Überlastung im Job:Zu viel zu tun

Arbeitsmüdigkeit

Wenn Stress in Beruf und Privatleben aufeinandertreffen, leidet meist eines von beiden darunter.

(Foto: iStock)
  • In manchen Lebenphasen ist die Doppelbelastung aus Job und Privatleben kaum zu bewältigen.
  • Experten empfehlen Betroffenen, sich Raum für Ruhepausen zu schaffen - sie sehen aber auch die Arbeitgeber in der Pflicht.
  • In bestimmten Situationen kann auch eine generelle Änderung der Lebensplanung hilfreich sein.

Von Anne-Ev Ustorf

Es passte alles so perfekt. Der Betriebswirt Olaf Johannsen stand kurz vor dem Jobwechsel und freute sich darauf, in einer neuen Position richtig durchzustarten. Auch seine Frau Claudia hatte Großes vor. Sie wollte in den kommenden Monaten ihre Bachelorprüfung in Wirtschaftswissenschaften an der Fernuni ablegen. Doch dann kam alles anders.

Claudia Johannsen wurde nach jahrelangem Kinderwunsch überraschend schwanger - und gleich mit Zwillingen. Kurz darauf ergab sich die Gelegenheit für den Kauf eines sanierungsbedürftigen Reihenhauses, Wand an Wand mit ihrer Schwester. Gutachter wurden einbestellt, Finanzberater aufgesucht, Kostenvoranschläge eingeholt. Und plötzlich hatte das Kölner Paar alle Hände voll zu tun: neuer Job, Prüfungen, Schwangerschaft und Sanierung.

Stressige Lebensphasen kennt fast jeder. Sie lassen sich nicht vermeiden. Gerade im mittleren Erwachsenenalter ballen sich die Stressoren, oft folgen Berufsstart, Heirat, Kinderkriegen, Hausbau und Karriere innerhalb weniger Jahre - oder sogar gleichzeitig. Doch auch in anderen Phasen können anstrengende Veränderungen für berufliche und private Doppelbelastungen sorgen, wie etwa um den Ausbildungsabschluss und Jobeinstieg herum oder in den Jahren vor der Rente, wenn die Kinder das Haus verlassen, die Eltern pflegebedürftig werden und der Beruf weiterhin fordert.

65 Prozent

der Erwerbstätigen in Deutschland klagen über Stress und führen das auf ein zu großes Arbeitspensum zurück. Laut "Studie zur Stresslage der Nation" der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2013 sind das fast doppelt so viele wie 2009. Damals nannten nur 28 Prozent der Erwerbstätigen ihr Arbeitspensum als wesentlichen Stressfaktor.

Kein Wunder, dass manch einer darauf mit Schlaflosigkeit oder Ohrenklingeln reagiert. Denn die Arbeit verlangt heute fast immer volle Einsatzkraft: Arbeitsverdichtung und ständige Veränderungsprozesse in Unternehmen belasten viele Arbeitnehmer, der Job an sich wird zum zusätzlichen Stressfaktor. Das schlägt auf die Psyche. 41 Prozent aller Frühberentungen gehen heute auf psychische Ursachen zurück, so der aktuellste Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Wie lassen sich Phasen der Doppelbelastung in Job und Privatleben wuppen? Viele Ratgeberbücher setzen auf Entschleunigung, empfehlen ihren Lesern also, abends in Ruhe ein gutes Buch zu lesen oder im Sonnenlicht auf der Parkbank zu sitzen und tief durchzuatmen. Aber wie, wenn der Jahresbericht nächste Woche geschrieben sein muss, das Baby schreit und der Handwerker dringend die neuen Kacheln fürs Badezimmer braucht?

Stressspitzen sind gut auszuhalten, solange es noch Raum für Ruhephasen gibt, sagt der Psychiater Hans-Peter Unger, Chefarzt des Zentrums für seelische Gesundheit der Asklepios Klinik Hamburg-Harburg: "Das Überlastungsgefühl entsteht nicht unbedingt aufgrund der einzelnen Belastungsereignisse, sondern weil es zu wenige Phasen der Konsolidierung und Entspannung dazwischen gibt. Doch heute jagt eine Spitze die nächste und dazwischen ist keine Zeit, das Ganze zu integrieren. Allein an der Arbeitsstelle gibt es laufend Veränderungen."

Arbeitgeber in der Pflicht

Wie schafft man es, sich selbst eine Auszeit zu verordnen, wenn so viel zu tun ist? Burn-out-Experte Unger plädiert dafür, das "Kümmern um sich selbst" zu ritualisieren. Er meint damit: sich unverrückbare Regenerationszeiten zu schaffen, wie etwa den festen Termin zum Mittagessen mit Kollegen, bei dem mal nicht über die Arbeit gesprochen wird, den wöchentlichen Sportkurs oder die Stunde Gartenarbeit. Zeit für die Beziehung sei auch wichtig. "In heftigen Lebensphasen besteht immer die Gefahr, die Partnerschaft zu vernachlässigen", sagt Unger. "Gerade dann sollten wir sie aber pflegen, weil sie uns Rückhalt gibt. Und Freude. Oft lacht man abends ja zusammen darüber, wie man wieder mit den Dingen umgeht - und bekommt dadurch innerlich Abstand."

Doch nicht nur das Schaffen privater Ruhephasen trägt dazu bei, gut durch stressige Zeiten zu kommen. Auch die Arbeitgeber - speziell die Führungskräfte - spielen bei der gesunden Bewältigung anstrengender Zeiten im Leben ihrer Mitarbeiter eine wichtige Rolle. Vor allem mangelnde Wertschätzung schlägt auf die Gesundheit: Studien haben gezeigt, dass das Risiko von chronischen Rückenschmerzen oder psychischen Erkrankungen besonders erhöht ist bei Menschen, die ihre Leistung im Unternehmen nicht gewürdigt sehen.

"Arbeitnehmer können Stressoren insgesamt besser bewältigen, wenn sie im Unternehmen Wertschätzung erhalten", sagt Nicola Jacobshagen, die an der Universität Bern über Belastungen am Arbeitsplatz forscht. Sind Arbeitnehmer nämlich trotz einer turbulenten Lebensphase gern im Büro, können sie sich während der Arbeitszeit mental regenerieren. Auch Hans-Peter Unger und die Journalistin Carola Kleinschmidt plädieren deshalb in ihrem neuen Buch "Das hält keiner bis zur Rente durch" für eine neue Kultur der Anerkennung und des "Dialogs auf Augenhöhe" mit Mitarbeitern - und zeigen anhand vieler Beispiele, wie sich der Krankenstand durch einen wertschätzenden Führungsstil senken lässt. "Emotionale Intelligenz ist das neue Kapital", heißt es in dem Buch.

2013 wurde der Aspekt der psychischen Belastung ins Arbeitsrecht aufgenommen und als zu beachtender Faktor in die Regelungen zur Sicherheit am Arbeitsplatz aufgenommen. SPD und Gewerkschaften geht das nicht weit genug. Sie fordern eine gesetzliche Anti-Stress-Verordnung. "Es gibt verbindliche Regeln, wenn es um körperliche Belastungen geht", sagt Christoph Ehlscheid, Leiter der Fachbereiche Sozialpolitik, Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik bei der IG Metall, "etwa für Helligkeit, Temperatur oder Qualität der Atemluft. Ausgerechnet beim Thema psychische Belastungen fehlt etwas Vergleichbares." Auch die Arbeitgeber sähen den Handlungsdruck, sagt Ehlscheid, möchten aber ohne Vorschriften arbeiten.

Planänderung in anstrengenden Lebensphasen

"Wir wollen alle Akteure, die im Unternehmen mit Arbeitsschutz zu tun haben, verpflichten, gesundheitsgefährdende Belastungen zu ermitteln und abzubauen", sagt Ehlscheid. Verordnungen und Regeln böten dabei lediglich Hilfestellung. Das sähen die Unternehmen nicht. "Anders gesagt: Sie fahren auf der Autobahn lieber ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Aber wir sind für die Geschwindigkeitsbegrenzung und zudem für einen TÜV, der weiß, was er prüfen soll." Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Anti-Stress-Verordnung im vergangenen Herbst vorerst eine Absage erteilt. Nach der Einführung von Rentenpaket und Mindestlohn solle es keine weiteren Regulierungen geben.

Auch die beste Anti-Stress-Verordnung würde freilich noch keine Entspannung in anstrengenden Lebensphasen garantieren. Manchmal ist auch eine Planänderung nötig. Bei den Johannsens ist der Fokus nun auf die Familie gerichtet. Claudia Johannsen hat ihre Prüfungen um ein Jahr verschoben und konzentriert sich neben der Arbeit nun auf die Haussanierung, die kurz vor der Geburt der Zwillinge abgeschlossen sein soll. Olaf Johannsen steht voll im neuen Job, darf vom Geburtstermin an zwei Tagen die Woche zu Hause arbeiten, sein neuer Arbeitgeber gibt ihm Rückendeckung. "Es ist immer noch alles viel, aber mit etwas Unterstützung kommen wir durch", sagt er. Und freut sich auf die Zeit mit den Zwillingen, die vermutlich nicht minder turbulent wird.

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