Studienfach-Protokolle:Wenn es gefunkt hat

Plötzlich entdeckt man ein noch junges Programm, das einen wirklich interessiert: Drei Pioniere beschreiben ihr jeweiliges Spezialgebiet.

Von Christiane Bertelsmann

Die Anzahl der Studienangebote in Deutschland steigt immer weiter: Laut dem Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz kamen zwischen 2014 und 2019 knapp weitere 3000 Studiengänge hinzu, das entspricht etwa 17 Prozent. Aktuell kann man unter mehr als 20 500 Studiengängen wählen. Viele der neuen Fächer sind interdisziplinär, etwa 30 Prozent haben einen englischsprachigen Namen. Was dahinter steckt, erklärt die Studie "Die Vielfalt der Studiengänge 2019" des gemeinnützigen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) so: Die Welt werde komplexer und spezialisierter. Genau das bilde die Vielfalt der Studienangebote ab, heißt es in der im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie. Im Folgenden erzählen drei junge Menschen, wie es sich anfühlt, Teilnehmer eines neu geschaffenen Studiengangs zu sein.

An der Haustechnik tüfteln

Kai Nischwitz, 23, immatrikuliert im Bachelorstudiengang "Real Estate und Integrale Gebäudetechnik" an der Frankfurt University of Applied Sciences:

"Nach dem Abi hatte ich mich zunächst für Biowissenschaften an der Uni Heidelberg eingeschrieben, denn in Bio war ich vor allem in den Abiturprüfungen sehr gut gewesen. Weil ich aber schnell das Interesse an Biologie verloren hatte, wechselte ich zu BWL. Mit einem BWL-Studium kann man immerhin später mal alles machen, dachte ich mir. So ganz das Richtige war das dann doch nicht für mich.

Studienfach-Protokolle: Bei dem jungen Studiengang läuft noch nicht alles rund, sagt Kai Nischwitz. Doch insgesamt ist er sehr zufrieden.

Bei dem jungen Studiengang läuft noch nicht alles rund, sagt Kai Nischwitz. Doch insgesamt ist er sehr zufrieden.

(Foto: Privat)

Zusammen mit einer Freundin, die in ihrem Studiengang ebenfalls nicht so glücklich war, suchte ich nach Alternativen, ursprünglich nur für sie - und stieß auf den 2018 neu gegründeten Studiengang Real Estate und Integrale Gebäudetechnik an der Frankfurt University of Applied Sciences. Ich war von meiner Neuentdeckung so begeistert, dass ich noch einmal den Studiengang wechselte. Mich hat daran vor allem die technische Seite gereizt. Ich fahre Motorrad und mache da auch alles selbst, die Wartung und die Umbauten.

Im Studium lernen wir, wie das Zusammenspiel von verschiedenen technischen Systemen in einem Gebäude funktioniert. Klima- und Lüftungsanlagen, Brandschutz, Heizung, Sanitär- und Elektroanlagen - eben alles, was in einem Gebäude für eine sinnvolle und sichere Nutzung notwendig ist. Alles hängt da in einem komplexen System zusammen. Spezielle Planungssoftwares helfen uns dabei, diese Anlagen auf den Bedarf des Gebäudes abzustimmen. In den Übungsaufgaben können wir das dann gleich anwenden.

Mein Studiengang besteht erst seit 2018. An manchen Stellen hakt es noch hin

und wieder, man merkt eben, dass es nicht nur für uns Studierende Neuland ist. Aber unsere Dozenten sind immer super engagiert, immer offen für unsere Fragen und Ideen. Ich finde es gut, dass das ein kleines Studienfach ist. Wir haben mit gerade mal 15 Leuten begonnen, da kann man sich sehr gut einbringen.

Seit Kurzem arbeite ich als Werkstudent in einem Frankfurter Planungsbüro für die technische Gebäudeausrüstung. Das könnte ich mir auch nach dem Studium gut vorstellen, die Aufgaben sind sehr abwechslungsreich. Ich finde es gut, Projekte von Anfang an zu betreuen, zusammen mit Architekten, Bauingenieuren und Handwerksbetrieben ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.

Eventuell setze ich nach dem Bachelor noch einen Master in Gebäudeautomation in Biberach drauf, das würde mein bisheriges Studium gut ergänzen."

Handelskonzerne kennenlernen

Ricardo Ruppert, 22, studiert im Bachelor-Studiengang Retail Management an der Rheinischen Fachhochschule Köln, University of Applied Sciences:

"Customer Journey? Omnichannel-Handel? Mit manchen Begriffen auf der Website des Studiengangs Retail Management konnte ich zunächst nichts anfangen. Nach dem Abitur war ich auf der Suche nach einem passenden Studium an einer privaten Hochschule. Meine Mutter machte mich auf den Bachelor-Studiengang Retail Management aufmerksam. ,Das ist was ganz Besonderes', meinte sie. Als ich mir die Beschreibung des Studiengangs durchlas, blieb mir - neben den neuen Begriffen - ein Satz besonders im Gedächtnis: "Die Zukunft des Handels mitgestalten." Mich hat schon immer interessiert, was hinter großen Handelskonzernen wie Lidl oder Saturn steckt. Also habe ich mich beworben. Der Bachelor-Studiengang lief gerade mal seit zwei Semestern, und ich bekam noch zum Sommersemester 2019 einen Platz.

Studienfach-Protokolle: Im Kurs mit nur acht Kommilitonen zu lernen, sieht Ricardo Ruppert als großen Vorzug seines Studiengangs.

Im Kurs mit nur acht Kommilitonen zu lernen, sieht Ricardo Ruppert als großen Vorzug seines Studiengangs.

(Foto: Privat)

Dass der Studiengang so neu ist, fiel überhaupt nicht auf, alles lief reibungslos. Wir sind gerade mal neun Leute im Kurs. Die Dozenten kommen größtenteils aus der Praxis, wie zum Beispiel ein Unternehmensberater, der für große Konzerne tätig ist. Das gefällt mir sehr gut, weil es das Studium dynamisch macht und wir von den Erfahrungen dieser Experten profitieren können. Ich glaube, an einer staatlichen Hochschule wäre das anders.

Finanzieren kann ich mir mein Studium zum Glück selbst. Ich habe mich als Schüler mit einem kleinen Shop auf Amazon selbständig gemacht. Schon damals hat mich interessiert, wie ein Großkonzern wie Amazon funktioniert. Jetzt jobbe ich für eine Unternehmensberatung. Außerdem habe ich ein neues Projekt am Start: Ich organisiere Fotoshootings und berate Influencer. Später könnte ich mir gut vorstellen, bei einer großen Handelskette im Marketing zu arbeiten. Privat bin ich übrigens nicht so shopping-begeistert, ich finde das eher nervig und anstrengend.

Was hinter dem Begriff Customer Journey steckt, und wie Omnichannel-Handel geht, weiß ich natürlich inzwischen: Customer Journey ist der Weg des Kunden bis zum Kauf: Der Kunde googelt beispielsweise ein Produkt mit seinem Smartphone, dann kommt er an einem Laden vorbei, sieht das Produkt und kauft es. Dafür hätte er natürlich noch mehr Möglichkeiten: Internet, kleine Läden, größere Geschäfte. Das nennt man Omnichannel-Handel."

Zu Grenzen forschen

Juli Biemann, 27, hat vor kurzer Zeit ihre Masterarbeit in Border Studies an der Universität des Saarlands abgegeben:

"Grenzen trennen nicht nur Nationen. Sie können auch innerhalb eines Bundeslandes verlaufen, zwischen Stadt und Land oder, so wie momentan, zwischen Risikogruppen und Nicht-Risikogruppen. Dass das Thema Grenzen immer aktuell ist, dafür hat mich mein Masterstudium in Border Studies sensibilisiert.

Studienfach-Protokolle: Ein trilinguales Studium hat Juli Biemann absolviert – in deutscher, französischer und englischer Sprache.

Ein trilinguales Studium hat Juli Biemann absolviert – in deutscher, französischer und englischer Sprache.

(Foto: Nicole Dau)

Auf ihn bin ich eher zufällig gestoßen. Weil ich nach meinem Bachelor-Studium nicht sofort arbeiten wollte, habe ich geschaut, welcher Masterstudiengang gut passen würde. Ich habe in Kiel Politikwissenschaften und Französisch studiert und war auf der Suche nach einem bilingualen Programm, um meine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Border Studies ist mit deutschen, französischen und englischen Modulen sogar trilingual. Also zog ich von Kiel nach Luxemburg, einem der insgesamt vier Standorte. Ich gehörte zu den ersten 15 Studierenden, sozusagen zu den Pionieren, denn Border Studies waren ganz neu im Angebot der Hochschule.

Ein Studium an vier Universitäten in drei Ländern zu organisieren, die alle sehr unterschiedliche Kommunikations- und Notensysteme haben, ist nicht ganz einfach. Gerade in den ersten Semestern habe ich das als etwas chaotisch empfunden. Es gab thematische Dopplungen: Die Funktionsweise der EU kenne ich inzwischen wirklich gut, weil wir das gleich zweimal besprochen haben. Der Stil, in dem wissenschaftliche Arbeiten abgefasst wurden, war sehr unterschiedlich: sehr auf Wissenschaftlichkeit bedacht in Deutschland, in Frankreich kam es auch darauf an, dass die Texte gut und leicht lesbar sind. Ich musste lernen, die störrische kleine Stimme auszuschalten, die sagt: So, wie du es gelernt hast, ist es richtig. Im Nachhinein war das eine gute Übung darin, die Grenze im eigenen Kopf abzubauen. Übrigens konnten wir bei Feedbackrunden mit der Studiengangskoordination Verbesserungsvorschläge einbringen.

Zu den Studienfächern gehörten Kultur- und Geowissenschaften, Linguistik, Politikwissenschaften und Raumplanung. Für meine Masterarbeit habe ich analysiert, wie die jeweils größten regionalen Zeitungen in Luxemburg, im Saarland und in Lothringen über das französische Atomkraftwerk Cattenom berichten - da gibt es enorme Unterschiede.

Mein studienbegleitendes Praktikum habe ich bei dem Projekt ,CoWorkLand' der Heinrich-Böll-Stiftung gemacht, das sich mit Co-Working-Spaces im ländlichen Raum beschäftigt. Eigentlich sind Co-Working-Spaces ja eher eine urbane Arbeitsform. Aber weil Menschen durch ihre Handlungen neue Räume erschließen - und sich dadurch Grenzen auflösen oder verschieben - passt das auch auf dem Land und kann dort aktuellen Problemen wie dem demografischen Wandel und verstopften Pendlerwegen entgegenwirken.

Aus dem Praktikum hat sich übrigens meine erste Arbeitsstelle ergeben. Seit April bin ich für zweieinhalb Jahre mit einer halben Stelle für Projekte in Niedersachsen zuständig."

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