Studium:Studiert doch, was ihr wollt!

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Diese Studenten haben sich schon für ein Fach entschieden - welche Jobs sie später ergreifen werden, ist damit längst nicht festgelegt. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Viele Abiturienten sind mit dem Angebot an grundständigen Studiengängen überfordert. Dabei wird die Tragweite der Entscheidung überschätzt.

Von Larissa Holzki

Am 15. Juli endet an den meisten Hochschulen die Bewerbungsfrist für das Wintersemester. Viele Schulabgänger müssen jetzt zum ersten Mal allein eine wegweisende Entscheidung für ihr Leben treffen. Das jedenfalls geben ihnen dieser Tage Lehrer und Eltern bei Zeugnisverleihungen mit auf den Weg. Karriereratgeber sprechen gern von einer der schwierigsten Entscheidungen überhaupt.

Chapeau allen 17- bis 19-Jährigen, die da angesichts von mehr als 8000 Bachelorstudiengängen in Deutschland noch entscheidungsfähig sind! Fächer wie Industrielle Biotechnologie in Biberach, Musikvermittlung in Erfurt und Schienenfahrzeugtechnik in Aachen können zwar viele von vorneherein ausschließen. Aber wie soll man sich zwischen fast 700 Studiengängen der Betriebswirtschaft entscheiden?

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Die Aussage, die Kinder müssten nun eigene Entscheidungen treffen, ziehen Eltern schnell wieder zurück, wenn der Sohn oder die Tochter lieber ein Jahr Auszeit in Australien machen will als Vorlesungsverzeichnisse zu durchforsten. Zumal meist weder der Abiturient noch seine Eltern ernsthaft daran glauben, dass ihm beim Kamele füttern im Outback die Erleuchtung kommen wird. Manche Eltern fangen gar selbst an zu recherchieren, welche Studiengänge an der nächstgelegenen Uni angeboten werden und solide Zukunftsaussichten versprechen.

Aber stimmt die Annahme überhaupt noch? Ist die Studienwahl für die Karriere heutiger Abiturienten noch so entscheidend wie die ihrer Eltern? Es gibt viele Gründe, die dagegensprechen.

Jobspezifische Fertigkeiten werden unwichtiger

Wer Prognosen über den Arbeitsmarkt der Zukunft betrachtet, stellt fest: Nichts wird bleiben, wie es ist. Globalisierung, Digitalisierung und Robotisierung verändern die Berufsbilder. Es werden Jobs wegfallen, die es immer gab und neue entstehen, die wir uns noch nicht vorstellen können. Was der Arbeitnehmer der Zukunft braucht, ist vor allem Anpassungsfähigkeit. Einen Studiengang, der so heißt, gibt es allerdings noch nicht.

Personaler wählen ihre Bewerber nach eigenen Angaben schon heute weniger nach ihren Vorkenntnissen aus als nach Persönlichkeit. Entscheidend für die Einstellung sei, ob jemand teamfähig ist, die Unternehmenswerte lebt und gute Ideen hat. Fertigkeiten könnten sich gute Kandidaten dann im Unternehmen aneignen.

Berufliche Qualifikation und Tätigkeit haben oft nichts mehr miteinander zu tun. Geografen führen Unternehmen. Physiker beraten Manager. Unternehmer bringen Schülern das Rechnen bei. Die Technische Universität Dresden experimentiert sogar mit der Ausschreibung von Professuren, bei denen das Fachgebiet der Kandidaten gleichgültig ist, wenn die Bewerber nur außerordentlich innovativ und exzellent forschen.

Obwohl immer mehr Deutsche studieren, sinkt die Arbeitslosenquote unter Akademikern. Zuletzt lag sie bei 2,4 Prozent - einen Job findet quasi jeder Hochschulabsolvent. Ist es also völlig egal, was man studiert? Um Anwalt zu werden, braucht man ein Jurastudium. Operieren dürfen nur studierte Mediziner. Aber wer mit Paragrafen und Blut im Berufsleben definitiv nichts zu tun haben will, kann nicht allzu viel falsch machen. Ein Bachelor oder Master verspricht zwar keinen studienadäquaten Job, aber relativ sicher ein Einkommen. Die allermeisten Laufbahnen sind über Umwege zu erreichen.

Ein Berufsleben ist heute so lang, dass zwei Karrieren hineinpassen. Umschulungen sind oft berufsbegleitend und ortsunabhängig möglich. Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt sogar: Wer freiwillig den Beruf wechselt, verdient langfristig mehr.

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Bei der Studienwahl auf Eltern und Berater zu hören, ist nicht zu empfehlen. Das zeigt eine Untersuchung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung unter Studienabbrechern in Baden-Württemberg. Studenten, die Ratschlägen statt Leidenschaften folgen, brechen demnach häufiger ihr Studium ab. Mehr als jeder fünfte Befragte hätte lieber ein anderes Fach studiert. Wer das, was er tut, gerne macht, hat mehr Erfolg und gewinnt Selbstbewusstsein.

Sich an anderen zu orientieren, heißt außerdem, austauschbar zu sein. Wer Betriebswirtschaft an einer Massenuni studiert und Praktika bei Konzernen absolviert hat, muss herausragend sein, um aufzufallen. Kandidaten mit Spezialwissen wecken mehr Interesse und können im Bewerbungsgespräch meist eine spannendere Geschichte erzählen.

Entscheidungen treffen wird zur Schlüsselkompetenz

"Storytelling" ist überhaupt eines der Zauberworte der Beratungsliteratur: Wer gut begründet, warum er ein Studium geschmissen und etwas ganz anderes gemacht hat, vergrößert nach Ansicht mancher Experten sogar seine Jobchancen gegenüber Bewerbern, die sich nie einen Fehler eingestanden haben.

Die Stiftung Weltwirtschaftsforum hat Personalverantwortliche und Führungskräfte global agierender Firmen gefragt, auf welche Kompetenzen sie bei Mitarbeitern künftig besonders achten würden. Im Jahr 2020 werden demnach vor allem Arbeitskräfte gefragt sein, die komplexe Probleme lösen können, kritisch hinterfragen und kreativ sind. All das können Studierende letztlich in jedem Fach lernen.

Wenn Maschinen und Produkte selbsttätig logistische Fragen klären, automatisierte Datenbanken Wissensfragen beantworten und Roboter Kranke operieren, bleiben für Menschen vor allem Aufgaben übrig, die Entscheidungen unter Unsicherheit erfordern. Mit einer mutigen Studienwahl lässt sich diese Kompetenz belegen.

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