Titelhandel an Unis:"Die Promotionsberater bedanken sich bei mir"

BWL-Professor Manuel Theisen kämpft gegen das Geschacher mit Doktortiteln. Ein Gespräch über Geld, Eitelkeiten - und die paradoxen Folgen seines Einsatzes.

J. Bönisch

Manuel René Theisen ist BWL-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der 56-Jährige kämpft seit Jahren gegen das Geschäft mit den Doktortiteln - und wurde wegen seines Engagements bereits mehrmals von Promotionsberatern verklagt.

Manuel René Theisen

BWL-Professor Manuel René Theisen kämpft seit Jahren gegen das unlautere Geschäft mit Doktortiteln.

(Foto: Foto: Ludwig-Maximilians-Universität)

sueddeutsche.de: Etwa 100 Professoren an deutschen Unis stehen unter Verdacht, Doktortitel verschachert zu haben, deren "Doktoranden" haben für die Promotion tief in die Tasche gegriffen. Herr Theisen, ist das ein deutsches Phänomen - oder gibt es solche "Geschäfte" auch im Ausland?

Manuel René Theisen: Nein, nicht in dieser Form. Die Deutschen und die Österreicher sind besonders anfällig dafür, denn hier tragen die Doktoren ihren Titel vor sich her. In anderen Ländern bleibt man nach einer Promotion ohnehin meist in der Wissenschaft, dort erscheint er gar nicht auf Visitenkarten oder an der Türklingel. Darauf wird nur bei uns Wert gelegt.

sueddeutsche.de: Ein Doktortitel schindet bei uns noch richtig Eindruck.

Theisen: Ja, wobei es in den aktuellen Fällen nicht um ein paar eitle Titelsüchtige geht, die damit ihr Ego streicheln wollten. Vielmehr waren diese Leute darauf aus, sich handfeste finanzielle Vorteile zu ergaunern. Sie haben sich eine Leistung gekauft, die sie nicht selbst erbracht haben, und anderen vorgegaukelt, sie hätten eine vierjährige Zusatzqualifikation - mit der man automatisch mehr verdient. Es ist kein Zufall, dass vor allem Fächer wie Jura, Medizin oder Ingenieurwissenschaften betroffen sind. Dort zahlen sich die zwei Buchstaben vor dem Namen sofort aus. Ein Doktor in Musikwissenschaften dagegen lohnt sich nicht besonders.

sueddeutsche.de: Wie hoch ist der finanzielle Vorteil, der durch einen Doktortitel entsteht?

Theisen: Das kann man schlecht beziffern. Aber wenn man voraussetzt, dass bereits das Einstiegsgehalt eines Doktors höher ist als das seines diplomierten Kollegen und sich diese Differenz im Laufe des beruflichen Lebens potenziert, kommt eine stattliche Summe zusammen. Da lohnt sich auch die relativ hohe Anfangsinvestition für den erschlichenen Titel.

sueddeutsche.de: Was muss man für einen Titel hinblättern?

Theisen: Der Promotionsberater, um den es im aktuellen Fall geht, hat zunächst 20.000 Euro für einen sogenannten Vermittlungsvertrag kassiert. Das war seine Haupteinnahmequelle. Viele seiner Kunden haben danach kalte Füße bekommen und einen Rückzieher gemacht, er konnte den Großteil der Summe aber behalten. Von denen, die dabeiblieben, hat er in nicht wenigen Fällen zusätzliche Leistungen wie Literaturrecherche oder Beratungen stundenweise abgerechnet.

sueddeutsche.de: Die Staatsanwaltschaft sagt, es seien keine kompletten Doktorarbeiten geliefert worden. Der Promotionsberater habe lediglich Doktorväter vermittelt.

Theisen: Da kann ich der Staatsanwaltschaft nur wünschen, dass sie noch dahinterkommt: Jemand, der allein schon 20.000 Euro für die Adressvermittlung ausgibt, setzt sich anschließend nie und nimmer selber hin und schreibt eine Promotion ohne jede fremde Hilfe.

sueddeutsche.de: In Deutschland promovieren etwa 25.000 Menschen pro Jahr. Was glauben Sie, wie viele Doktortitel auf diese Art und Weise erworben werden?

"Lustige Urkunden kann man auch selbst herstellen"

Theisen: Bei den aktuellen Fällen sehen wir nur die Spitze des Eisberges. Ich gehe davon aus, dass etwa drei Prozent aller Promotionen erschlichen werden.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen Doktortitel von exotischen, obskuren Universitäten im Ausland?

Theisen: Ausland ist gut - die Namen klingen zwar fremd, aber die Vermittler sitzen meist nur zwei Straßen weiter. Doch dieses Geschäftsmodell hat ausgedient. Seitdem jeder einen Laserdrucker zu Hause hat, kann man sich diese lustigen Urkunden auch selbst herstellen, das ist viel billiger. Das Vermittlungsmodell ist wesentlich lukrativer und richtet sich an alle, die entweder keine Lust oder keine Zeit für eine ordentliche Promotion haben - oder die schlicht fachlich zu schlecht sind.

sueddeutsche.de: Bislang sind nur die Professoren im Visier der Staatsanwaltschaft. Kommen die Doktoranden ungeschoren davon?

Theisen: Ihnen war klar, dass Geld an ihre Doktorväter fließt, also war das Beihilfe zur Beamtenbestechung. Zudem haben sie sich strafbar gemacht, wenn sie die eidesstattliche Erklärung unterschrieben haben, die an den Schluss jeder Arbeit gehört. Darin versichert jeder Doktorand, die Arbeit selbstständig erarbeit zu haben. Ob die Doktortitel aber aberkannt werden, ist Sache der Fakultäten.

sueddeutsche.de: Haben die Universitäten in der Vergangenheit genug gegen solche Titelgeschäfte unternommen?

Theisen: Die Antwort liegt doch auf der Hand: Hätten sie genug unternommen, wäre es hierzu nie gekommen. Der Jura-Professor aus Hannover, der inzwischen verurteilt ist, hat in weniger als zehn Jahren 160 externe Doktoranden betreut. Ich habe schon ein wenig länger einen Lehrstuhl und habe es bislang nur auf 24 Doktoranden gebracht. Da muss man doch stutzig werden! Wie kann jemand so viele Leute durch das System schleusen? Auch die Doktoranden haben ein Umfeld, das ein bisschen besser aufpassen muss. Kommt jemand nach nur einem halben Jahr mit einem Titel daher, müssen sich Kollegen und Freunde doch wundern, vielleicht sogar die Ehefrau!

sueddeutsche.de: Durch den aktuellen Fall werden die Menschen vielleicht aufmerksamer.

Theisen: Ich glaube, diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Immer, wenn ich in der Vergangenheit vor den Geschäften mit Doktortiteln gewarnt habe, haben sich die Promotionsberater ganz artig bei mir bedankt: "Machen Sie ruhig weiter, Herr Theisen", hieß es dann, "Sie sind unsere beste Werbung." Offenbar sind die Anmeldezahlen nach jedem Skandal in die Höhe geschossen. Die Leute haben sich gedacht: "Was, so einfach ist das?" Und schon wollten sie das selbst ausprobieren.

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