Süddeutsche Zeitung

Traumjob Animateur:"Bitte stets lächeln"

Arbeiten, wo andere Urlaub machen: Ein Job als Animateur klingt verlockend. Doch er ist ganz schön hart. Das erfahren die Bewerber bereits beim Casting, denn dort geht es hoch her.

Viola Schenz

Animierend ist dieser Ort nicht gerade. 25 Quadratmeter graue Seminarraumfunktionalität in einem Bürohaus, neben der Tür stehen Wasserflaschen und Thermoskannen, unter dem Fenster rauschen die Laster über den Mittleren Ring. Ausgerechnet hier soll es um Kreativität und Talent gehen. Es ist Herbst, und im Herbst beginnen bei Tui die sogenannten Job Days. Zwischen Oktober und Februar lädt Europas größter Reisekonzern Bewerber zum Casting ein.

Vor ein paar Tagen war Leipzig dran, heute ist es München, übermorgen Rostock. 14 junge Leute, die meisten in Röhrenjeans und Turnschuhen, sitzen gedrängt im Halbkreis: zwölf Frauen, zwei Männer, elf Deutsche, drei Österreicherinnen, die jüngsten 17, die älteste 26, die meisten frische Abiturienten. Sie alle wollen im kommenden Jahr deutsche Urlauber bei Laune halten - auf Mallorca, auf den Kanaren, in Ägypten, in der Türkei, im Bayerischen Wald. Mini-Disco, Beachvolleyball, Morgen-Gymnastik, Abendshows unter Sonne und Palmen - klingt nach Traumjob, ist aber keiner.

Tausend Animateure beschäftigt Tui in der Saison. Sie sollen "Teamfähigkeit, Flexibilität, Belastbarkeit, Verantwortungsbewusstsein" mitbringen, heißt es in der Ausschreibung. Das alles brauchen sie auch, denn als Animateure sind sie Schauspieler, Gastgeber, Kinderbetreuer, Schwimmlehrer, Seelentröster, Tänzer, Koch, Sportler, Schiedsrichter, Dekorateure und Tontechniker in einem.

Jesseka Schulz und Lysann Weigel erklären per Powerpoint und Tui-Werbefilm die Welt der Animation, und sie beschönigen nichts dabei, sie kennen den Job aus erster Hand. Die 33 Jahre alte Jesseka hat längst die höchste Stufe der Animateurleiter erklommen, sie ist Zielgebietsleiterin. Lysann, 25, hat erst in Dresden Bankkauffrau gelernt, aber das war ihr zu fad ("Ich wollte immer auf die Bühne"), seit drei Jahren ist sie in der Reisebranche, nun als Coach für Animateure.

Man duzt sich beim Casting. "Unterschätzt diesen Job nicht", warnt Jesseka, "gerade der Sportbereich klingt easy, ist aber der anstrengendste: den ganzen Tag fit sein, Sportgeräte warten, Volleyballtore schleppen, alle Spielregeln kennen und durchsetzen. Denn glaubt mir: Gäste bringen gerne ihre eigenen Regeln mit." Ach ja, die "Guest Relations", sie seien das A und O, trichtert Jesseka der Runde ein. "Ihr seid immer präsent, müsst für Gäste immer ansprechbar sein. Rückzug gibt es nicht. Und bitte stets lächeln. Wer redescheu ist, ist falsch im Job."

Animation ist ein Fulltimejob. April bis Oktober, sechs Tage die Woche, von der Teambesprechung um neun bis zur Abendshow um Mitternacht. Danach sind manchmal noch Proben angesagt, weil tagsüber keine Zeit bleibt. Für 600 bis 800 Euro pro Monat, je nach Vorkenntnissen. Viel ist das nicht, warum also tut man sich das an? "Zum Geldausgeben bleibt eh keine Zeit", meint Elisabeth Kern. Die 26-Jährige arbeitet in ihrer Heimatstadt Freilassing als Filialleiterin bei einer Modekette. Seit sie mit dem Rucksack durch die Welt gereist ist, will sie dorthin zurück - in die Welt. Für den Job bei Tui müsste sie kündigen. "Ich werde danach was Neues finden", sagt sie, "man muss was riskieren im Leben."

Kost und Logis sind frei für die Animateure, An- und Abreise ebenso, und auch Trainer-Lizenzen kann man bei Tui kostenlos erwerben. Aber es gibt strenge Regeln: Tattoos und Piercings, die furchteinflößend wirken oder politisch sind, müssen abgedeckt sein, vorhandene Tattoos und Piercings in einem Fragebogen angegeben werden. Alkoholika während der Arbeitszeit sind verboten, Drogen sowieso. Bei Verstoß droht der Rauswurf.

Die beiden Trainerinnen präsentieren eine Litanei von Ge- und Verboten, jeder Bewerber muss eines laut verlesen - ein Schnellkurs in Psychologie und sozialer Intelligenz, im Umgang mit schwierigen Kollegen oder kritischen Gästen. Gerade deutsche Urlauber erwarteten, dass die schönsten Wochen des Jahres perfekt geraten. Und: "Es gibt keinen Putz- oder Wäscheservice, kein Fernsehen und kein Internet auf dem Zimmer." Die Runde schweigt betreten. "Nu macht euch mal keenen Kopp", beschwichtigt Lysann.

Dafür ist jetzt auch keine Zeit, denn: It's talentshowtime! Wer eignet sich für Kinder-Disco und Erwachsenen-Pilates, für den Plausch am Pool, für Schlechtwetterideen? Es kommt Leben in den Halbkreis. Lisa macht Dehnübungen, Tanja verschwindet zum Umziehen auf die Toilette, Vanessa kramt im Rucksack nach der CD mit Begleitmusik, Sabrina zieht nervös ihr Longshirt noch etwas länger. Oliver verschwindet zum Gitarrestimmen auf den Gang.

Seit 5.30 Uhr wartet der 17-Jährige auf diesen Moment. Da ist er aufgestanden, hat sich Schinken-Käse-Toastbrote für den Tag geschmiert, eine Apfelsaftschorle gepackt und sich mit seiner Gitarre von Zwiesel im Bayerischen Wald per Bahn und Bus nach München aufgemacht. Wenn er an der Reihe ist, wird er "Nothing Ever Happens" interpretieren. Und die anderen? Nadine tanzt mit schwarzem Federfächer, Laura verteilt weiße DIN A4-Blätter und lässt Schiffe basteln, Jennifer versucht sich als Bauchrednerin, Elisabeth schuhplattelt.

Den Bohlen macht hier niemand

Drei Minuten darf sich jeder präsentieren, egal wie und womit. Jesseka und Lysann haben alles schon hundert Mal gesehen und gehört. Jeden Auftritt beenden sie mit Pokerface und einem freundlich-bestimmten "Dankeschön", ohne Kommentar. Den Bohlen macht hier niemand, auch wenn der in seinem Element wäre. Umgehauen hätte ihn kein Auftritt, das muss auch Jesseka später zugeben: "Ein Knüller war nicht dabei." Nun gut, die Hürden sind nicht so hoch, die Anforderungen erst mal auch nicht, die meisten starten mit Kinderbetreuung. "Entscheidend ist die Körpersprache", sagt Jesseka. "Die Auffälligsten sind auch die besten." Wer teilnahmslos auf dem Stuhl hockt, hat keine Chance.

Dennoch: Tausend Pausenclown-Plätze wollen erst einmal besetzt sein. "Die demographische Entwicklung macht das schwieriger", sagt Marion Glasmeyer, die bei Tui das Animateur-Recruitung verantwortet, "inzwischen gibt es so viel mehr Möglichkeiten, vorübergehend im Ausland zu arbeiten." Au-pair-Vermittler, Freiwilligendienste, Work and Travel, Auslandspraktika - mit all dem müssen die Reiseveranstalter konkurrieren.

Nur ein Drittel der Bewerber sind männlich. "Die jungen Männer werden anders erzogen, die sind nicht so selbständig wie die Frauen", meint Glasmeyer. "Männern fehlt oft der Mut", ergänzt Jesseka, "die genießen lieber die Bequemlichkeit daheim." Selber waschen, selber putzen - für manche Männer ist das leider immer noch unvorstellbar, für Frauen der Alltag. "Deswegen weisen wir auch explizit auf all das hin", erklärt Lysann. "Es ist mehr als ein Job, man muss es lieben, das ist vielen nicht bewusst."

Zwölf der 14 Kandidaten werden genommen, sie rücken weiter zum Tui-Trainingsseminar im kommenden Frühjahr. Auch Elisabeth ist dabei. Wie hat sie sich vorbereitet auf das Casting? "Überhaupts net", sagt sie in tiefem Bayerisch. "Ich wusste, die wollen Spontanität."

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Quelle:
SZ vom 26.11.2011/tina
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