Süddeutsche Zeitung

Umstrukturierung im Unternehmen:Vom Mitdenker zum Mitläufer

Berufliche Heimatlosigkeit: Vorgesetzte müssen verhindern, dass bei Veränderungsprozessen im Betrieb die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer schwindet.

Hartmut Volk

Um die Arbeitszufriedenheit der Belegschaften könnte es besser stehen. Kostensenkungsprogramme und Umstrukturierungen drücken auf die Stimmung. Das zeigt nicht nur das vom amerikanischen Meinungsforschungsinstitut Gallup regelmäßig publizierte Stimmungsbarometer. "Die Leute haben die ständige Unruhe und das Kurzzeitdenken satt und empfinden das Management als einseitig verpflichtet und unglaubwürdig", sagt Thomas Weegen, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Coverdale in München. Sehnlichster Wunsch vieler Arbeitnehmer: sich endlich mal wieder in Ruhe und konzentriert um eine Sache kümmern zu können.

Hans Hinterhuber, Chef der Innsbrucker Unternehmensberatung Hinterhuber, wundert das wenig. Die "Veränderungsaktivitäten" würden häufig "eher aktionistisch als strategisch betrieben", sagt er. Das bringe in der Regel eine Aufkündigung des sogenannten psychologischen Vertrags mit sich, der unausgesprochene Vorstellungen über die gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer enthält. Und das kann für ihn nichts anderes als Unzufriedenheit und Entfremdung vom Unternehmen hervorbringen.

"Mag es auch in Zeiten der allenthalben geforderten Flexibilität antiquiert klingen, die Mehrzahl der Beschäftigten leidet beträchtlich darunter, dass sie ihren Betrieb nicht mehr als Heimat empfinden kann", sagt Hinterhuber. Dieser Tatsache werde viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Erosion der inneren Leistungsbereitschaft

Nicht nur aus menschlichen, auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen sei das kurzsichtig. Schließlich stünde hinter dem oft belächelten Gefühl der beruflichen Heimatlosigkeit eine nachweisbare Konsequenz: Identifizieren sich die Mitarbeiter nicht mehr mit ihrem Betrieb, bewirkt das eine Erosion der inneren Leistungsbereitschaft. "Aus Engagement wird Arbeit, aus Akteuren werden Mitläufer", sagt Hinterhuber.

Das Unternehmen verliert mit einer Belegschaft, die sich ihm innerlich nicht mehr verbunden fühlt, auch "die Basis seiner unverwechselbaren betrieblichen Individualität. Und seine wichtigsten Botschafter", sagt Bernd Stauss, Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Die ausschließliche Fokussierung auf die Kosten macht kurzsichtig. Unabhän-gig von seiner Größe ist jedes Unternehmen ein soziales Gebilde mit entsprechender sozialer Aufgabe und Verantwortung. Wird in der menschlichen Arbeitskraft vorrangig ein Kostenfaktor und damit Einsparpotential gesehen, ist das keine tragfähige Basis für nachhaltiges unternehmerisches Handeln, sagt Berater Hinterhuber. Beispiele dafür sind überall mit den Händen zu greifen.

Spielball der Ereignisse

Die Mitarbeiter fühlen sich zum Spielball von Ereignissen degradiert, deren Notwendigkeit und auch Sinnhaftigkeit ihnen in grundsätzlicher Hinsicht durchaus einleuchtet. Doch im Gegenzug reduzieren sie ihrerseits ihren "Kostenaufwand": Dienst nach Vorschrift, kein kritisch-innovatives Mitdenken mehr, kein Widerspruch, innere Kündigung. "Weitsichtige Unternehmensführung verliert die Gefühle der Belegschaft nie aus dem Blick", sagt Coverdale-Berater Weegen.

Sichtet man die einschlägigen Forschungsergebnisse, sind Emotionen außerordentlich nachhaltige Wirkkräfte für das Funktionieren eines Betriebs. Denn: Die Mitarbeiter setzen ihr Potential in Abhängigkeit von ihrer Befindlichkeit im Leistungsprozess um. Entsprechend emotional sensibel sollten Veränderungsprozesse gestaltet werden. Diese Sensibilität sollte so verstanden werden, dass vorwiegend negative Erlebnisse wie beispielsweise die immer wieder beklagte mangelnde Information über Art und Zielsetzung des Geplanten vermieden werden.

Wege aus dem Gewohnten

Eine emotional sensiblere Gestaltung von Veränderungsprozessen zielt darauf, positive Gefühle zu wecken. Das gelingt umso zuverlässiger, je mehr die Mitarbeiter ihr Knowhow in den Veränderungsprozess einfließen lassen können und sich als Mit-Veränderer und nicht als ausschließlich Veränderte oder gar Veränderungsungsverlierer erfahren. Veränderungsprozesse schlagen fehl, wenn sie in Gang gesetzt werden, ohne sich des Rückhalts der Belegschaft zu versichern und ohne ihr im Veränderungsgeschehen immer wieder Zeit zum Atemholen zu geben.

Veränderungsprozesse sind immer Wege aus dem Gewohnten in das Unbekannte. Zwangsläufig stehen an ihrem Anfang Verlustängste, Gefühle der Verunsicherung, der Sorge, der Furcht, meint Weegen. "Umso wichtiger ist es, die Mitarbeiter in diesen Prozess nicht hineinzutreiben, sondern hineinzuführen."

Zum Weiterlesen:

Die Coverdale-Veränderungsstudie "Metastabilität und Rhythmus" ist nachzulesen unter www.coverdale.de

Willibert Schleuter und Johannes Stosch: Die sieben Irrtümer des Change Managements und wie Sie sie vermeiden. CampusVerlag 2009, 218 Seiten, 39,90 Euro

Konrad Stadler: Die Kultur des Veränderns - Führen in Zeiten des Umbruchs. DTV 2009, 240 Seiten, 14,90 Euro

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SZ vom 05.12.2009/holz
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