Übungsfirmen:Wie im echten Leben

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Möglichst ernsthaft arbeiten die Teilnehmer in Übungsfirmen. Zu den Echtbedingungen gehören Büro, Sekretariat und Teeküche.

(Foto: imago/Westend61)

In virtuellen Unternehmen lernen Studenten und Weiterbildungswillige kaufmännisches Denken und Handeln. Gewinn machen ist dabei Nebensache.

Von Anika von Greve-Dierfeld/dpa

Fast wie im richtigen Leben: In der vollen Messehalle läuft ein Maskottchen in rosa Fellanzug herum und spricht Messebesucher an, ein als Obelix verkleideter Firmenangestellter macht Werbung für seinen Stand, aufmerksame Sehr-jung-Unternehmer verteilen Flyer. Auf der Internationalen Übungsfirmenmesse, die im November in Karlsruhe stattfand, wird alles angeboten, was nicht niet- und nagelfest ist - auch wenn die Waren oder Dienstleistungen nur virtuell existieren und Zahlungen nur virtuell erfolgen.

Übungsfirmen sind virtuelle Unternehmen, in denen Jugendliche, aber auch Erwachsene, unter Echtbedingungen lernen, wie ein Unternehmen funktioniert. Aus der kaufmännischen Ausbildungswelt sind sie nicht mehr wegzudenken, und für Arbeitgeber ist die so erworbene Erfahrung ein wichtiger Hinweis auf die Eignung etwa eines künftigen Auszubildenden. "Das ist ein sehr sinnvolles Modul", sagt Johannes Krumme vom Arbeitgeberverband Südwestmetall. "Übungsfirmen bilden die Realität sehr genau ab. Das schätzen die künftigen Arbeitgeber."

Zur Arbeit in Übungsfirmen gehört alles, was ein echtes Unternehmen ausmacht: Buchhaltung, Einkauf, Personal, Marketing, Vertrieb. "Jeder meiner Schüler muss am Ende alles können", sagt Roland Ernst von der Handelslehranstalt Bruchsal. Die Berufsfachschule hat inzwischen fünf Übungsfirmen gegründet; die erste vor etwa 15 Jahren: Scooterworld vertreibt Roller, Sportpalace handelt mit Sportzubehör, Electroking mit Tablets, Handys et cetera. Die Schüler arbeiten auf 16 Arbeitsplätzen, "mit Sekretariat und Kaffeeküche", sagt Ernst.

Damit Übungfirmen überhaupt am Markt aktiv sein können, stellt ihnen die Zentralstelle des Deutschen Übungsfirmenrings (ZÜF) in Essen die Infrastruktur zur Verfügung: eine eigene Bank, ein eigenes Finanzamt, Krankenkassen, Zoll, Sozialversicherung. Über spezielle Software des ZÜF kann alles abgewickelt werden - fast wie im richtigen Leben. "Sogar eine virtuelle Tankstelle haben wir seit Kurzem im Angebot", sagt ZÜF-Sprecherin Marion Krimphove-Engel. Denn wer Waren fiktiv quer durch die Republik schickt oder gar ins Ausland liefert, muss auch seine Lastwagenflotte betanken.

Weltweit gibt es etwa 7000 Übungsfirmen, bundesweit sind im ZÜF mehr als 500 organisiert. Gut die Hälfte davon wurden in Baden-Württemberg gegründet: Als einziges Bundesland wurde dort vor 15 Jahren das Konzept der Übungsfirmen in den Lehrplan der kaufmännischen Schulen geschrieben. "So gut wie jede hat eine Übungsfirma", sagt Sabine Schuh vom Landesinstitut für Schulentwicklung.

Aber auch private Bildungsträger arbeiten mit Übungsfirmen. Um Erwachsene weiterzubilden, umzuschulen oder wieder in Arbeit zu bringen. In der im Mai erst gegründeten virtuellen Firma "Milchparadies Heilbronn" des Bildungsträgers Donner + Partner etwa handeln sie mit Milch, Quark oder Pudding. Als Pate steht ihnen - wie auch den meisten anderen Übungsfirmen - ein echtes Unternehmen zur Seite. Der Heilbronner Milchprodukteanbieter Friesland Campina gestattet ihnen die fiktive Vermarktung des Produktsortiments, sagt die Vize-Geschäftsführerin Carmen Blattert.

Welche Umsätze sie machen, ob sie Gewinn erzielen - das ist Nebensache. "Die Bildungsaufgabe steht im Vordergrund", sagt ZÜF-Chef Michael Loef. Auf der Messe in Karlsruhe, so schätzt er, haben die dort vertretenen 90 deutschen Übungsfirmen Umsätze von rund einer halben Million Euro genenriert. Fiktiv, versteht sich.

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