Ungerechte Gehälter für Frauen:Das arme Geschlecht

Frauen in Führungspositionen

Sind Frauen "finanzielle Analphabeten"? Volkswirte geben ihnen Mitschuld an der Gehälterungerechtigkeit.

(Foto: dpa)
  • Frauen gehen immer mehr arbeiten, erwirtschaften aber deutlich weniger Vermögen als Männer und stehen am Ende oft ärmer da als erwartet.
  • Warum ist das so? Frauen tragen selbst Verantwortung dafür - zum Teil, ohne es zu merken. Etwa durch die Berufswahl.
  • Familienministerin Schwesig will die Lohndiskriminierung beenden.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Wenn der Gabentisch abgeräumt ist und das Weihnachtsgeld verfuttert, herrscht in vielen Familien Jahreswend-Ebbe in der Kasse. Manche werden sich dann fragen, wo das ganze schöne Geld eigentlich hin ist, das übers Jahr erschuftet wurde. Diese Frage sollten sich besonders Frauen stellen. Untersuchungen zeigen, dass das weibliche Geschlecht besonders anfällig ist für ein Phänomen, das in der Fachsprache financial illiteracy heißt, also finanzieller Analphabetismus.

Gemeint ist damit nicht die Unfähigkeit, einen Bankautomaten zu bedienen oder das Haushaltsgeld einzuteilen. Es geht um die Frage, warum immer mehr Frauen arbeiten gehen, dabei aber deutlich weniger Vermögen erwirtschaften als Männer und am Ende oft ärmer dastehen als erwartet. Zu den wichtigsten Ursachen zählt die Tatsache, dass Frauen in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger verdienen als Männer und bei der gender pay gap, der geschlechtsspezifischen Gehaltslücke, im europäischen Spitzenfeld liegen.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) will das ändern und in diesem Jahr ein Entgeltgleichheitsgesetz durchsetzen. "Das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen ist in Deutschland höher als in manch anderem EU-Land. Das ist ungerecht", sagt sie. "Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, diese Lohndifferenz zu bekämpfen." Unternehmen ab 500 Mitarbeitern sollen verpflichtet werden offenzulegen, ob und warum Frauen schlechter bezahlt werden als Männer. Für Arbeitnehmer werde "ein individueller Auskunftsanspruch festgelegt", heißt es im Koalitionsvertrag. Zudem sollen bei der Beurteilung von Mitarbeitern künftig auch Leistungen bei Erziehung und Pflege berücksichtigt werden.

Selbstbeschränkung bei der Berufswahl

Nach dem Streit über die Frauenquote darf man sich also schon auf das nächste gesellschaftspolitische Scharmützel in der Koalition freuen. Wer sich eingehender mit dem Wohlstandsgefälle zwischen den Geschlechtern befasst, wird aber auch feststellen, dass nicht alles, was da ungerecht ist, aus Diskriminierung geboren ist. Frauen tragen in hohem Maß selbst Verantwortung dafür, dass sie am Ende eines Familien- und Arbeitslebens oft schlechter dastehen als ihr Partner oder Ex-Partner. Viele Weichen haben sie eigenhändig gestellt - nur eben, ohne es zu merken.

Es geht mit der Selbstbeschränkung bei der Berufswahl los: Mädchen neigen immer noch zu sozialen Berufen, Dienstleistungsjobs oder solchen, die verdienstvoll, aber oft schlecht bezahlt sind. Junge Frauen studieren häufiger als Männer überwiegend Geisteswissenschaften oder Medizin. Für Mathe, Informatik oder Naturwissenschaften entscheidet sich nur jede fünfte, auch wenn die Tendenz steigend ist. Ein Grund: Frauen halten sich mangels Vorbildern nicht für geeignet. Und: Geld interessiert viele nicht besonders.

Christina Boll ist Forschungsdirektorin am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut und untersucht, wie die weibliche Nichtbefassung mit Geld sich mit männlicher Einschätzung weiblicher Arbeitskraft paaren kann, zum Schaden der Frauen. Boll greift dabei auf Zahlen des Statistischen Bundesamts zurück. 22 Prozent Gehaltsunterschied gibt es demnach zwischen Frauen und Männern. 15 Prozentpunkte, also der Löwenanteil, gehen aber nicht auf Benachteiligung zurück, sondern darauf, dass für unterschiedliche Arbeit und Qualifikation unterschiedlich gezahlt wird. Entscheidend sind da Faktoren, die Frauen selbst beeinflussen können: Berufswahl, Länge des Arbeitstages oder die Frage, ob Führungsjobs übernommen werden.

"Man schreibt Frauen eine geringere Produktivität zu als Männern"

Knapp sieben Prozentpunkte machen dagegen Fälle aus, in denen nicht ersichtlich ist, warum Arbeit ungleich bezahlt wird. Auf der Suche nach den Ursachen stieß Volkswirtin Christina Boll auf ein ganzes Bündel von Phänomenen. "Frauen verhandeln ihre Gehälter in der Regel schlecht", sagt sie. "Manche legen viel Wert auf flexible Arbeitszeiten, was zu Lohneinbußen führt." Wollten Frauen mehr Zeit im Homeoffice verbringen, gingen Arbeitgeber davon aus, dass dort nicht konzentriert gearbeitet werde. Auch drückten Phasen von Arbeitslosigkeit bei Frauen später stärker aufs Lohnniveau als bei Männern, denen eher zugetraut werde, nach einem Karriereknick wieder auf die Beine zu kommen. Vieles sei von Rollenklischees geleitet. "Man schreibt Frauen eine geringere Produktivität zu als Männern", sagt Boll.

Ganz entscheidend für die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist die Länge von Babypausen. Diese "Auszeiterfahrung" beeinflusst Berufsbiografien vor allem im Westen Deutschlands. Wenn entschieden wird, ob ein Kind in die Kita soll, denkt kaum jemand über finanzielle Langzeitwirkungen nach, die meist Mütter treffen. Forscherin Boll hat errechnet, dass eine 28-Jährige, die ein Kind bekommt, drei Jahre zu Hause bleibt und dann weitere drei Jahre in Teilzeit arbeitet, alleine bis zum 45. Lebensjahr 180 000 Euro weniger verdient als eine Frau, die im gleichen Job durchgängig Vollzeit arbeitet. Die Teilzeitmutter kann die andere bis zur Rente nicht mehr einholen.

Schritte auf nassem Asphalt, 201

Manager sollten zur Selbstreflexion fähig sein, sagen Berater. Ein partizipativer und kooperativer Führungsstil in Unternehmen dürfte dies erleichtern.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Nun geht es nicht darum, die Erziehung eines Kindes in bare Münze umzurechnen. Das Problem liegt vielmehr darin, dass kaum eine Frau die Entscheidung für eine Babypause im Bewusstsein trifft, was das langfristig für sie bedeutet - und entsprechend mit dem Partner und dem Arbeitgeber verhandelt. "Es fühlt sich erst mal gar nicht so schlecht an", sagt Volkswirtin Christina Boll. Ein Kind kommt, es gibt Elterngeld, der Partner verdient, und irgendwie wird man sich dann schon die Rente teilen. Die Rechnung kommt später. Vor allem nach einer Trennung merken Frauen, wie ungleich gewirtschaftet wurde. "Das will keiner wahrhaben", sagt Boll. "Jeder denkt, so weit wird es nicht kommen."

Bei mehr als jedem zweiten Ehepaar besitzt der Mann mehr Nettovermögen als die Frau

Wer 14 Jahre in Teilzeit arbeitet, bekommt nur 64 Prozent der Rente seines voll berufstätigen Partners. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat errechnet, was aus dem persönlichen Vermögen werden kann, wenn Frauen sich nicht dafür interessieren. Der Sozioökonom Markus Grabka stellte fest, dass 66 Prozent der Ehepaare angeben, ihr Geld in einen Topf zu werfen. Betrachtet man aber ihr Nettovermögen, also Immobilien, Betriebsvermögen oder Aktien, ist der Besitz der Männer um 28 Prozentpunkte größer als der der Frauen. Daran ändere sich seit Jahren nichts, obwohl immer mehr Frauen eigenes Geld verdienen.

Nur in 19 Prozent der Partnerschaften ist das Vermögen laut DIW auf beide Partner gleich verteilt. Bei mehr als jedem zweiten Ehepaar besitzt der Mann mehr als die Frau, im Schnitt 33 000 Euro. "Männer sind häufiger alleiniger Eigentümer einer Immobilie", sagt Forscher Grabka. Auch bei Schenkungen und Übertragung von Betriebsvermögen schneiden sie besser ab. Wo nur der Ehemann für Geldanlagen zuständig ist, kommt doppelt so viel Rendite heraus - für den Mann. Die Frauen haben das Nachsehen. Wirtschaftet nur die Frau, wird am gerechtesten geteilt, dafür fällt der Gewinn aber kleiner aus. Viele Frauen verzichten aus Desinteresse darauf, sich mit Geld und Besitz zu beschäftigen - die Folgen können gravierend sein.

Doch dieses Desinteresse, die financial illiteracy, ist keine Krankheit und nicht angeboren, sondern wird unterwegs erworben, besonders gern von Frauen. Ihre Ursachen, sagen Forscher, können überwunden werden.

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