Süddeutsche Zeitung

Gründerin Tijen Onaran:Ich bin's

Je sichtbarer Frauen sind, desto mehr Schablonen werden ihnen angeheftet. Tijen Onaran will Frauen ermutigen, eigene Themen zu setzen und aktives Selbstmarketing zu betreiben.

Von Helena Ott

An einem schwülen Abend Mitte August, auf der Terrasse einer Münchner Bar. Viele der Gäste - fast alle sind Frauen - haben farbenfrohe Kleider aus der corona-angestaubten Garderobe gezogen. Sie sind gekommen, um Tijen Onaran zuzuhören, der Gründerin des Frauennetzwerks Global Digital Women. Sie wird erzählen, wie Frauen sich und ihre Kompetenzen vermarkten können. Da könnte bereits der erste Widerspruch liegen: Wenn es um Kompetenz gehen soll, warum sind dann fast alle hier in schönen Kleidern und schicken Schuhen unterwegs? Weil gerade wegen solcher Kleidung vielen Frauen im Beruf das Können abgesprochen wird. Die farbenfrohe Robe und der knallige Lippenstift von Onaran und vielen ihrer Gäste ist Protest: Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie auszusehen haben, um ernstgenommen zu werden. Weder von Geschäftsmännern über 40 noch von Alt-Feministinnen, die der Auffassung sind, sich weiblich, verspielt oder sexy zu kleiden, sei unfeministisch - so sehen es viele Teilnehmerinnen des Abends.

Frauen, die in den Vordergrund treten und meinungsstark sind, ob im eigenen Unternehmen oder der Öffentlichkeit, würden automatisch mit Fremdzuschreibungen belegt, sagt die 35-jährige Onaran. Beim Gang zum Meeting werde ihr Äußeres kommentiert, bei Bewerbungsgesprächen wird nach Kindern gefragt. Onaran empfiehlt, dann zu antworten: "Würden Sie die Frage auch einem männlichen Kollegen stellen?"

Tijen Onaran hat mit 20 Jahren erlebt, wie es ist, nicht selbst bestimmen zu können, für was man steht, erzählt sie an dem Abend. 2005 wurde sie gefragt, ob sie für die FDP bei den Landeswahlen in Baden-Württemberg kandidieren möge. Sie sagt Ja, durfte aber nicht selbst entscheiden, für welche Themen sie sich stark machen wollte. Das erledigte eine Agentur, die sich kurzerhand für Migration, Islam und Familie entschied. Das habe bei ihrer türkischen Familie auf der Hand gelegen.

Dennoch kam Onaran so zu einem ihrer persönlichen Kernthemen, über das sie auch gerade ein Buch geschrieben hat. Frauen können sich, erklärt sie darin, in ihrem Umfeld, in der Firma und in sozialen Netzwerken ein Profil schaffen, über das sie selbst entscheiden.

Aber wie bringt man Leute dazu, sich dafür zu interessieren, sich mit einem auf Social Media zu vernetzen und die eigenen Inhalte weiterzuverbreiten? Onaran setzt auf die sogenannte Sisterhood. Der US-Begriff umschreibt die Komplizenschaft zwischen Frauen, die sich gegenseitig unterstützen. Sisterhood beginne damit, Frauen zu empfehlen, die man selbst für ihre Arbeit oder Haltung bewundert. "Man muss andere nicht runterputzen", sagt Onaran, "es ist für mehrere Frauen Platz in Führungspositionen".

Eine Frau aus dem Publikum beklagt, dass sie seit ein paar Kommentaren von ihr zur Frauenförderung im Unternehmen auf dieses Thema reduziert und sich als Feministin "abgestempelt" fühlt. Und nun? Onaran sagt, dass man sich mit einem großen Notizzettel erst einmal bewusst werden sollte, wo die eigenen Stärken und Interessen liegen. Anschließend könne man diese selbstbewusst und glaubwürdig vertreten. Sie werde gern mit Frauenförderung in Verbindung gebracht: "Es gibt Schlimmeres, als als Feministin bezeichnet zu werden", sagt sie.

Neben der Arbeit, Freunden, vielleicht Kindern und Partnerschaft auch noch Instagram, Twitter und Facebook mit klugen Inhalten von sich zu bespielen, das kostet Zeit und Kraft. Ist das die Mühe wert? "Jeder kommt mal in die Situation, dass er für sich verhandeln muss." Da sei es egal ob man Kfz-Mechanikerin, Politikerin oder Geschäftsfrau ist.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2020
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