Studium:Es muss nicht immer die TU München sein

Studium: Studenten aus 14 Nationen studieren an der HBK Essen. Wer einen Schwerpunkt wie Malerei wählt, kann auch Kurse in anderen Fächern besuchen.

Studenten aus 14 Nationen studieren an der HBK Essen. Wer einen Schwerpunkt wie Malerei wählt, kann auch Kurse in anderen Fächern besuchen.

(Foto: Tjorben Meier)

Persönlich statt anonym: Wer sich für spezielle Fächer interessiert, kann auch an einer kleinen Hochschule studieren. Zum Beispiel Kunst in Essen oder Kirchenmusik in Herford.

Von Holger Pauler

Ein u-förmiges Backsteingebäude schmiegt sich in die hügelige Landschaft. Der benachbarte Baldeneysee sorgt für Freizeitflair; man kann dort spazieren gehen oder in eines der Lokale einkehren. Doch es gibt auch Gründe, dieser Versuchung nicht nachzugeben: An diesem Freitagnachmittag sitzen gut zwei Dutzend Studierende im Hörsaal der Hochschule der bildenden Künste (HBK) Essen, um an dem Seminar "Grundfragen der Kunstbetrachtung" teilzunehmen. Hier muss man nicht überpünktlich in den Hörsaal kommen, um noch einen freien Platz zu ergattern, wie dies an Universitäten in großen Städten üblich ist: Es gibt in Deutschland auch Hochschulen, an denen man in persönlicher Atmosphäre lernen kann - und zu ihnen gehört die HBK Essen.

Seit fünf Jahren können Künstler an dieser Hochschule ihren Bachelor in den Fächern Bildhauerei/Plastik, Fotografie/Medien und Malerei/Grafik erwerben. Hochschulpräsident Stephan Schneider hatte im Jahr 2001 bereits den Vorreiter der HBK Essen, die Freie Akademie der bildenden Künste, gegründet, da es um die Jahrtausendwende im Ruhrgebiet noch keine Kunstakademie gab.

Das Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Prinz-Friedrich ist sehr großzügig eingerichtet: hohe Decken, mittelgroße Räume - auf zwei Etagen verteilt. Gerade mal 154 Studierende haben sich für das Wintersemester 2018 eingeschrieben. Der Unterricht findet in kleinen Gruppen mit maximal 20 Personen statt. Die Wege auf dem Campus sind kurz, sodass sich Studierende und Dozierende beinahe täglich sehen. Eine gewisse soziale Kontrolle lässt sich dadurch nicht vermeiden, wobei die Lehrenden lieber von "sozialer Verantwortung" sprechen: "Wenn Studierende zwei oder drei Wochen in Folge nicht zum Unterricht erscheinen, fragen wir uns schon, welche Gründe es gibt", sagt der Professor für Kunstwissenschaft und Vizepräsident Raimund Stecker einer von 20 Dozenten.

Das Studium ist interdisziplinär. Neben der praktischen Ausbildung im jeweiligen Schwerpunkt gibt es ein kunstwissenschaftliches Begleitstudium sowie Seminare zu Management und Vermarktung. Im ersten Semester findet der Unterricht gemeinsam statt. Einige nutzen die Chance, um ihren Schwerpunkt zu wechseln. Auch später haben alle die Möglichkeit, Kurse in anderen Fächern zu besuchen. "Als Fotograf baue ich immer häufiger bildhauerische Elemente in meine Arbeiten ein", sagt Loïc Hommel. Die interdisziplinären und multimedialen Angebote hätten seinen Blick geweitet. "Vorher hatte ich mich damit nicht beschäftigt, aber hier habe ich die Freiheit, über den Tellerrand zu schauen", sagt der 23-jährige Luxemburger.

Auch die Altersstruktur ist gemischt. "Wenn ich im Alltag ältere Leute treffe, habe ich das Gefühl, nicht immer ernst genommen zu werden. Hier ist es anders. Gerade die älteren Semester erfahren den Austausch als Erweiterung und Bereicherung", sagt Nele Sadlo. Mit "älteren Semestern" meint sie Studenten um die 50. Die 20-Jährige studiert im vierten Semester Malerei. Für sie sei das Studium vor allem eine Möglichkeit, kreativ zu werden und permanent zu lernen, ohne eine geradlinige Karriereplanung zu haben. "Ich lasse mich vom Studium, aber auch von meinen Kommilitonen inspirieren und nutze die freie Zeit, um im Atelier neue Dinge auszuprobieren", sagt sie.

Für Ältere wiederum ist es inspirierend, sich mit Jüngeren auszutauschen. "Ich bekomme dadurch eine Chance, über viele Dinge neu nachzudenken", sagt René Sikkes. Der 58-Jährige Niederländer hat das Studium der Fotografie/Medien an der HBK Essen vor circa fünf Jahren aufgenommen und war einer der ersten Absolventen der Kunsthochschule. Heute ist er hier Lehrbeauftragter.

Gemeinsames Lernen geht außerhalb des Campus weiter

Mittlerweile hat sich die Hochschule einen überregionalen Ruf erarbeitet. Was auch am Personal liegt: Der Künstler Tim Trantenroth zum Beispiel hat den ersten Preis des Kunst-am Bau-Wettbewerbs für das Humboldt-Forum im Berliner Schloss für das Treppenhaus über dem Hofportal fünf erhalten. Auch die Grafikerin Nicola Stäglich oder der Fotograf Thomas Wrede haben sich international einen Namen gemacht. Studierende aus 14 Nationen sind an der Hochschule eingeschrieben. Der Unterricht ist allerdings komplett auf Deutsch. "Kunst ist polylingual, da spielt das Gesprochene eine untergeordnete Rolle", sagt Vizepräsident Stecker. Während der ersten sieben Semester zahlen Bürger der Europäischen Union Studiengebühren von 475 Euro pro Monat; Teilnehmer, die nicht aus der EU stammen, bezahlen in diesem Zeitraum 3900 Euro pro Semester.

Absolventen haben die Chance, ihr Wissen in einem Masterstudium an einer anderen Hochschule zu vertiefen. Sie wechseln zu klassischen Kunstakademien, etwa nach Hamburg oder Düsseldorf. Doch nicht alle Absolventen werden hinterher als Künstler arbeiten und eigene Ausstellungen und Galerien haben. "Wir müssen uns für alle kreativen Berufe öffnen", sagt Sikkes. Der Fotograf hat neben seinem Lehrauftrag Zeit, sich der Praxis zu widmen. Zur Eröffnung seiner Ausstellung "Storyboard" in diesem Frühjahr in Essen kamen viele Studierende der HBK. Das gemeinsame Lernen geht auch außerhalb des Campus weiter.

Gut 150 Kilometer weiter östlich befindet sich der Hauptsitz der Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten. Wenn man ein spezielles Fach wie Kirchenmusik studiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man während des Studiums individuell und persönlich betreut wird. Etwa jeder zehnte Studierende des Fachs Evangelische Kirchenmusik wird dort ausgebildet und kann an der Akademie die Bachelor- und Masterprüfung sowie Künstlerische Reifeprüfung und Konzertexamina absolvieren. Die Hochschule wurde 1948 von der Evangelischen Kirche von Westfalen (EkvW) ins gegründet. "Damals haben die Landeskirchen beschlossen, die Ausbildung zum Kirchenmusiker nicht mehr nur dem Staat zu überlassen", sagt Helmut Fleinghaus, Rektor der Hochschule. Damit habe man Lehren aus der NS-Zeit gezogen, in der die Ausbildung vom Staat beeinflusst und missbraucht worden sei.

Aktuell gibt es bundesweit sechs Hochschulen für Kirchenmusik, die in Trägerschaft der evangelischen Landeskirchen stehen, daneben kann das Fach auch an 18 staatlichen Hochschulen studiert werden. Insgesamt 370 Studierende in Deutschland nutzen das Angebot derzeit - diese Zahl schließt auch die staatlichen Hochschulen mit ein. In Herford sind derzeit 26 Studierende eingeschrieben, am Standort Witten sind es weitere 16 im Fach Populäre Kirchenmusik. Der Unterricht findet in entsprechend kleinen Gruppen in der Villa Menkhoff statt, einem mehrstöckigen Gründerzeit-Bau aus dem Jahre 1889, der mit seinen hohen Decken und großzügigen Räumen "optisch wie akustisch einen würdigen Rahmen bietet", so Fleignhaus. Daneben gibt es zwei neuere Gebäude.

Die Zulassungsvoraussetzungen sind durchaus anspruchsvoll: Eine gute musikalische Vorbildung, die allgemeine Hochschulreife und die Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche sind Pflicht. Wer diese Bedingungen erfüllt, muss zudem eine Aufnahmeprüfung bestehen. Gebühren fallen übrigens keine an, abgesehen von 50 Euro für die Immatrikulation und 15 Euro für die Rückmeldung.

Studierende der Hochschule Herford müssen eine Ausbildung zum Blechbläser und zum Leiter eines Posaunenchors absolvieren. Außerdem sind drei Semester Schlagzeug obligatorisch, in denen man sich an Pauke, Marimba, Vibraphon oder Drumset austoben kann. Seit dem Wintersemester 2016/17 bietet die Hochschule am Standort Witten zudem eine populärmusikalische Ausbildung an. "Wir reagieren damit darauf, dass in den Kirchengemeinden immer häufiger Lieder gesungen werden, die aus dem Pop, dem Rock, dem Jazz oder der elektronischen Musik kommen", sagt Fleinghaus. Der Anspruch der Kirchengemeinde sei heute, auch bei diesen Spielarten professionelle Kantoren einzusetzen. Da der Studiengang noch jung ist, können die Teilnehmer aktuell auch nur den Bachelor machen, ein Master ist aber in Planung.

"Früher gab es bei Bewerbungen um eine Kantorenstelle 20 oder 30 Bewerber, heute sind es knapp eine Handvoll", sagt Fleinghaus. Insgesamt gibt es derzeit etwa 1500 hauptberufliche Stellen. Um das Jahr 2020 sei zudem mit einer Pensionierungswelle zu rechnen, so Fleinghaus. Absolventen der Hochschule für Kirchenmusik oder vergleichbarer Akademien werden in naher Zukunft also ziemlich sicher einen Job finden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: