Umfrage:Jeder Zweite erlebte schon sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Lesezeit: 3 Min.

Nicht immer ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz so klar zu greifen, wie in expliziten Aufforderungen oder eindeutigen Handlungen. (Foto: TAGSTOCK2 - Fotolia)
  • Laut einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) haben mehr als die Hälfte aller Beschäftigten im Job schon Situationen erlebt, die rechtlich als sexuelle Belästigung gelten.
  • 17 Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer werteten erlebte Vorfälle auch selbst als sexuelle Belästigung.
  • Die wenigsten Befragten kennen ihre Rechte als Arbeitnehmer. Auch Arbeitgeber wissen nur unzureichend darüber Bescheid, wie sie Mitarbeiter vor sexuellen Übergriffen schützen können.

Von Dorothea Grass

Antidiskriminierungsstelle veröffentlicht Umfrage zu sexueller Belästigung im Job

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist auch zwei Jahre nach der #aufschrei-Debatte ein aktuelles Thema. In einer repräsentativen Umfrage unter mehr als 1000 Arbeitnehmern hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) herausgefunden, dass mehr als die Hälfte aller Beschäftigten - und zwar Männer wie Frauen - in Deutschland entweder im Job bereits sexuell belästigt oder Zeuge einer solchen Tat wurde. Erschreckend ist zudem, dass sich sowohl Betroffene als auch Personalverantwortliche in Umgang, Ahndung und Prävention dieser Taten hilf- und ahnungslos zeigen.

"Erhebliche Wissenslücken"

Zwar ist der großen Mehrheit der Befragten (92 Prozent) bekannt, dass sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verboten ist. Dass ihr Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, sie vor derartigen Übergriffen zu schützen, wussten 81 Prozent jedoch nicht. Mehr als 70 Prozent können keinen Ansprechpartner in ihrem Betrieb nennen. Knapp der Hälfte (46 Prozent) sind Maßnahmen, die das eigene Unternehmen zum Schutz vor sexueller Belästigung ergriffen hätte, unbekannt.

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Was bedeutet der Begriff "sexuelle Belästigung"? Eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) deutet auf erhebliche Wissenslücken hin. Nach Erläuterung der Begrifflichkeit gaben mehr als die Hälfte aller Befragten an, sexuelle Belästigung im Job miterlebt zu haben.

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In einer zusätzlichen (nicht repräsentativen) Stichprobe, bei der mehr als 600 Personalverantwortliche und Betriebsräte zum Thema befragt wurden, gaben 60 Prozent an, keine konkreten Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung in ihrem Unternehmen nennen zu können. Nur 18 Prozent berichteten von einer Betriebsvereinbarung oder einem entsprechendem Leitbild in ihrem Unternehmen.

Begriffsverständnis und tatsächliches Erleben klaffen auseinander

Doch wo fängt sexuelle Übergriffigkeit - ob verbal oder in Handlungen - an? Was ist der Unterschied zwischen Geflachse und Belästigung? Die wenigsten Arbeitnehmer, die direkt danach gefragt wurden, ob sie an ihrer Arbeitsstelle schon einmal sexuell belästigt wurden, haben diese Frage sofort mit ja beantwortet: 17 Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer werteten erlebte Vorfälle als sexuelle Belästigung.

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Konfrontierte man sie jedoch mit den konkreten Tatbeständen, die der Gesetzgeber im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert, fielen die Antworten anders aus. Gefragt nach "unerwünschtem, sexuell bestimmtem Verhalten", "unerwünschten sexuellen Handlungen oder Aufforderungen zu diesen", "sexuell bestimmte körperliche Berührungen" oder "Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen" sagten 49 Prozent aller Frauen und 56 Prozent aller Männer: "Ja, das habe ich schon erlebt." Das Gesetz verbietet neben verschiedenen Formen verbaler Diskriminierung unter anderem auch das Anbringen pornografischer Bilder.

Dass mehr Männer als Frauen davon berichten, erscheint auf den ersten Blick erstaunlich. Die Zahl wird klar, wenn man betrachtet, unter welchen Belästigungen die meisten Frauen beziehungsweise Männer leiden.

Urheber sind in den meisten Fällen Männer

Männer berichten vor allem von E-Mails mit eindeutig sexuellen Inhalten, die andere Männer etwa ungefragt ihren Kollegen zeigen, wenn keine Frau im Raum ist - sowie von zweideutigen Bemerkungen. Frauen leiden vor allem unter physischen Übergriffigkeiten. In beiden Fällen sind es überwiegend Männer, die verbal oder physisch übergriffig werden. Als Ort des Geschehens nannte die Mehrheit der Befragten das Büro, dicht gefolgt von gesellschaftlichen Veranstaltungen wie zum Beispiel Betriebsfesten.

Ein weiteres Detail in den Ergebnissen der Umfrage: Es sind zum größten Teil Personen aus dem Kollegenkreis, die andere belästigen - und hier auch vor allem Männer. Und: Es sind ebenfalls noch immer Männer, die vor allem gegenüber Frauen ihre Macht ausspielen. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen werden Frauen häufiger durch Vorgesetze beziehungsweise Kollegen einer höheren Hierarchiestufe sexuell belästigt.

ADS beruft Expertenkommission zum Thema

Christine Lüders, Vorsitzende der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) bezeichnet es als "unhaltbaren Zustand", dass Beschäftigte so wenig über ihre Rechte Bescheid wissen. Ihre Behörde hat eine Expertenkommission einberufen, der der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und Jutta Allmendiger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) vorsitzen.

"Wenn Unwissen bei Personalverantwortlichen dazu führt, dass Belästigungen folgenlos bleiben oder bagatellisiert werden, dann müssen wir uns schon fragen, wie Arbeitgeber ihren Informationspflichten besser nachgehen können", so Wowereit. Allmendinger weist auf ein weiteres Problem hin. Die Frist, die Betroffenen vorschreibt, innerhalb von zwei Monaten ihren Fall vor Gericht zu bringen, sei "sehr kurz" und halte Betroffene in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in befristeten Beschäftigungen zusätzlich davon ab, sich rechtzeitig zu wehren.

Bis zum Jahresende soll die Kommission konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten. Neben der sexuellen Belästigung soll sich die neu eingerichtete Kommission auch mit der Lage von Frauen in prekären oder illegalen Beschäftigungsverhältnissen sowie Benachteilungen von trans- und intergeschlechtlichen Menschen am Arbeitsplatz beschäftigen.

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