Studium:Juristen auf dem Vormarsch

Von wegen Anwaltsschwemme: Martin Henssler, Präsident des Deutschen Juristentags, spricht über die rosige Zukunft seiner Zunft und Schwächen in der Ausbildung.

Wolfgang Janisch

Juristen sollen keine Technokraten sein, meint Martin Henssler, der nach 2008 zum zweiten Mal Präsident des Deutschen Juristentags ist. Zugleich hat der Professor für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität Köln eine positive Botschaft an den Nachwuchs: Das Jurastudium lohnt sich - qualifizierte Juristen werden gebraucht.

ERSTSEMESTER-STUDENTEN AN UNI FREIBURG

Gut gefüllt: Jura gehört noch immer zu den beliebtesten Studienfächern. Laut Martin Henssler,  Präsident des Deutschen Juristentages, ist das auch gut so.

SZ: Juristen haben eine tragende Rolle in unserem Gemeinwesen: 22 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Juristen - die stärkste Berufsgruppe im Parlament. Und im Bundeskabinett sitzen sechs Minister mit Juraexamen. Ein bisschen viel, oder?

Martin Henssler: Dazu kommt noch der Bundespräsident. Juristen sind in gewisser Weise auf dem Vormarsch, das stimmt. Vielleicht ist das Ausdruck der immer komplexer werdenden Rechtsfragen.

SZ: Spielt die Abstraktionsfähigkeit eine Rolle, die Juristen vom ersten Semester an lernen? Ist das eine Schlüsselfähigkeit in einer komplexer werdenden Welt?

Henssler: Vom Politiker wird erwartet, dass er sich zu ganz vielen Sachthemen positionieren kann. Deshalb muss er die Fähigkeit haben, rasch den Kern eines Problems zu erfassen. Das ist etwas, was man als Jurist lernen muss.

SZ: Die Wirtschaftskrise hat den Ruf nach einer stärkeren Rolle des Staates laut werden lassen, Wirtschaftswissenschaftler haben an Reputation eingebüßt. Ist das die Stunde der Juristen?

Henssler: Der Einfluss pendelt immer hin und her. Deregulierung war vor nicht allzu langer Zeit das Schlagwort, nun denken wir wieder über mehr Regulierung nach. Recht ist ja immer auch Sicherung der Freiheit und Schutz des Schwächeren. Da sind Juristen gefragt. Allerdings sehen Sie in unserer Fachabteilung zum Finanzmarktrecht, wie wichtig es ist, dass Ökonomen und Juristen zum Dialog finden. Da geht es unter anderem um die Frage, wie man verhindern kann, dass Banken zu groß und damit für das System zu riskant werden. Das können verschiedene Experten nur gemeinsam lösen. Auch Ökonomen brauchen das Recht, um ihre Analysen umzusetzen.

SZ: Das Recht ist längst keine nationale Angelegenheit mehr. Viele Vorschriften werden in Brüssel erlassen, globale Probleme erfordern globale Regulierungsansätze.

Henssler: Deshalb haben wir parallel zum Deutschen auch den Europäischen Juristentag eingerichtet.

SZ: Wird der Deutsche Juristentag damit überflüssig?

Henssler: Nein. Der DJT ist der Impulsgeber. Zudem ist der Europäische Juristentag davon abhängig, dass die Themen national vorbereitet werden.

SZ: Was bedeuten Europäisierung und Internationalisierung für die Ausbildung?

Henssler: Wenn wir keine Rechtstechniker, sondern Mitgestalter wollen, muss man sich fragen: Werden Studenten in der jetzigen Ausbildung richtig gefordert und gefördert? Da würde ich ein Fragezeichen setzen. Seit zehn, 15 Jahren werden Praxisbezug und Schnelligkeit in den Mittelpunkt gestellt. Ich meine, dass heute die Befassung mit den Grundlagen des Rechts - Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte - zu sehr in den Hintergrund getreten ist. Wenn Absolventen des ersten Staatsexamens zwar in Seminaren schon Fragen des internationalen Wirtschaftsrechts behandeln, aber noch keinen Gedanken auf die Rechtsperversion im Dritten Reich verwendet haben, muss man schon fragen: Geht das in die richtige Richtung? Internationalisierung ist wichtig, Spezialkenntnisse sind wichtig, aber die Förderung eines verantwortungsvollen Juristentypus, der über das moralische Fundament des Rechts nachdenkt, sollte ein Grundanliegen bleiben.

SZ: Sind die europäischen Vorgaben für die Hochschulausbildung da eher kontraproduktiv?

Henssler: Jedenfalls wird das Bologna-Modell missverstanden, wenn Bachelor- und Masterstudiengänge dazu führen, dass in einem verschulten Studium nur noch Rechtstechnik gelehrt wird.

SZ: Es gibt 150.000 Rechtsanwälte. Würden Sie jungen Menschen überhaupt noch zum Jurastudium raten?

Henssler: Ja. Die Zunahme bei den Anwaltszahlen hat sich stark verlangsamt, qualifizierte Juristen werden weiterhin dringend gebraucht. Auch die Zahl der Jurastudenten hat abgenommen, von vormals 100.000 auf derzeit 77.000. Berücksichtigt man den demographischen Faktor, so glaube ich nicht, dass wir in Zukunft ein Problem mit zu vielen Juristen haben werden.

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