Süddeutsche Zeitung

Tarifverhandlungen 2012:Wenn der Gabentisch leer bleibt

Die Zeiten sind unsicher und stabile Beschäftigungzahlen in der Industrie allemal wichtiger als ein Gehaltsplus. Für das kommende Jahr sollten die Gewerkschaften daher nicht zu hohe Erwartungen wecken.

Detlef Esslinger

Natürlich ist das keine schöne Nachricht: Inflation frisst Lohnerhöhungen. Denn Inflation macht alles komplizierter. Man kriegt nicht mehr so viel für sein Geld wie bisher; man fragt sich, ob es noch eine gute Idee ist, etwas zu sparen, bei den Zinsen derzeit. Außerdem setzt Inflation Gewerkschafter unter Druck.

Auch deshalb ist es recht bedauerlich, dass die Löhne in diesem Jahr durchschnittlich nur noch um ein halbes Prozent gestiegen sind, nach Abzug der Teuerungsrate. Als ob die Tarifverhandlungen nicht schon kompliziert genug wären, die im kommenden Jahr für neun Millionen Arbeitnehmer anstehen.

Sie sind dies deshalb, weil manche Gewerkschaften nicht nur mehr Geld durchsetzen wollen, sondern auch noch andere Ziele haben; zum Beispiel die unbefristete Übernahme aller Azubis in der Metall- und Elektroindustrie. Es wird nicht leichter dadurch, dass eigentlich niemand so recht weiß, welches Konjunktur-Szenario die Unterhändler zur Grundlage nehmen sollen.

Und vor allem im öffentlichen Dienst wollen zudem Gerechtigkeits-Ziele der Gewerkschaft Verdi noch berücksichtigt werden; ein Thema, auf das die Arbeitgeber ungefähr so erpicht sind wie Kinder auf den Heiligabend ohne Baum.

Es dauert zwar noch einige Wochen, bis die Gewerkschaften ihre Forderungen formulieren werden, doch die Tendenz ist klar: Zirka sieben Prozent dürften sowohl die IG Metall als auch die IG Bergbau, Chemie, Energie verlangen. Im öffentlichen Dienst, bei Bund und Kommunen, wird Verdi vielleicht einen Abschlag von einem halben oder einem ganzen Prozent machen, aber für die Niedriglöhner dort eine Erhöhung um 100 oder 150 Euro durchsetzen wollen.

Fragile Phase

Forderungen sind keine Ergebnisse, aber Forderungen wecken Erwartungen. Zumal angesichts einer Grundstimmung, "jetzt", nach Jahren der Zurückhaltung und angesichts der Inflation, seien endlich mal die Arbeitnehmer an der Reihe. Aber ein Verlangen wird nicht dadurch zum Argument, dass es scheinbar in Langmut gründet.

Die Geldentwertung trifft Unternehmer genauso wie Konsumenten, und für die Krise kann ein Fabrikant von Zylinderkopfdichtungen ebenso wenig wie ein IG-Metall-Bezirksleiter. In der Industrie werden die Gewerkschaften vor der Herausforderung stehen, keine maßlosen Erwartungen zu schüren. In einer solch fragilen Phase wie der jetzigen sind stabile Beschäftigungszahlen wichtiger als noch so stolze Zuwächse beim Gehalt.

Und im öffentlichen Dienst? Da dürfen die Arbeitgeber mal etwas erklären, besonders der Bund. Man ahnt ja, wie der Innenminister argumentieren wird: Kasse leer, hohes Defizit, Lohnerhöhungen kaum möglich, leider.

Nun ja. Für Steuersenkungen, die kaum ein Bürger bemerken wird, ist Geld da; für Gehaltserhöhungen, die Bundespolizisten und Krankenschwestern bemerken würden, mal wieder nicht. Wäre es andersrum nicht sinnvoller? Nur mal so 'ne Idee.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2011/gal
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