Studium:Geschlossene Gesellschaft

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Die Zahl der Abiturienten steigt - trotzdem studieren immer weniger: Fehlende Plätze und Numerus Clausus verbauen ihnen den Weg an die Uni.

T. Schultz

Viele Universitäten in Deutschland haben in den vergangenen Wochen einen wahren Ansturm an Bewerbern erlebt.

Gelichtete Reihen: Numerus Clausus, hohe Studiengebühren und die oft schlechte Koordination der Zulassung durch die Hochschulen halten viele Abiturienten vom Studium ab. (Foto: Foto: ddp)

Die Berliner Hochschulen meldeten Rekordzahlen, an der Universität Münster gingen an manchen Tagen fünf große, randvoll mit Bewerbungen gefüllte Postkisten ein. Auf 5000 Studienplätze kommen in Münster 26 000 Bewerber. In Fächern wie BWL, Psychologie oder Politikwissenschaft können nur die wenigsten genommen werden.

Im vorigen Jahr stieg zwar erstmals seit fünf Jahren die Zahl der Studienanfänger. Doch mit der wachsenden Zahl an Studienberechtigten hält sie nicht Schritt. Es öffnet sich eine Schere: Nach neuen Angaben des Statistischen Bundesamts gab es im vergangenen Jahr 17 Prozent mehr Abiturienten als 2003 - aber fünf Prozent weniger Studienanfänger.

Der hochschulpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Kai Gehring, sprach am Dienstag von "einem Armutszeugnis für die Hochschulpolitik". Zugangshürden müssten fallen, sonst werde aus dem vorhergesagten "Studierendenhoch ein Akademikertief".

Die Kultusminister erwarten eigentlich einen deutlichen Anstieg der Studentenzahlen, weil derzeit die letzten geburtenstarken Jahrgänge die Schulen verlassen. Prognosen zufolge könnte die Zahl der Studenten bis 2015 von derzeit zwei auf etwa 2,5 Millionen steigen.

Mehr als die Hälfte aller Fächer zulassungsbeschränkt

Doch noch fehlen dafür die nötigen Studienplätze, und viele Bewerber scheitern am Numerus clausus, mit dem sich die Hochschulen vor zu vielen Interessenten schützen. Im Sommersemester 2008 gab es bundesweit in 55 Prozent aller Fächer Zulassungsbeschränkungen.

Vor allem in den neuen Bachelor-Studiengängen, in denen die Studenten intensiver betreut werden sollen, sind sehr gute Abiturnoten nötig.

Weil die Hochschulen mittlerweile weitgehend selbst über die Zulassung der Bewerber entscheiden und die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) entmachtet wurde, bleiben allerdings immer wieder auch Plätze frei. Zusagen und Absagen werden zu schlecht koordiniert.

Auf der nächsten Seite: Wie die Zahl der Studenten erhöht werden soll.

Einheitliche Zulassungsverfahren

Die SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt fordert deshalb einheitliche Zulassungsverfahren. Die Regeln zur Bewerbung und Immatrikulation seien derzeit zu unübersichtlich.

Die SPD macht zudem die Studiengebühren in unionsgeführten Ländern für den Verzicht vieler Abiturienten auf ein Studium verantwortlich. Umfragen des Hochschul-Informations-Systems (HIS) zeigen, dass die Studierneigung der Abiturienten stagniert und die Gebühren von vielen als ein Grund genannt werden, lieber nicht an eine Hochschule zu gehen.

Der Ansturm von Bewerbern an Universitäten in München oder Münster belegt allerdings, dass es auch viele Abiturienten gibt, die bereit sind, für einen Studienplatz zu bezahlen.

Um die Zahl der Studenten zu erhöhen, haben Bund und Länder vor zwei Jahren den sogenannten Hochschulpakt geschlossen. Er läuft bis 2010, der Bund belohnt die Länder mit insgesamt 565 Millionen Euro, wenn sie bundesweit 91.000 zusätzliche Studienplätze schaffen.

Bisher verläuft der Ausbau der Hochschulen aber schleppend, vor allem die großen Flächenländer im alten Bundesgebiet erfüllen ihre Versprechen bisher noch nicht.

Offensichtlich werde der Pakt unterlaufen, sagt Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin. Die Hochschulen seien vor allem daran interessiert, ihre Forschung zu stärken und die Qualität der Studiengänge zu verbessern. Für einen quantitativen Ausbau müsse noch mehr investiert werden. Der neue Hochschulpakt, über den Bund und Länder in den kommenden Wochen beraten wollen, müsse deutlich teurer werden als der erste, sagt Dohmen.

Die Hochschulrektorenkonferenz verlangt für die Jahre 2011 bis 2020 jährlich 2,6 Milliarden Euro. Eine Neuauflage des Pakts dürfe nicht nur die Erhöhung der Studienanfängerzahl zum Ziel haben. Der Pakt müsse auch "eine deutliche qualitative Verbesserung der Lehre ermöglichen", fordert die Lobbyorganisation der Hochschulen.

Abiturienten könnten auf Lehrstellenmarkt ausweichen

Dieter Dohmen warnt, künftig könnten Abiturienten zunehmend auf den Lehrstellenmarkt ausweichen. So würde es für Haupt- und Realschüler immer schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden.

Schon jetzt würden außerdem viele Abiturienten nach dem Schulabschluss zunächst ein Jahr oder länger abwarten, reisen, jobben oder Praktika absolvieren, bis sie ihr Studium oder eine Ausbildung beginnen. Dazu kämen Zivildienst oder Bundeswehr. Dies konterkariere die Verkürzung der Schul- und Studienzeiten.

Engpässe an den Unis sind auch ein Verteilungsproblem. An ostdeutschen Hochschulen und in einigen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern können sich Abiturienten oft ohne jede Wartezeit einschreiben. Denn dort gibt es eher zu wenige als zu viele Bewerber.

© SZ vom 30.7.2008/mei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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