Studieren in Übersee:Party im Ausland

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Erasmus-Stipendien sind beliebt - über den Lerneifer der Studenten lässt sich allerdings streiten. Viele Stipendiaten feiern lieber anstatt zu pauken, behaupten Kritiker.

Lena Brochhagen

Studieren und zugleich ein anderes Land kennenlernen, davon träumen viele Studenten. Und nicht selten lassen sich durch einen Abstecher ins Ausland die Berufsaussichten verbessern, für viele Posten ist Auslandserfahrung eine wichtige Voraussetzung. Doch wenn Daniel von seinem Studium im irischen Limerick berichtet, klingt es eher nach Urlaub.

Feiern statt büffeln: Experten fordern mehr Fleiß von Studenten, die ein Auslandssemester absolvieren. (Foto: Foto: ddp)

"Man ist raus aus dem Trott und kann das richtig genießen", schwärmt der Erasmus-Stipendiat aus Siegen und erzählt von wilden Partys mit den Kommilitonen. Studiert habe er nicht sehr viel, weil ihm die Seminare später an seiner Heimatuni ohnehin nicht weitergebracht hätten. Was für Daniel plausibel klingt, kritisieren andere. Sie fordern eine Reform des Erasmus-Programms.

Mittlerweile nutzen etwa 24000 Deutsche das Erasmus-Stipendium der EU, um für ein oder zwei Semester an eine ausländische Uni zu gehen. Dafür bekommen sie durchschnittlich 155 Euro im Monat und sind von Studiengebühren befreit.

Der Berner Bildungsökonom Stephan Wolter findet Programme für Auslandsaufenthalte zwar sehr wichtig, aber aus seiner Sicht müsste das Erasmus-Konzept dringend überarbeitet werden. Statt immer mehr Studenten mit relativ kleinen Beiträgen zu unterstützen, empfiehlt der Professor großzügigere finanzielle Hilfen für fleißige Studenten, deren Eltern keinen Auslandsaufenthalt mitfinanzieren können.

Stephan Wolter hat den Zusammenhang zwischen Auslandsstudium und anschließender Karriere untersucht. Dabei stellte er zwar fest, dass Studenten, die im Ausland waren, höhere Einstiegsgehälter und häufiger einen Doktortitel als der Durchschnitt erreichen.

Das liegt laut Wolter jedoch nicht am Auslandsaufenthalt: Die Studenten brachten die Voraussetzungen schon mit, behauptet er. Sein Fazit: "Die Subventionen gehen zum großen Teil ins Leere." Er fordert deshalb strengere Auflagen für Erasmus-Studenten. Vor allem müssten mehr Studienleistungen im Ausland verlangt werden, denn momentan fördere die EU auch Aufenthalte, die eher einer ausgedehnten Freizeit ähnelten: Viele Stipendiaten feierten mehr, als sie lernten, lautet die provokante These des Professors.

Partys gehören dazu

Während Wolter die Erasmus-Stipendiaten zu mehr Fleiß zwingen will, sehen das andere Wissenschaftler gelassener. Die Studentenpartys gehörten zu einem Auslandsaufenthalt dazu, sagt Ulrich Teichler, Bildungsexperte von der Universität Kassel. Lernen finde schließlich nicht nur im Hörsaal statt: "Die Studenten erfahren, dass die Welt anders ist, als Stubenhocker glauben."

Im Austausch mit den Studenten anderer Länder würden viele Vorurteile abgebaut. "Man lernt nicht nur in Kursen, sondern man muss auch links und rechts vom Weg schauen", sagt Stephan Fuchs, Leiter des Akademischen Auslandsamts an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Seiner Meinung nach besteht das Auslandsstudium aus "einem Teil Party, einem Teil Sprache lernen und einem Teil Studium".

Auf der nächsten Seite: Ausländische Studenten bleiben unter sich.

Kein Kontakt zu Einheimischen

In Deutschland brechen etwa 17 Prozent der Studenten in andere Länder auf. Die Nachfrage nach dem Erasmus-Programm wächst seit Jahren. Die meisten Stipendiaten verbrachten im vergangenen Jahr ihre Auslandssemester in Spanien (21Prozent), Frankreich (18Prozent) und Großbritannien (13Prozent). Seit der Einführung 1987 haben in ganz Europa 1,7 Millionen Studierende die Förderung genutzt. Das kostet mehr als 400Millionen Euro im Jahr; und das Budget soll weiter aufgestockt werden.

Doch nicht nur der Schweizer Forscher Stephan Wolter sieht Defizite bei Programmen wie Erasmus. Die Integration der Studenten im Gastland gelinge nicht immer, beobachtet Stephan Fuchs von der LMU. Die meisten Erasmus-Studenten blieben unter sich. Einheimische treffe man nur selten im Kreise der internationalen Studenten.

Das Erlernen der Sprachen, sieht man vom Englischen ab, bleibe damit oft auf der Strecke. Verstärkt werde dies nun durch die Bachelor- und Masterstudiengänge, weil Studenten statt zwei Semestern oft nur noch ein Semester im Ausland bleiben wollen oder sogar ganz darauf verzichten. Die Zahl der deutschen Studenten, die an eine ausländische Uni gehen, stagnierte im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit zwanzig Jahren.

Leistungen werden nicht immer anerkannt

Eigentlich sollten die neuen Studiengänge den Studenten einen Auslandsaufenthalt erleichtern. Doch das Versprechen, dass sie ihre Leistungen durch das European Credit Transfer System (ECTS) besser übertragen können, hat sich noch nicht für alle erfüllt. Die "Leistungspunkte", die ein Student für seinen Arbeitsaufwand sammelt, sollen sicherstellen, dass die Abschlüsse vergleichbar sind. "Learning Agreements" sollen außerdem die spätere Anerkennung gewährleisten. Doch das gelingt nicht immer. Nach wie vor sind etliche Studienprogramme nicht aufeinander abgestimmt. "Die Anerkennung wird sogar schwieriger, weil die Bachelor-Module stärker beschränkt sind", sagt Fuchs.

Robert Büssow, der in Leipzig Journalistik und Politikwissenschaft studiert, hatte Glück. Der Erasmus-Stipendiat verlor durch das Studium in Lissabon keine Zeit und bekam seine Leistungen anerkannt. Für ihn bestand der Auslandsaufenthalt auch nicht nur aus Partys. "Quasi nebenbei" wollte er Land, Leute und Sprache kennenlernen. Trotz monatelanger Vorbereitung verstand er die Portugiesen allerdings kaum. Also brütete er zunächst bis spät in die Nacht über Sprachbüchern, bevor er dann das Land für sich entdecken konnte.

Studenten nutzen ihren Auslandsaufenthalt eben unterschiedlich, sagt Siegbert Wuttig, beim Deutschen Akademischen Austauschdienst zuständig für die Hochschulzusammenarbeit in der EU. Die EU verlange deshalb ganz bewusst kein Mindestmaß an Studienleistungen im Ausland: "Uns ist nicht nur das Fachliche wichtig, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung, das Kennenlernen fremder Kulturen und Sprachen und das Erleben von Europa." Auch Daniel, der Erasmus-Stipendiat aus Siegen, will seine Auslandserfahrung nicht missen. Die Zeit in Limerick habe ihn persönlich weitergebracht. "Vor allem bin ich offener geworden."

© SZ vom 27.10.2008/heh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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