Uni:Know-How für den Bauern

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Agrarökologen aus Rostock sind derzeit nicht arbeitslos.

Adalbert Zehnder

(SZ vom 27.03.2001) Leicht hätten die Messebesucher sie übersehen können: In einem kleinen Eckchen in Halle 12 auf der Fachmesse "Eurotier 2000" vor wenigen Monaten in Hannover präsentierte sich ein Studiengang, der in Deutschland einzigartig ist. Weil - wie so häufig an der Universität - das Geld ist knapp ist, haben die werbenden Studenten und Professoren mit neun Quadratmetern die kleinstmögliche Standgröße gewählt und verzichten auch auf den anderswo üblichen Multi-Media-Auftritt. Drei Studenten, Ines, Annett und Clemens aus Rostock und zwei ihrer Professoren bemühen sich um Studieninteressenten. Viel haben sie nicht zu bieten: Ein paar Fotos, an die Wand projiziert, von Kühen und Hennen, Seminargebäuden und der nahe gelegenen Ostsee, fünf Körbe Äpfel, die zu wissenschaftlichen Zwecken angebaut wurden und Prospekte mit dem nicht gerade zündenden Titel: "Agrarökologie - ein innovativer Studiengang".

Ein Hauch von Exotik

Um eine drohende Abwicklung der agrarwissenschaftlichen Fakultät zu verhindern, entstand Anfang der Neunziger Jahre in Rostock die Idee, sich mit einer Variante des Fachs einen unverwechselbaren Anstrich zu geben. Damit war Rostock die erste Universität, die Agrarökologie als Disziplin etablierte. Auch heute ist sie noch die einzige Hochschule, die es als Vollstudium anbietet. Insgesamt 347 Studenten waren im Wintersemester 1999/2000 eingeschrieben.

In den ersten Jahren galt der Studiengang als exotisch, der von Agrarwissenschaftlern allein aus Idealismus aufrecht erhalten werde, erinnert sich Wolfgang Methling, damals Professor für Tiergesundheitslehre und inzwischen zum Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern avanciert. Angesichts der aktuellen, Ländergrenzen längst sprengenden Krise in der Landwirtschaft sei augenfällig geworden, wie sehr "die Gesellschaft ein Fach wie Agrarökologie braucht", sagt Methling. Unverhofft ist der Disziplin die Aufgabe zugefallen, dringend benötigtes Personal für die von Verbraucherschutzministerin Renate Künast proklamierte Wende in der Agrarpolitik heranzuziehen: umweltbewusste Bauern; Experten für Landwirtschafts- und Umweltbehörden, Ernährungs- und Futtermittelindustrie, Consulting-Firmen, Verbraucherverbände oder Genossenschaften.

Mit Herz und Verstand

Bei uns sollen "Herz und Verstand beieinander sein", sagt Institutsleiter Martin Gabel. Agrarökologie betrachte die Landwirtschaft nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern ganzheitlich; sozial, psychologisch, ökonomisch und ökologisch eingebettet in den ländlichen Raum. Es gehe darum, pflichtet Elmar Mohr bei, einerseits die herkömmliche Landwirtschaft umweltgerechter zu gestalten. Anderseits wolle man die ökologische Landwirtschaft auf eine fundiertere, auch rationalere Basis stellen und dabei nicht davor zurückzuschrecken, auch die Richtlinien der Ökolandbau-Verbände zu hinterfragen. Wir wollen klar machen, dass "man auch dann drillen darf, wenn der Mond nicht hier oder da am Himmel steht", sagt der Professor für Tiergesundheitslehre ; Know-How wollen die Rostocker anbieten, weil Parasiten wie Lungenwurm oder Leberegel unter glücklichen Kühen auf der Wiese viel leichter grassierten, weil sie frei herumliefen, und davor warnen, dass Öko- Rinder unter bestimmten Umständen mehr umweltschädliche Treibhausgase in die Atmosphäre hinausfurzen können als konventionell gefütterte.

Studentin Ines aus dem Sauerland rümpft zwar ein wenig die Nase, wenn sie an die antiquierte und DDR-Charme versprühende Ausstattung am Institut denkt. Doch sie schätzt die persönliche Atmosphäre. Bei den Professoren kann sie unangemeldet anklopfen. Sie kennten die Studenten mit Namen, nähmen sie als Mentoren unter ihre Fittiche.

Die "Eurotier 2000" ist zu Ende. Die Körbe mit den Äpfeln sind leer. Dankbar für jede Stärkung haben die Messebesuchern den Rostockern ihre Boskops, Elstars und Jonagolds aus der Hand gerissen. Fragt sich nur, wer hier wen umwerben sollte. Am Stand seien Firmenvertreter aufgetaucht, die "händeringend Absolventen gesucht" hätten, erzählt Ines. Sie selbst, obwohl im siebten Semester und ohne Abschluss, sei alleine von fünf Headhuntern umschwärmt worden, die sie "von der Messe weg" eingestellt hätten: als Pflanzenschutzberaterin, für eine Vermarktungsbörse im Internet, als Fachjournalistin. Und auf die Frage, wie denn die Chancen stünden, nach dem Studium als arbeitslose Akademikerin da zu stehen, sagt die 24-jährige Studentin: "ziemlich schlecht".

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