Süddeutsche Zeitung

Teilzeitstudium:Uni und so weiter

Kinder, Familie, Beruf: Es gibt viele Gründe, die für ein Teilzeitstudium sprechen. Trotzdem nutzen nur 7,5 Prozent aller Eingeschriebenen diese Möglichkeit. Das liegt vor allem an einigen aberwitzigen Regelungen.

Von Nicole Grün

Irgendwann hatte Antonia Hagedorn genug vom Studentenleben. Nach ihrem Bachelor in Wirtschaftswissenschaften wollte sie Geld verdienen, von zu Hause ausziehen, ihr eigenes Leben leben. Sie zog von Dresden nach Düsseldorf, arbeitete ein Jahr als Steuerassistentin in einer Kanzlei und merkte dann: Irgendetwas fehlt.

"Im Steuerrecht ist es extrem: Wenn man einen Fall bearbeitet, bekommt man von den Mitarbeitern gesagt, wie man es zu machen hat, oder man orientiert sich an den Vorjahren. Ich wollte aber verstehen, warum man etwas wie macht und auf welchen gesetzlichen Grundlagen es basiert", sagt die heute 27-Jährige. Deshalb entschied sich Hagedorn fürs Weiterstudieren - für das berufsbegleitende Teilzeitstudium "Taxation" an der privaten FOM-Hochschule.

Abends und am Wochenende hatte sie Vorlesungen an der Uni, tagsüber arbeitete sie weiter in der Kanzlei. Auf diese Weise hatte sie beides: einen ernsthaften Job und das Studium. Derzeit schreibt sie ihre Masterarbeit und leistet nebenher ihre 40-Stunden-Woche ab. "Das Studium neben der Arbeit ist sehr anstrengend. Aber man weiß, warum man es macht, und muss sich immer vor Augen führen, dass es nur für gut drei Jahre ist", erklärt Hagedorn.

Als Teilzeitstudentin gehört sie zu einer kleinen Minderheit: Nur 214 000 der in Deutschland Studierenden taten dies im Wintersemester 2018/19 in Teilzeit, wie das Statistische Bundesamt mitteilt - das entspricht 7,5 Prozent aller Eingeschriebenen. Eine Hälfte der Teilzeitstudierenden greift nach Angaben des Centrums für Hochschulentwicklung CHE auf die kostenpflichtigen Angebote privater Hochschulen zurück, die andere Hälfte auf staatliche - wobei davon fast jeder Zweite an der staatlichen Fernuniversität Hagen eingeschrieben ist.

Teilzeitstudierende verlieren ihren Bafög-Anspruch

Für den Master gibt es mehr Teilzeit-Studienangebote als für den Bachelor, das Angebot an Universitäten ist größer als an Fachhochschulen. Deutschlandweit lassen sich etwa 14 Prozent aller Studiengänge auch in Teilzeit absolvieren.

Die Technische Universität (TU) Darmstadt bietet immerhin 94 der 113 Studiengänge als Teilzeitvariante an, doch nur 670 der 25 000 Studierenden greifen darauf zurück - nicht einmal drei Prozent. Warum so wenige? "Die gesetzlichen Regelungen sind nicht so, dass sie ein Teilzeitstudium begünstigen", sagt Gabriele Pfeiffer, die an der TU Studierende mit Kind und Teilzeitstudierende berät.

Das Hauptmanko: "Wer Teilzeit studiert, verliert seinen Bafög-Anspruch." Allerdings: "Die Bafög-Förderung geht ohnehin immer weiter zurück, immer weniger Studierende haben überhaupt Anspruch darauf", sagt Pfeiffer. "Das heißt natürlich im Umkehrschluss, dass mehr von ihnen erwerbstätig sein müssen, weil nur wenige Studierende voll von ihren Eltern finanziert werden können."

Die meisten ihrer Hochschüler studieren in Teilzeit, weil sie nebenher in erheblichem Umfang erwerbstätig sind. Ob sie nun arbeiten wollen oder müssen, kann Pfeiffer nicht sagen. Auch Kinderbetreuung spiele eine große Rolle. Anders als an privaten Hochschulen muss ein Teilzeitstudium an staatlichen Unis beantragt werden, oft jedes Semester neu. Und es wird nur aus bestimmten Gründen genehmigt: Neben Erwerbstätigkeit sind das Kindererziehung, eine Behinderung, eine chronische schwere Erkrankung, die Pflege von Angehörigen oder Hochleistungssport.

Weniger Veranstaltungen und mehr Zeit vor der Prüfung

All diese Gründe machen es natürlich schwer, ein Vollzeitstudium zu absolvieren, das laut Pfeiffer darauf ausgerichtet ist, dass man sich vier oder sechs Semester lang 40 Stunden in der Woche damit beschäftigt. Wer dagegen in Teilzeit studiert, besucht meist nur die Hälfte der Veranstaltungen, hat längere Fristen, um Mindestleistungen zu erbringen oder seine Abschlussarbeit zu schreiben.

Und es gilt eine maximal doppelt so lange Regelstudienzeit - die zu überschreiten je nach Bundesland unterschiedliche Konsequenzen hat. So drohen etwa in Niedersachsen, Sachsen oder Thüringen Langzeit-Studiengebühren, während in Bundesländern wie Hessen nichts passiert.

Die TU Darmstadt verzeichnet eine kontinuierlich steigende Nachfrage nach ihren Teilzeitangeboten - die seit Beginn der Corona-Pandemie noch einmal zugenommen hat. Das hängt paradoxerweise damit zusammen, dass viele Studierende eben nicht mehr erwerbstätig sein können: "Durch Corona sind nicht nur die Jobs in der Gastronomie weggefallen, sondern auch viele Studentenjobs in der Industrie", sagt Pfeiffer. Deshalb hätten einige Studierende nur die Wahl, das Studium abzubrechen, weil sie es nicht mehr finanzieren können - oder auf ein Teilzeitstudium umzusatteln. Der Grund dafür: Teilzeitstudierende haben anders als Vollzeitstudierende Anspruch auf Arbeitslosengeld II, weil sie weiterhin zur Vermittlung auf dem Stellenmarkt zur Verfügung stehen.

Und damit ist man schon tief drinnen in den bürokratischen Wirren um das Teilzeitstudium: Wer aus dem Ausland kommt und in Deutschland studiert, gefährdet etwa seinen Aufenthaltstitel, wenn er ins Teilzeitstudium wechselt. Auch die Wohnberechtigung im Studentenwohnheim kann auf der Kippe stehen.

Wer nur zur Hälfte studiert, verliert seinen Versichertenstatus

Besonders die versicherungsrechtlichen Aspekte sind kompliziert: Vollzeitstudierende und Studierende, die ein Teilzeitstudium mit mehr als der Hälfte des Arbeitsumfangs eines Vollzeitstudiums absolvieren, dürfen bis zu 20 Wochenstunden arbeiten und bleiben dabei als Studierende krankenversichert. Außerdem müssen sie auch keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlen.

Das nennt man Werkstudentenprivileg. Dieses entfällt, wenn ein Teilzeitstudium mit der Hälfte oder weniger des Arbeitsumfangs eines Vollzeitstudiums betrieben wird. In solchen Fällen geht die Krankenkasse davon aus, dass die überwiegende Arbeitskraft nicht dem Studium gewidmet wird, weshalb diese Teilzeitstudierende als normale Arbeitnehmer betrachtet und versichert werden.

Auf diese Spitzfindigkeiten reagiert die TU Darmstadt wie viele andere Hochschulen, indem sie zwei verschiedene Teilzeitstudienpläne anbietet: Während man im Vollzeitstudium pro Semester für gewöhnlich 30 Credit Points erwirbt, gilt man bei dem Modell mit 20 Credit Points als "überwiegend studierend" und bleibt in der studentischen Krankenversicherung.

Den Studienplan mit 15 Credit Points empfiehlt Pfeiffer solchen Studierenden, die als Arbeitnehmer krankenversichert sind, weil sie damit ihre sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche für den Fall der Arbeitslosigkeit wahren und Arbeitslosengeld II beantragen können. "So sichern wir beide Seiten ab", erklärt Pfeiffer.

Wenn der Mitarbeiter studiert, profitiert der Arbeitgeber

Die Studienberaterin weist gleich auf ein weiteres Problem des Teilzeitstudiums an einer staatlichen Hochschule hin: "Bei uns gibt es dafür kein gesondertes Lehrangebot, sondern nur ein zeitlich gestrecktes Präsenzstudium." Die Studierenden müssen deshalb zeitlich flexibel sein. "Und sie benötigen einen kulanten Arbeitgeber, der sie unterstützt, sie auch mal mitten am Tag freistellt oder sogar zwei Wochen am Stück, damit sie eine Laborarbeit machen können, wenn sie zum Beispiel Chemie studieren."

Wer einen wenig kulanten Arbeitgeber hat, für den gibt es die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Teilzeitstudiums. Allerdings fallen dafür in vielen Bundesländern Gebühren an - so zum Beispiel in Hessen, Baden-Württemberg oder Bayern. "Da kostet der Master schnell mehr als 20 000 Euro", sagt Gabriele Pfeiffer.

Da kann man auch gleich an privaten Unis studieren, die sich auf berufsbegleitende Studiengänge spezialisiert haben - wie es Antonia Hagedorn macht. Sie zahlt etwa 350 Euro Studiengebühren im Monat. "Die finanzielle Seite war für mich eher irrelevant, ich wollte unbedingt den Master machen, weiter lernen, mich weiterentwickeln", begründet sie ihre Entscheidung für die FOM-Hochschule. Außerdem beteiligt sich ihr Arbeitgeber an den Kosten - bei einem Studium, das zu dem Arbeitsfeld passe, das man gerade ausübt, profitiere der Brötchengeber schließlich auch davon, meint Hagedorn.

"Wenn ich berufliche Situationen hatte, die ich nicht selbst lösen konnte, fragte ich eben meinen Professor, wenn das Thema sowieso gerade besprochen wurde", sagt die Steuerassistentin. Das sei für sie ein großer Vorteil gewesen, von dem indirekt auch ihr Arbeitgeber etwas hatte. Auch die kleinen Gruppen von zehn oder 15 Teilnehmern sieht sie als Vorzug eines Teilzeitstudiums an einer privaten Hochschule: "Man sitzt eben nicht mit tausend anderen Studenten im Audimax."

Ein straffes Pensum: Teilzeitstudium plus Beruf oder Familie

Hagedorn empfiehlt ein Teilzeitstudium allen, die schon genau wissen, was sie wollen: "Man legt sich sehr stark fest. Wenn man mitten im Studium feststellt, dass einem dieses spezielle Fach doch nicht gefällt, hat man viel vergeblich investiert. Und man arbeitet ja meistens auch in dem Feld." Ihr Vollzeitstudium der Wirtschaftswissenschaften sei viel breiter gefächert gewesen, wodurch sie leichter herausfinden konnte, was ihr liegt und was nicht.

Dass sie ausgerechnet beim Steuerrecht hängengeblieben sei, habe auch damit zu tun, dass viele sagen: "Steuern, um Gottes willen!" Das sei für sie ein Ansporn gewesen. Ihr Studiengang schließt mit dem "Master of Law" ab und bereitet zugleich auf die Steuerberater-Prüfung vor.

Bevor sie diese lernintensive Prüfung in Angriff nimmt, will Hagedorn jedoch eine Pause einlegen: "Nach dem Masterabschluss möchte ich auch wieder ein bisschen Sozialleben und Freiheit haben." Wenn ihre Freunde in den vergangenen Jahren am Wochenende feierten oder ins Kino gingen, saß sie oft in der Bibliothek oder am heimischen Schreibtisch, um zu lernen. Doch bereut hat sie es nicht.

Gabriele Pfeiffer von der TU Darmstadt bescheinigt dem Teilzeitstudium indes noch viel Verbesserungspotenzial: "Gerade im Hinblick auf Chancengleichheit und auf lebenslanges Lernen muss es stärker gefördert werden."

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