Süddeutsche Zeitung

Studienfach "Spiritual Care":Helfen, wo nicht mehr zu helfen ist

Wenn "Denken Sie positiv" nichts mehr nützt: Deutschlands erste Professur für Spiritualität in der Medizin bereitet Ärzte auf den Umgang mit todkranken Patienten vor.

C. Frank

Mit dem Sinn ist es eine komplizierte Angelegenheit, viele finden ihn ja noch nicht einmal im Leben. Dem Sterben aber einen Sinn zu geben oder einer schweren Krankheit, das gelingt fast niemandem. Nicht mal den Ärzten.

Eckhard Frick und Traugott Roser sind angetreten, das zu ändern. Der Jesuit und der evangelische Pfarrer sind Deutschlands erste Professoren für "Spiritual Care". Zum Sommersemester 2010 haben sie einen Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München bekommen, wo sie an der medizinischen Fakultät lehren und forschen. Was erst einmal nach einer esoterisch angehauchten Mischung aus Räucherstäbchen und Krankenhausseelsorge klingt, ist in Wirklichkeit ein europaweit einzigartiges Projekt - und eine mindestens ebenso einzigartige Zusammenarbeit verschiedener sozial- und naturwissenschaftlicher Fachrichtungen unter dem Dach einer Uniklinik.

Es ist ein grauer Freitag in Dachau bei München, im Eingang des Tagungszentrums auf dem Petersberg drängeln sich die Regenschirme. Nach hier oben hat sich Eckhard Frick für zwei Wochen zurückgezogen, es sind Semesterferien, das nutzt er, um in Dachau Fortbildungen zu geben. Spirituelle Fortbildungen, natürlich. In den Pausen hat er Zeit zu erklären, was das überhaupt ist, "Spiritual Care". Und was die Studenten in München von ihm lernen können.

Angestellt ist Frick am Lehrstuhl für Palliativmedizin, dort gibt es insgesamt vier Professuren: eine für Erwachsenen- und eine für Kinderpalliativmedizin, eine Professur für Soziale Arbeit und eine für Spiritual Care. Anders ausgedrückt, lehren und forschen in der Münchner Palliativmedizin: zwei Ärzte, eine Sozialarbeiterin, ein evangelischer Pfarrer und ein Jesuit - um die Spiritual-Care-Professur ökumenisch zu halten, wurde sie in zwei halbe Stellen aufgeteilt.

Insgesamt mutet das Team, das sich Lehrstuhlinhaber Gian Domenico Borasio zusammengestellt hat, wie ein merkwürdiges, fast schon unmedizinisches Durcheinander an. In Wirklichkeit ist Borasios Kollegium aber die perfekte Erfüllung dessen, was sich die Weltgesundheitsorganisation WHO unter einer idealen palliativmedizinischen Betreuung vorstellt: Wer sterbenskrank ist, heißt es in den internationalen Regeln, braucht nicht nur körperliche, sondern auch psychosoziale und spirituelle Hilfe.

Mit der Anstellung von Eckhard Frick und Traugott Roser erfüllt die LMU als erste Universität Europas die WHO- Kriterien. Das Modell könnte nicht nur zum Vorbild für andere Universitäten werden, sondern auch für andere medizinische Disziplinen - schließlich, glaubt zumindest Eckhard Frick, sind Medizin und Spiritualität nie ganz voneinander zu trennen.

Um zu zeigen, wie er das meint, läuft der sehr große, dünne Professor durch den Regen in die nahe Basilika Peter und Paul, vor einer Wandmalerei bleibt er stehen. Sie zeigt einen Sarg, dem eine kleine Figur gen Himmel entschwebt. "Nennen Sie diese Figur Seele oder Spirit oder Qi oder Geist, es gibt sie in jeder Kultur der Welt", sagt Frick. Der Einfachheit halber spricht er heute nur von "x". "Es ist in der Medizin unstrittig, dass der Mensch aus der Summe ,Körper plus x' besteht", sagt er. Im Grunde ist Fricks Aufgabe nichts anderes, als das "x" zu suchen und den richtigen Umgang der Medizin damit zu finden - und das den Studenten zu vermitteln.

Noch bevor die Nachwuchsärzte der LMU im neunten Semester im "Palliativseminar 2" die Schmerz- und Symptomkontrolle bei sterbenskranken Patienten erlernen, müssen sie sich im sechsten Semester im "Palliativseminar 1" mit Themen wie Trauer, Spiritualität und psychosozialen Aspekten auseinandersetzen - zum Beispiel in Form von Rollenspielen, Diskussionen, Gruppenarbeit. Den Unterricht im Palliativseminar1, darauf legt Lehrstuhlinhaber Borasio wert, übernehmen ausschließlich nicht-medizinische Fachkräfte wie Sozialarbeiter, Psychotherapeuten oder Pfleger.

Schon seit 2004 ist das so, damals hat die LMU als eine der ersten Universitäten Deutschlands die Palliativmedizin in den Rang eines Pflichtfachs erhoben. Dadurch waren Roser und Frick schon vor ihrem Ruf auf die Spiritual-Care-Professur im Uniklinikum im Einsatz. Der wird nun deutlich aufgewertet - doch nicht alle finden das gut. "Uns schlägt auch Skepsis entgegen", räumt Frick ein.

Manche Ärztekollegen hielten sein Fach für Luxus, für eine Orchideen-Disziplin, für Geldverschwendung. "Wir haben doch Krankenhausseelsorger", heißt es dann oft - doch das, sagt Frick, sei etwas ganz anderes: "Traugott Roser und ich sind keine theologischen U-Boote in der Medizin, wir senden nicht eine bestimmte Konfession in die Kliniken." Stattdessen stünden die beiden in intensivem interdisziplinären Austausch mit den Ärzten über die Frage, wie die Behandlung im Sinne des Patienten verbessert werden kann. Sicherlich ist es dabei von Vorteil, dass Eckhard Frick selbst auch in Medizin und in Philosophie habilitiert ist. Oft kann er die Skepsis der Ärzte dadurch entkräften.

Schwieriger wird es jedoch, wenn die Kritik aus anderen Fächern kommt. Wenn es zum Beispiel heißt, die Medizin würde ihren Allmachtsanspruch inzwischen selbst auf die Theologie ausdehnen. "Spiritualität und Religion sind nicht das Gleiche", erklärt Frick dann, Spiritualität sei "viel mehr". Manchmal benutzt er den Begriff fast wie ein Synonym für "Zwischenmenschlichkeit". Es klingt fast erschreckend, dass es offenbar viele junge Ärzte gibt, die Nachhilfe in Zwischenmenschlichkeit brauchen.

Tatsächlich aber ist es eben eine Wissenschaft für sich, mit sterbenskranken Patienten umzugehen. Mit Menschen zu arbeiten, bei denen das ärztliche Selbstverständnis, andere zu heilen, ausgehebelt wird. Da helfen plötzlich keine Floskeln mehr wie "Das wird schon wieder" oder "Denken Sie doch mal positiv". Da hilft plötzlich nicht mal mehr das Vertrauen in die Allmacht der modernen Medizin. Da scheint jeder Sinn weit weg zu sein, und nicht nur die Patienten kommen an ihre Grenzen, sondern auch die Ärzte. Traugott Roser und Eckhard Frick wollen beiden helfen.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2010/holz
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