sehr interdisziplinär angelegt", sagt Nele Solf, ebenfalls Mitbegründerin von Anwesenheitsnotiz und Studentin der Literatur- und Theaterwissenschaften.

Von der Idee zum vorliegenden Magazin dauerte es nicht lange. Der Alumni-Verein der FU Berlin, die Ernst-Reuter-Gesellschaft, erklärte sich schon kurz nach der Vorstellung des Konzepts bereit, die Finanzierung für fünf Ausgaben Anwesenheitsnotiz zu übernehmen.

Das erste Heft, die Ausgabe 0, erschien im April 2010. "Das war eine Art Test für uns, deshalb haben wir nur Arbeiten von uns und aus unserem Freundeskreis aufgenommen", erzählt Nele Solf. Erst nach einem positiven Feedback sammelte die fünfköpfige Redaktion Themenvorschläge für das zweite Heft. Etwa 20 Arbeiten wurden aus ganz Deutschland eingeschickt, um die zehn schaffen es in eine Ausgabe. Die Studenten erwartet im besten Falle Ruhm - Geld bekommen sie für ihre Arbeiten nicht.

Veröffentlicht werden Hausarbeiten aus dem Bereich der Kultur- und Geisteswissenschaften. Die fünfköpfige Redaktion um Lhotzky und Solf entscheidet, welche Arbeiten ausgewählt werden - die Note auf der Arbeit spielt dabei keine Rolle. "Wir lassen uns die Note zwar sagen, aber wirklich wichtig ist sie uns nicht", sagt Nele Solf.

Leser in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Den Studenten-Verlegern kommt es auf andere Dinge an: "Es gibt keine objektiven Kriterien. Manchmal überzeugt uns der Schreibstil, manchmal der Aktualitätsbezug eines Themas und manchmal die Herangehensweise. Am Ende stimmen wir zu fünft über jede eingereichte Arbeit ab", sagt Martin Lhotzky.

Solf  Ihotzky

Zwei aus der Redaktion von Anwesenheitsnotiz: Nele Solf und Martin Lhotzky.

(Foto: Harald Kahn)

Alle Texte sind auch online zu finden, dort erhoffen sich die Anwesenheitsnotiz-Macher eine Diskussion zu den Themen. Bislang melden sich nur wenige User zu Wort. Ein Grund dafür könnte sein, dass viele Themen zu speziell seien, um ohne Hintergrundwissen eine Diskussion anfangen zu können, mutmaßt Martin Lhotzky.

Ob es um Johann Sebastian Bach, Lars von Triers Ring-Inszenierung oder um die Inszenierung kultureller Identität geht - damit auch sachlich alles stimmt, zählt die Anwesenheitsnotiz-Redaktion auf einen wissenschaftlichen Beirat im Hintergrund, der jede Arbeit überprüft.

Inzwischen erscheint Anwesenheitsnotiz alle sechs Monate mit einer Auflage von 600 Stück. Die werden von Freunden und Bekannten der Redaktion an Unis in Deutschland, Österreich und der Schweiz verteilt.

Die Resonanz von Studenten und Professoren ist durchweg positiv. "Eine Professorin hat sogar eine Hausarbeit, die sie in unserem Magazin gelesen hat, in ihren Seminar-Reader aufgenommen", erzählt Nele Solf.

Für die Zukunft hofft sie, dass die Auflage noch weiter steigt - und die Finanzierung über die fünf ersten Ausgaben hinaus gesichert bleibt. Ein Geschäft wollen die Studenten aus ihrer Idee jedoch nicht machen. "Das ganze soll ein studentisches Projekt bleiben. Und kostenlos. Wenn wir mit unserem Studium fertig sind, sollten andere Studenten die Redaktion und das Lektorat übernehmen", sagt Nele Solf.

Ohne Leidenschaft für die Idee geht das kaum. Schon jetzt gestalten sich Auswahl und Lesen aller eingereichten Arbeiten als äußerst zeitaufwendig. "Da der größte Arbeitsaufwand immer auf den Anfang der Semesterferien fällt, gelingt es uns allen noch, unser Studium normal weiter zu führen", sagt Solf. Und das Lesen der Hausarbeiten ihrer Kommilitonen ersetzt sicherlich so manche Vorlesung.

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