Süddeutsche Zeitung

Ungleiche Bezahlung von Frauen:Sie sind doch nicht blöd

Frauen sind angeblich mit weniger Gehalt zufrieden als Männer. Das heißt nicht, dass sie ungerechte Bezahlung akzeptieren - sie kennen es oft nur nicht anders.

Cathrin Kahlweit

Frauen finden, dass "ihnen gerechterweise ein geringeres Bruttoeinkommen zusteht als Männern". So lautet der Kernsatz einer Studie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung am Dienstag gemeinsam mit den Universitäten Bielefeld und Konstanz veröffentlicht hat. Die wissenschaftliche Interpretation der zwei zugrunde liegenden Untersuchungen irritiert allerdings: Selbst Frauen seien der Meinung, dass Frauen am Arbeitsplatz weniger verdienen sollten als Männer, heißt es, oder, überspitzt: Wenn die Gehaltslücke von etwa 20 Prozent zwischen Frauen und Männern fortbesteht, dann sind die Frauen, sorry, daran auch mitschuldig; sie geben sich ja auch mit weniger zufrieden und schätzen den Wert ihrer Arbeit geringer ein. Eine gute Nachricht könnte das sein für Personalchefs und Controller; müsste doch demnach die Welt voll sein von glücklichen, unterbezahlten Arbeitsbienen.

Merkwürdig allerdings, dass die Forscher bei der direkten Frage danach, ob Männer mehr verdienen sollten als Frauen, immer ein empörtes Nein! ernteten. Bei direkten Vergleichen - hier ein engagierter Arzt mit drei Kindern, dort eine engagierte Ärztin mit drei Kindern - hätte wohl kaum eine Befragte geantwortet, es sei völlig okay, dass die Ärztin weniger auf dem Lohnzettel hat als der Mann. Aber der direkte Vergleich wurde nicht erfragt. Gefragt wurde nach der Einschätzung, was Arbeit wert ist - die Arbeit von Männern und die Arbeit von Frauen. Heraus kam, die Arbeit von Frauen sei weniger wert. Überraschung?

Wohl kaum. Selbsteinschätzung ist immer das Ergebnis von Sozialisation und Erfahrung. Zur Lebenserfahrung von Arbeitnehmerinnen gehört: Sie verdienen im Durchschnitt weniger als Männer. Sie werden häufig niedriger eingruppiert als Männer. Sie jobben in schlechter bezahlten, prekären Jobs mit geringerem Sozialprestige als Männer. Sie machen seltener Karriere als Männer. In Gehaltsverhandlungen blitzen sie häufig mit ihren Vorstellungen ab - schließlich, so die immer noch häufig anzutreffende Argumentation männlicher Vorgesetzter, verdiene der Ehemann doch auch, die Familie sei also versorgt; ein anderes, allen Gleichstellungsgesetzen zum Trotz gern genutztes Argument ist, Frauen seien aufgrund der zusätzlichen Sorge für Kinder und Haushalt weniger belastbar und weniger flexibel einsetzbar, also sei ein niedrigeres Gehalt angemessen. Frauen antizipieren diese Argumente und richten ihre Forderungen daran aus.

Auch fehlende Erfahrung spielt eine Rolle: Frauen wissen oft gar nicht, was Männer in vergleichbaren Positionen verdienen; darüber wird, zumindest in der freien Wirtschaft, nur ungern gesprochen. Das konzedieren auch die Verfasser der aktuellen Studie, wenn sie mehr Transparenz fordern. Aber diese Transparenz würde eventuell das Gefühl mangelnder Gerechtigkeit verstärken, was durchaus auflebt, wenn Arbeitnehmerinnen wissen, dass ihre Büronachbarn besser bezahlt werden als sie selbst. Also wird die Offenlegung von Gehältern, soweit möglich, vermieden.

Zur Sozialisation von Frauen gehört auch, dass gute Arbeit und gutes Geld nicht zwangsläufig gekoppelt sind. Sie halten, auch das belegen aktuelle Studien, die Atmosphäre am Arbeitsplatz oft für wichtiger als das Gehalt, wenn es um die Zufriedenheit im Job geht; anders gesagt: Sie setzen andere Prioritäten. Wenn also danach gefragt wird, was ihnen "gerechterweise" zusteht, so ist die Antwort vielleicht ein Indikator dafür, dass sie mit ihrem Gehalt subjektiv zufrieden sind. Aber es ist kein Indikator dafür, dass sie finden, Frauen sollten bei gleicher Leistung weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Im Gegenteil.

Übrigens: In Westdeutschland liegt die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen bei 25 Prozent, im Osten aber nur bei sechs Prozent, denn dort gibt es mehr Kinderbetreuung, mehr Frauen in Vollzeitjobs, mehr Frauen in Chefpositionen. Manchmal ist Gerechtigkeit das Resultat nackter Tatsachen.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2010/holz
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