Tarife - Hannover:Warnstreiks angelaufen: Arbeitgeber: "Unverständlich"

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Das große VW Logo ist auf der Fassade eines Kraftwerkes zu sehen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Hannover (dpa/lni) - Im Tarifstreit der niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie sowie bei Volkswagen ist eine erste Warnstreik-Welle angelaufen. Die IG Metall startete in der Nacht zum Dienstag entsprechende Aktionen, um ihre Forderung unter anderem nach vier Prozent mehr Geld für die Beschäftigten zu unterstreichen. Seit dem Morgen sind auch Standorte von Europas größtem Autokonzern betroffen. Dort gerieten die Verhandlungen zum Haustarif ebenfalls ins Stocken.

Wie Gewerkschaftssprecher mitteilten, kam es zunächst zu befristeten Ausständen in den VW-Werken Braunschweig, Salzgitter und Emden. In anderen Betrieben in ganz Niedersachsen sollten im Tagesverlauf und teils bis Mitte März weitere Warnstreiks folgen. Beschäftigte wollen dabei meist später mit der Arbeit anfangen oder früher Schluss machen - größere Versammlungen sind wegen der Corona-Schutzregeln vorerst nicht geplant. Zudem soll es "Streik-Videokonferenzen" geben.

Bei den Verhandlungen über einen neuen Flächentarifvertrag in der Branche gibt es bisher keine entscheidende Annäherung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Ähnliches gilt für die Gespräche für die gut 120 000 Mitglieder der westdeutschen Volkswagen-Belegschaft.

Begonnen hatten die Warnstreiks kurz nach Mitternacht mit einer Kundgebung beim Autobatterie-Hersteller Clarios in Hannover. Der IG-Metall-Bezirksleiter und Verhandlungsführer in der Tarifrunde, Thorsten Gröger, wandte sich an die Mitarbeiter. Ein Sprecher der Gewerkschaft sagte, man werfe den Arbeitgebern vor, Corona zu nutzen, um Tarifstandards zu schleifen. "Und dagegen müssen wir uns wehren."

Am VW-Werk in Salzgitter verteilten Gewerkschafter Flyer. In Braunschweig informierte die IG Metall am Morgen an den Werkstoren zum Wechsel von Nacht- und Frühschicht über die Tarifrunde. "Die Kolleginnen und Kollegen sind empört, dass überhaupt kein Angebot von der Arbeitgeberseite kam", sagte eine Sprecherin. Fast die komplette Nachtschicht habe sich beteiligt und die Arbeit früher beendet.

Weitere Aktionen sollten an den Standorten von MAN und Bosch in Salzgitter laufen. Am VW-Stammsitz in Wolfsburg und bei den leichten VW-Nutzfahrzeugen in Hannover waren Beschäftigte der Früh- und Spätschicht aufgerufen, ihre Arbeit früher zu beenden. "Leider hat Volkswagen in den bisher stattgefundenen drei Verhandlungsrunden kein Angebot gemacht", so der Erste IG-Metall-Bevollmächtigte in Hannover, Dirk Schulze. "Das ist traurig und feige." Beschäftigte müssten von den Gewinnen des Konzerns einen gerechten Anteil abbekommen. 2020 verdiente die gesamte VW-Gruppe nach Steuern fast 9 Milliarden Euro.

Auch im Tarifbezirk Küste gab es Arbeitsniederlegungen. Laut IG Metall beteiligten sich in Bremen bei Daimler und beim Autozulieferer Lear rund 2100 Beschäftigte. Bei den Norddeutschen Seekabelwerken in Nordenham und MWA in Emden kam es ebenso zu Aktionen. Bei VW in Emden machten nach Angaben der Gewerkschaft rund 3500 Beschäftigte mit.

VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel hatte betont, man müsse die Kosten bei gleichzeitig hohen Investitionen im Blick behalten. Ähnlich äußerten sich die Arbeitgeber in der Fläche. Der Entschluss der Gewerkschaft zu Warnstreiks sei "unverständlich", hieß es beim Verband Niedersachsen-Metall. Aus Sicht von Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt liefen die Gespräche "sehr konstruktiv und sachlich", auch wenn es noch keine Einigung gebe. "Wir bleiben optimistisch, dass beide Seiten in den nächsten Wochen einen Konsens finden."

Die finanzielle Lage vieler Betriebe müsse weiterhin berücksichtigt werden. "90 Prozent unserer Unternehmen melden nach wie vor coronabedingte Einschränkungen in der Produktion", erklärte Schmidt. "Wir beobachten eine gefährliche Mischung aus Umsatzverlusten und hohen Kosten. Gleichzeitig müssen unsere Unternehmen stärker investieren, um sich für den Strukturwandel zu wappnen." Die IG Metall müsse nun inhaltlich auf die bisherigen Vorschläge eingehen.

Der Verband legte bereits ein sogenanntes Strukturangebot vor, das prinzipiell eine Einmalzahlung in der ersten Jahreshälfte 2022 sowie anschließende, tabellenwirksame Entgelt-Erhöhungen ab dem zweiten Halbjahr 2022 vorsieht. Der Gewerkschaft ist das deutlich zu spät. Zudem will sie in weiteren Punkten ein konkreteres Entgegenkommen.

Neben dem vierprozentigen Lohnplus verlangt die IG Metall einen Teilausgleich beim Lohn in Fällen reduzierter Arbeitszeit und die grundsätzliche Regelung weiterer Zukunftsfragen im Umbruch der Kernbranche. Vor allem kleinere Betriebe ringen mit den absehbaren Folgen einer stark veränderten Nachfrage. Der Umbau in Richtung Digitalisierung, Klimaschutz und alternative Antriebe bedeutet vielerorts enormen Anpassungsdruck. Bei VW geht es zusätzlich zur Lohnfrage um mehr Umwandlung in freie Tage und Ausbildungszusagen.

© dpa-infocom, dpa:210301-99-644531/6

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