Umweltschulen:Lieber machen als meckern

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Der Schulgarten ist nur eines von vielen Projekten der Grundschule Moorriem. Die Kinder haben zahlreiche Aktivitäten zur Müllvermeidung gestartet. (Foto: privat)

An der Grundschule Moorriem und am Hildegardis-Gymnasium kümmern sich junge Klimabotschafter um Umweltschutzprojekte. Ihr Engagement geht dabei über das schulische Leben hinaus.

Von Rebekka Gottl

Ein als Pinguin verkleideter Schüler hüpft im warmen Sand von einem Bein aufs andere, ein Jugendlicher mit Eisbärenmaske bedauert das Wegbrechen der Eisschollen. Über ihm erscheint eine Sprechblase, darin in Handschrift: "Ich mach' bald schlapp". Mit ihrem selbstgedrehten Musikvideo "Prima-Klima" macht die achte Klasse der Heinrich-Neumann-Schule in Remscheid auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam. "Jeder macht so viel, wie er kann", heißt es im Refrain des Hip-Hop-Songs, "Klimaschutz geht uns alle etwas an." Ihr Musikprojekt, das für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren soll, haben die Schüler im vorigen Jahr auf der schuleigenen Bühne wie im Bundesumweltministerium in Berlin vorgetragen. Sie traten vor Gleichaltrigen auf: den Gewinnern des bundesweiten Energiesparmeister-Wettbewerbs, bei dem sie selbst den Sonderpreis der Jury verliehen bekamen. Der Wettbewerb kürt Umweltschützer an Schulen und zeichnet jährlich das beste schulische Klimaschutzprojekt aus jedem Bundesland aus.

Manche Schulen kooperieren mit Stiftungen oder übernehmen Gebietspatenschaften

Zu den Siegern gehören unter anderem Clara Würth und Moritz Brack, Klimabotschafter am Hildegardis-Gymnasium Kempten. Die beiden wollen mithelfen, die vereinbarten Klimaschutzziele einzuhalten - und verfolgen daher einen ganzheitlichen Ansatz. Bis 2026 soll ihre Schule klimaneutral werden. "Am meisten CO₂ verursachen Lehrer und Schüler, die mit dem Auto zur Schule kommen", sagt der 16-jährige Moritz. Daher werden für drei Wochen im Jahr die Fahrräder aus dem Schuppen geholt, um am Stadtradeln teilzunehmen. "Mehr als 50 000 gefahrene Kilometer hat das Hilde letzten Sommer gesammelt", sagt Clara. Als Klimabotschafterin engagiert sich die 17-Jährige in der Klimaschutz-AG, in der Schüler aller Jahrgangsstufen zusammenkommen. Ursprünglich habe man überlegt, einen Parkplatz auf der Brache hinter der Schule zu bauen, sagt sie, "stattdessen werden wir dort demnächst einen Schulgarten anlegen". Sei es das Ziel, eine klimaneutrale Schule zu werden, oder sei es eine Baumpflanzaktion, "ohne eine Projektgruppe der Lehrer wären die meisten unserer Ideen nicht umsetzbar", sagt Moritz. Dass engagierte Lehrkräfte den Vorschlägen der Schüler gegenüber aufgeschlossen sind, dürfte einer der Gründe sein, weshalb das Hildegardis-Gymnasium sich nicht nur den Energiesparmeister-Titel holte, sondern sich auch "Umweltschule in Europa" nennen darf.

Seit 26 Jahren nimmt Deutschland bereits am Projekt "Umweltschule" teil, zuletzt mit 1500 Schulen. "Für viele Bildungseinrichtungen ist die Auszeichnung eine Wertschätzung für geleistete Arbeit im Bereich Umweltverträglichkeit", sagt Robert Lorenz von der Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung, der das Projekt "Umweltschule in Europa" bundesweit koordiniert. Andere Schulen hingegen motiviere die Teilnahme, über eine nachhaltige Ausrichtung überhaupt erst nachzudenken. Umweltschule darf sich nennen, wer ein selbstgewähltes Klimaschutzprojekt entwickelt und umsetzt. Deutschlandweit beteiligen sich die meisten Schulen zehn Jahre in Folge, viele sogar länger.

Die Grundschule Moorriem im niedersächsischen Elsfleth ist bereits zum vierten Mal dabei. "Um die Teilnahme würden wir gar nicht mehr herumkommen", sagt die Lehrerin Ines Hühnlein. Die Kinder haben jedes Schuljahr neue Ideen, die sie verwirklichen möchten. "Sie sind stolz darauf, Umweltschule zu sein." Die Grundschüler wählen Klassenvertreter, sogenannte Umwelt-Kids, die darauf achten, dass ihre Mitschüler sich klimagerecht verhalten: Ist die Heizung bei Schulschluss runtergedreht, machen die Letzten das Licht aus, wird der Müll ordnungsgemäß getrennt? Die Umwelt-Kids erstellten ein eigenes Webvideo und luden es auf dem Portal Youtube hoch: Bei "Moorriem-TV" erklären sie, wie Glas eingeschmolzen wird, verfolgen den Weg einer Plastiktüte nach deren Gebrauch und geben Upcycling-Tipps. Im Schulgarten werden Obst und Gemüse angepflanzt. An den Projekttagen rund um das Schulgartenfest im Herbst beschäftigen sich die Klassen mit einer Obst- oder Gemüsesorte, die sie selbst angebaut haben: Dieses Jahr soll der Apfel im Mittelpunkt stehen.

Wasser, Energie, Abfall - in diesen drei Bereichen zeigen bereits einfache Maßnahmen eine große Wirkung, so Lorenz von der Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung. Nachhaltigkeitsprojekte in diesen Feldern seien eine gute Möglichkeit für den Einstieg. Fortgeschrittene Umweltschulen wiederum erkunden mit Förstern den Wald oder bauen Nistkästen mit Vogelschützern. "Beeindruckend sind Vorhaben, die fachübergreifend ins Curriculum eingeplant werden", sagt Lorenz. Dazu gehören Gebietspatenschaften, sei es für einen Bachlauf oder eine Obstwiese. Wie das in der Praxis aussieht, zeigt die Grundschule Moorriem. Nachdem die Schüler alte Verpackungsreste und anderen Müll aus der Weser gefischt hatten, wurde im Sachunterricht über Mikroplastik diskutiert, in Mathe ausgerechnet, was ein Eimer Wasser wiegt, und im Musikunterricht wurden Flüsse und Meere besungen. Nachdem die Schüler einen Uferstreifen gesäubert und das Gewässer untersucht haben, lassen sie Müll künftig weniger achtlos liegen, so der dahintersteckende Gedanke.

Es gibt viele Möglichkeiten, Nachhaltigkeitsprojekte, die im Klassenzimmer entstanden sind, außerhalb der Schule umzusetzen. So haben die Erstklässler aus Elsfleth aus getragenen Oberteilen Stoffbeutel gebastelt, die im örtlichen Supermarkt als Alternative zu Plastiktüten ausliegen. Hersteller von Süßigkeiten haben die Schüler in einem Brief auf den vermeidbaren Verpackungsmüll hingewiesen. "Wir wollen aber nicht nur meckern", sagt ihre Lehrerin Ines Hühnlein, "sondern haben selbstgebastelte, wiederverwertbare oder biologisch abbaubare Gegenvorschläge mitgeschickt." Ebenso konkret ist die Baumpflanzaktion der Klimabotschafter des Hildegardis-Gymnasiums, für die sie sich mit der Stiftung Plant-for-the-Planet zusammengetan haben. Um ihre Ideen an den umliegenden Schulen zu verbreiten, haben die Gymnasiasten außerdem Hörstationen und Plakate erstellt.

Ihr klassenübergreifendes Wasser-Projekt setzt die Grundschule Moorriem zurzeit aus. Auch die Fotoaktion "Gesicht zeigen für den Klimaschutz" des Hildegardis-Gymnasiums musste wegen Corona verschoben werden. Doch sobald die Klimabotschafter wieder in gewohnter Weise in der Schule zusammenkommen können, werden sie sich, ihre Mitschüler und Lehrer fotografieren lassen. Die etwa 1200 Porträts sollen zu einem großen Gesamtbild in Gestalt der Erde zusammengesetzt und im Eingangsbereich des Gymnasiums aufgehängt werden. Damit wollen sie andere motivieren, sich ebenfalls für den Umweltschutz starkzumachen. Bestenfalls werden sie damit nicht nur ihre Mitschüler erreichen, sondern auch ihre Mitmenschen.

Nähere Informationen: www.umweltschulen.de; www.energiesparmeister.de

© SZ vom 05.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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