Uni Hamburg entzieht Doktorgrad:Trotz Mangels an Beweisen

Wegen geistigen Diebstahls hat die Universität Hamburg einem Anwalt den Doktortitel entzogen. Und das, obwohl das entscheidende Dokument für einen direkten Beweis fehlt: das Original der Dissertation.

Hermann Horstkotte

Mitte des Monats hat die juristische Fakultät der Universität Hamburg einem Anwalt den Doktortitel entzogen. Der Grund: geistiger Diebstahl. Der Mann soll ein Plagiator sein. So etwas kommt, wie die Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen erfahren musste, ja immer wieder an deutschen Hochschulen vor.

Doktorarbeit

Die Uni Hamburg hat einem Rechtsanwalt seinen Doktortitel entzogen, obwohl das Originalexemplar verschollen ist. Im Bild: ein Doktorhut.

(Foto: dpa)

Aber der Fall in Hamburg ist speziell; hier liegen die Dinge etwas anders als sonst. Denn das einzige Prüfexemplar der umstrittenen Dissertation aus dem Jahre 2009 ist nicht mehr auffindbar - und damit fehlt das entscheidende Dokument für einen direkten Beweis der mutmaßlichen Abschreiberei.

Der Verdacht der Hochschule stützt sich also nicht auf das Original, sondern auf eine Veröffentlichung im Internet und in ein paar Buchexemplaren. Diese bezeichnet der Autor nun als noch unfertige "Arbeitsversion" aus dem Jahr 2005. Zu den "peinlichen und versehentlichen Verwechslungen" mit dem endgültigen Promotionstext sei es in einem "dutzendfachen E-Mail-Austausch mit einer Internetdruckerei" gekommen, beteuert er in seiner Stellungnahme gegenüber dem Promotionsausschuss.

Das Missgeschick habe er erst bemerkt, nachdem Plagiate-Jäger im Internet Übernahmen aus anderen Texten dokumentiert hatten, denen die notwendigen Gänsefüßchen und Quellennachweise fehlten. Dabei handelte sich um einen klaren Verstoß gegen die wissenschaftlichen Zitierregeln.

Dass mit der Publikation etwas nicht stimmte, zum Beispiel auch ein Inhalts- und Literaturverzeichnis fehlen, war nicht einmal der Unibibliothek aufgefallen, als die nötigen Druckexemplare der Dissertation dort eingingen. Nach den Enthüllungen der Internetaktivisten auf der Webseite "VroniPlag" schickte der Jurist Mitte Juni seine Doktorurkunde prompt per Einschreiben mit Rückschein an die Uni zurück.

"Zeugnis und Titel stehen mir ja erst zu, wenn ich die echte, geprüfte Fassung veröffentlicht habe", betont er in Einklang mit seinem Anwalt, dem bekannten Verwaltungsjuristen Wolfgang Zimmerling. Der verweist auch auf die Stellungnahme des Doktorvaters Thomas Bruha vor dem Promotionsausschuss. Darin gibt dieser "zu bedenken, dass bei dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht mit hinreichender Sicherheit von einer Identität der den Plagiatsvorwürfen zugrunde liegenden elektronischen Version mit dem offiziellen Promotionsexemplar ausgegangen werden kann".

Die Druckfassung enthält Plagiate

Der Prüfer riet allerdings vergeblich, die Hochschule solle sich mit der "Verzichtserklärung" des Doktoranden begnügen und von einer förmlichen Titelaberkennung absehen. Nach Ansicht vieler juristischer Experten ist es durchaus möglich, eine Doktorurkunde einfach wie einen Führerschein zurückzugeben und damit einer Aberkennung durch die Behörde zuvorzukommen. Die Gegenposition vertritt etwa der Hamburger Professor Werner Thieme, in vergangenen Jahrzehnten ein Schrittmacher des Hochschulrechts.

In die verzwickte Lage ist die Universität Hamburg nur geraten, weil sie das Prüfexemplar mit den Randbemerkungen der beiden Gutachter dem Doktoranden ausgeliehen hatte. Dieser sollte die Gelegenheit bekommen, die Anmerkungen und Ratschläge der Prüfer für die veröffentlichte Fassung zu berücksichtigen.

Und das Zweitexemplar der Dissertation ist nach bestandener Prüfung gleich vernichtet worden, die Verwaltung will sich wohl nicht mit zu vielen Schriften und Archivbeständen belasten. Die Druckfassung wiederum musste der Kandidat nicht noch einmal von seinen Prüfern absegnen lassen. Das spart allen Zeit. Dieser Verzicht auf eine nochmalige Kontrolle ist auch an anderen Universitäten durchaus üblich.

Der promovierte Jurist nahm das einzige Original mit den Anmerkungen seiner Prüfer mit in die USA. Dorthin zog es seine Frau beruflich, er selbst macht dort bis Ende Juli eine Familienpause mit zwei kleinen Kindern. Das Original hatte er nach eigenen Angaben schon bald durchgesehen und per Post nach Hamburg zurückgeschickt. Angeblich existiert darüber auch eine Quittung. Doch die Sendung ist an der Universität offenbar nie angekommen oder, falls doch, irgendwie verlorengegangen, vielleicht auf den Fluren oder in einem Büro. Eine Rückverfolgung der Sendung blieb bisher jedenfalls erfolglos.

Zwei Hoffnungen hat der verdächtigte Doktor jetzt noch. Wenn er zurück in Deutschland ist, könnte er die "echte" Promotionsfassung auf dem heimischen Rechner wiederfinden. Die andere Möglichkeit: Aus Mangel an Beweisen könnte die Aberkennung des Titels vor Gericht scheitern. Was aber, wenn der Kandidat doch unsauber gearbeitet hat, auch in der Endfassung der Dissertation? Dann käme ihm das Verschwinden des Originals sicher nicht ungelegen.

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