Uni-Frust:Diagnose: Bacheloritis

In diesem Jahr werden zehn Jahre Bologna-Reform gefeiert - vielen Studenten ist aber nicht nach Party zumute. Im Gegenteil: Der Leistungsdruck ist so gewaltig, dass fast jeder Dritte aufgibt.

In diesem Jahr werden zehn Jahre Bologna-Reform gefeiert - vielen Studenten ist aber nicht nach Party zumute. Im Gegenteil: Im Sommer haben Tausende beim Bildungsstreik ihrem Ärger über die Reform Luft gemacht. Denn sie hat dafür gesorgt, dass viele Studenten gehörig unter Leistungsdruck stehen. In der Folge leiden etliche unter Uni-Frust, fast jeder Dritte wirft das Handtuch.

Uni-Frust: Wenn das Studium keinen Spaß mehr macht: Diagnose Bacheloritis.

Wenn das Studium keinen Spaß mehr macht: Diagnose Bacheloritis.

(Foto: Foto: ddp)

Experten haben im Zuge der Bologna-Reform eine neue Krankheit ausgemacht, die unter Studenten grassiert: die Bacheloritis. Sie äußert sich in Prüfungsangst und Stresssymptomen. "Der Druck hat zugenommen", ist die Beobachtung von Achim Meyer auf der Heyde vom Deutschen Studentenwerk in Berlin. "Und damit sind auch der Stress und die Angst vor dem Versagen gewachsen."

Überfrachteter Bachelor

Das zeige sich täglich in den Beratungsstellen der Studentenwerke: Studenten suchten hier häufiger Hilfe wegen psychischer Probleme als früher. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Durch die Verkürzung der Studienzeit seien die Lehrpläne im Bachelor oft überfrachtet worden. "In den Ingenieurswissenschaften ist zum Teil einfach der Stoff von vier Jahren in drei Jahre gepackt worden", sagt Meyer auf der Heyde.

Studienanfänger sind in der jetzigen Umbruchphase daher fast zu bemitleiden - manche dürften sich wie Versuchskaninchen vorkommen. Denn sie bekämen noch viel Unausgegorenes aufgetischt, beklagt Florian Keller vom Dachverband der Studentenschaften in Deutschland fzs in Berlin. Vielerorts sei die Umstellung übers Knie gebrochen worden. Das Ergebnis: Die Reform wurde zwar schnell umgesetzt, aber ohne Rücksicht auf Verluste - Operation gelungen, Patient tot.

Inzwischen geben sich auch die Verantwortlichen einsichtig: "Wir wissen gut, dass mancherorts die Prüfungslast zu hoch ist oder Studienpläne zu eng geplant sind", sagt Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in Bonn.Für Studienanfänger in diesem Herbst kommt diese Einsicht aber zu spät, sagt Meyer auf der Heyde. Sie müssen sich noch durch die jetzigen Lehrpläne kämpfen.

Die folgenden Tipps helfen Studienanfängern gegen die Bacheloritis:

Gemeinsam statt einsam lernen: Viele fühlen sich im Bachelor alleingelassen: Laut dem Hochschul-Informations-System (HIS) in Hannover beklagen 38 Prozent in den Naturwissenschaften mangelndes Feedback von den Professoren, in den Sozialwissenschaften sogar 49,8 Prozent. Da hilft es, sich mit anderen auszutauschen - auch, um sich mal den Frust von der Seele zu reden. 2Man merkt dann: Ich bin nicht der einzige, der Probleme hat2, sagt Meyer auf der Heyde.

Prüfungsangst nicht unter den Teppich kehren: Studienanfänger sollten rechtzeitig Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie merken, dass ihnen alles zu viel wird, rät Keller. Dazu gehört, vor einem Studienabbruch mit einem Studienberater zu reden. Und wer Prüfungsangst hat, muss sich nicht als Weichei fühlen - er leidet bloß unter dem ganz normalen Bachelor-Wahnsinn. Studenten sollten daher keine Hemmungen haben, psychische Probleme anzusprechen, ergänzt Meyer auf der Heyde. "Das ist nichts Ehrenrühriges."

Lernen, mit dem Stress umzugehen: Kurse zur Prüfungsvorbereitung und zum Zeitmanagement können laut Meyer auf der Heyde helfen, die Abwehrkräfte gegen die Bacheloritis zu stärken. Studenten lernen darin, sich den Stoff einzuteilen und bei vollen Stundenplänen den Überblick zu behalten. Das hilft, mit der Belastung besser umzugehen.

Das Hamsterrad anhalten

Finanziell vorsorgen: Bacheloreinsteiger müssen vor Semesterbeginn ihre Studienfinanzierung klären, rät Meyer auf der Heyde. Die dichten Lehrpläne ließen kaum Zeit, um neben dem Studium zu jobben. Wenn zum Zeit- und Leistungsdruck aber noch Finanzsorgen kommen, ist das oft der Anfang vom Ende. So denkt nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach derzeit jeder dritte Student in den ersten Semestern über einen Studienabbruch nach oder hat ihn schon einmal erwogen. Drei Viertel der akut Betroffenen sagen, dass sie Probleme haben, ihr Studium zu finanzieren.

Das Hamsterrad anhalten: Wer merkt, dass er mit dem Lehrplan nicht mithalten kann, sollte rechtzeitig mehr Zeit einplanen. Dabei müssen Studenten aber genau hingucken, welche Kurse und Prüfungen sich im nächsten Semester nachholen lassen. Ein Semester dranzuhängen, sei oft nicht einfach, weil viele Lehrpläne einen Jahresrhythmus haben, erklärt Keller. Wer aber gleich zwei Extrarunden dreht, fliegt unter Umständen ganz raus.

Wechseln statt aussteigen: Bekommen Studenten den Bachelor-Blues, dürfen sie nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Vor einem Studienabbruch sollten sie einen Fach- oder Ortswechsel erwägen. "Da muss man zu Beginn die Augen offenhalten und sich fragen: Ist das Fach das richtige? Und die Uni auch?", erklärt Keller. Bevor sie sich nur noch durchs Studium quälen, sollten Studienanfänger lieber rechtzeitig reagieren. "Wenn man nach dem ersten Semester merkt, dass es das falsche Fach ist, ist ein klarer Cut oft das Beste."

Das Ziel vor Augen haben: Bei akutem Uni-Frust hilft es, nach vorne zu schauen und sich klarzumachen, dass sich der Stress im Studium später in der Regel auszahlt. "Es lohnt sich", sagt Meyer auf der Heyde. "Hochschulabsolventen haben gute berufliche Aussichten und sind selten arbeitslos, das ist statistisch erwiesen." Damit können sich Studenten vielleicht trösten, wenn sie die Bacheloritis plagt.

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