Studium ohne Hochschulreife:Ohne Abi an die Uni

Bad Muskauer Schloss vor Eröffnung

Handwerksmeister und Fachwirte haben mehr Wahlmöglichkeiten in Sachen Studium als Berufserfahrene, die nicht über die entsprechenden Abschlüsse verfügen. Ein klassischer Handwerksberuf ist zum Beispiel Stukkateur.

(Foto: Matthias Hiekel/dpa)

Immer mehr Berufserfahrene wollen auf dem dritten Bildungsweg studieren. Für welches Fach sie sich einschreiben können, hängt von beruflichem Werdegang, dem Bundesland und der jeweiligen Hochschule ab.

Von Christine Demmer

Immer mehr Studenten nehmen in den Hörsälen der Hochschulen Platz, die das Abitur nur aus Erzählungen kennen. 1997 studierten in Deutschland nur etwa 8500 Menschen ohne Abitur oder Fachhochschulreife. 2014 waren es sechs Mal so viele, nämlich fast 50 000. Diese Zahlen hat das CHE Centrum für Hochschulentwicklung mit Sitz in Gütersloh erhoben. Alle 16 Bundesländer haben die gesetzlichen Zugangsmöglichkeiten zum Studium ohne Abitur deutlich ausgeweitet. "Damit will die Politik zwei Ziele erreichen. Zum einen soll die Akademikerquote steigen, weil die Anforderungen im Job zunehmen. Zum anderen will man die Schul- und Berufswege so durchlässig wie möglich gestalten, um den Menschen die bestmöglichen Bildungschancen zu eröffnen", erklärt CHE-Geschäftsführer Frank Ziegel.

Das klingt gut. Tatsächlich aber begrenzen die Hochschulen den Anteil der für Bewerber ohne Abitur reservierten Studienplätze bei besonders nachgefragten Studiengängen auf drei bis zehn Prozent. Außerdem kann nicht jeder Berufserfahrene jedes Fach studieren. Die freie Auswahl haben nur Meister im Handwerk sowie die Inhaber bestimmter Fortbildungsabschlüsse wie Fachwirte und Techniker. Einer Immobilienfachwirtin stehen von Archäologie bis Zoologie alle Studienrichtungen offen. Bewerber mit "nur" einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einigen Jahren Berufspraxis hingegen werden lediglich für Fächer zugelassen, die mit ihrer Ausbildung zu tun haben. Ein Immobilienkaufmann darf sich mithin zwischen Immobilienmanagement oder Betriebswirtschaftslehre mit Studienrichtung Real Estate entscheiden.

Hochschulen entscheiden über die Zulassung

Mitunter braucht man Argumentationsgeschick, um an einer Hochschule aufgenommen zu werden. Denn über die Zulassung entscheiden die Hochschulen in Eigenregie. Es kommt vor, dass die eine sagt: "Das geht" und die andere sagt "Das geht nicht". Bei der Bereitschaft, sich für Berufstätige zu öffnen, gebe es große Unterschiede zwischen den Hochschulen, bestätigt Professor Andrä Wolter von der Humboldt-Universität in Berlin.

Trotz des einhelligen Beschlusses der Kultusminister, die beruflichen Abschlüsse der an allgemeinbildenden Schulen erworbenen Hochschulreife gleichzustellen, existieren in den Bundesländern unterschiedliche Regelungen für das Studium ohne Abitur. So kann zum Beispiel eine Krankenschwester mit mittlerer Reife in Rheinland-Pfalz nur dann ein Bachelorstudium in Gesundheitsökonomie absolvieren, wenn sie ihre Berufsausbildung mit einer Durchschnittsnote von 2,5 oder besser abgeschlossen hat. Sie kann später den Master draufsatteln und, wenn sie will, sogar promovieren. Ein Rettungssanitäter mit Note eins, der in Nordrhein-Westfalen Medizin studieren will, darf das nicht. Ärzten in spe ohne Abitur macht es das bevölkerungsreichste Bundesland auch sonst schwer: Ihre Berufsausbildung wird einem Abiturnotenschnitt von 4,0 gleichgesetzt. Das kann jahrelanges Warten auf einen Studienplatz bedeuten.

Von den weniger qualifizierten Studierwilligen, bei denen es sich nicht um Meister, Techniker oder Fachwirte handelt, fordern einige Bundesländer und Hochschulen zudem das Bestehen einer schriftlichen und mündlichen Zugangsprüfung. Dazu muss man sich etwa ein Jahr vor beabsichtigtem Studienbeginn anmelden. Manche Hochschulen verlangen zusätzlich oder alternativ ein zwei- bis viersemestriges Probestudium. Man sollte sich also bei jeder einzelnen Hochschule nach den für einen bestimmten Studiengang geltenden Vorschriften erkundigen.

In den Fachhochschulen steht die Tür weit offen

Kunterbunt sind nicht nur die Zugangsregelungen, sondern auch die Studien- und Serviceangebote der Hochschulen. Auf der CHE-Plattform Studieren-ohne-abitur.de sind die Zulassungsbestimmungen der einzelnen Bundesländer detailliert aufgeführt. Wie es die einzelne Hochschule hält, erfährt man auf der jeweiligen Homepage und bei der Zulassungsstelle. Durchwachsen sind auch die Erfolge der Länder bei der Öffnung ihrer Hochschulen für beruflich qualifizierte Menschen: An der Spitze rangieren Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin, im unteren Drittel Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. In Hamburg und Nordrhein-Westfalen, Pioniere des Studiums ohne Abitur, übersteigt der Anteil von beruflich qualifizierten Studienanfängern jeweils schon fünf Prozent. In vier der fünf ostdeutschen Bundesländer hingegen ist er rückläufig.

Während die Universitäten noch mit beruflich Qualifizierten fremdeln - gerade mal zwei Prozent ihrer Studienanfänger kommen über den sogenannten dritten Bildungsweg -, haben sich die meisten Fachhochschulen bereits für Bewerber ohne Abitur geöffnet. Das Publikum honoriert es. "Fachhochschulen sind mit einem Anteil von circa vier Prozent aller Studienanfänger ohne Abitur oder Fachabitur bei dieser Zielgruppe doppelt so stark nachgefragt wie Universitäten", sagt CHE-Chef Ziegele.

Beliebte Fernstudiengänge

Auch die kostenpflichtigen privaten Hochschulen freuen sich über Zulauf. Sie bieten weit stärker als Hochschulen in staatlicher Trägerschaft das, was berufserfahrene Studenten so sehr schätzen: zeitliche und örtliche Flexibilität im Studium. An der Spitze der beliebtesten Hochschulen ballen sich deshalb die Fernhochschulen, ganz vorne die Fernuniversität in Hagen. "Fernstudiengänge sind für diese Zielgruppe besonders attraktiv", sagt Ziegele. "Allerdings erfordert diese Form des Studiums viel Selbstdisziplin, die nicht jeder aufbringen kann."

Bei der Fächerwahl entscheidet sich die Hälfte der Erstsemester für Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, gefolgt von den Sprach- und Kulturwissenschaften (14 Prozent) sowie den Ingenieurwissenschaften (13 Prozent). Jeder Zehnte nahm 2014 ein Studium im Bereich Medizin oder Gesundheitswissenschaften auf. 2002 lag der Anteil noch bei 0,7 Prozent. "Dieser deutliche Zuwachs ist eine Folge der fortschreitenden Akademisierung der Gesundheitsberufe", erklärt Ziegele. Durchaus möglich, dass es auch in anderen Berufen dorthin kommt. Private und Fachhochschulen bringen laufend neue Studienangebote auf den Markt.

Alles andere als neu ist hingegen, dass Menschen ohne allgemeine Hochschulreife, doch mit einer hervorragenden künstlerischen Begabung an Kunst-, Film-, Theater- und Musikhochschulen studieren dürfen. Die Hochschulen behalten sich allerdings die Zulassung vor - sie legen ihre jeweils eigenen Maßstäbe an.

Sind beruflich Qualifizierte ohne Abitur eine Bürde für die Hochschulen? Hierzu gebe es immer wieder Diskussionen, sagt Andrä Wolter. "Viele Universitäten befürchten, dass diese Gruppe zu einer Belastung wird. Aus unserer Längsschnittuntersuchung, einer sich über einige Jahre erstreckenden Zeitreihenuntersuchung, können wir das nicht bestätigen." Bei Studierenden mit beruflichem Bildungshintergrund gebe es zwar eine etwas höhere Abbrecherquote, aber nicht nur aus Leistungsgründen, sondern auch wegen zeitlicher Vereinbarkeitsprobleme. "Aber diejenigen, die das Studium abschließen, schneiden ebenso erfolgreich ab wie die anderen."

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