Studienabbrecher:Vermatrikuliert?

Von 100 Studienanfängern verlassen 21 die Hochschule ohne Abschluss. Oft sind falsche Erwartungen schuld - doch der Abbruch muss nicht das Aus für die Karriere bedeuten.

Maria Huber

"Was kannst du denn mit deinem Studium später werden?" "Eigentlich alles." In den meisten Fällen heißt das: "Ich habe keine Ahnung." Viel zu viele Studenten wissen nicht, zu welchen Berufen sie ihr Studium befähigt. Die hohe Rate der Studienabbrecher ist daher nicht verwunderlich: Von dem Anfängerjahrgang 2001 mit 260.000 Studenten brachen 55.000 ihr Studium ab.

Student, dpa

Weitermachen oder das Studium abbrechen? Wenn man gute Gründe hat, hat man auch als Studienabbrecher keine schlechten Aussichten.

(Foto: Foto: dpa)

"Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Leute falsche Erwartungen an das Fach haben. Sie wissen bei Studienbeginn zu wenig darüber", sagt Ulrich Heublein. Er ist Projektleiter des Hochschul Informations Systems (HIS) und betreut die Studie "Berechnung der Studienabbruchquoten". Seit 2001 wird dort alle zwei Jahre die Abbrecherquote ermittelt, die neueste liegt bei 21 Prozent und wurde im Februar 2008 veröffentlicht.

Dabei gibt es genug Möglichkeiten, sich als angehender Student genau über sein Studienfach zu informieren. Bereits in der Schule werden Informationsveranstaltungen angeboten, in Buchhandlungen sind unzählige Studienführer erhältlich und auch die Agentur für Arbeit bietet in ihrem Berufsinformationszentrum (BIZ) Unterstützung an. Doch selbst wenn sie in Anspruch genommen wird, hilft das den Studienanfängern oft auch nicht weiter. Sogar Pressereferentin Ilona Mirtschin gibt zu: "Jeder einzelne Berater weiß natürlich nicht über jeden Studiengang Bescheid".

Das Hauptproblem besteht laut Ulrich Heublein darin, dass die Studienanwärter diese Möglichkeiten ungenutzt lassen. "Viele meinen, sie wüssten bereits alles über ein bestimmtes Fach, weil sie sich aufgrund irgendwelcher persönlicher Erfahrungen einmal eine Meinung gebildet haben, die nicht immer zutrifft." Auch das akademische Arbeiten würde von vielen unterschätzt.

Wer bin ich? Und was macht ein Ingenieur?

Über die eigenen Fähigkeiten und Stärken sind sich die jungen Menschen laut Heublein oft überhaupt nicht im Klaren. "Es mangelt an der Vorstellung darüber, wer man eigentlich ist." Ein Praktikum beispielsweise kann helfen, herauszufinden, ob die Arbeit Spaß macht und was für ein Beruf mit dem Fach verbunden sein kann. "Die Berufe Lehrer und Arzt kennt jeder, aber schon beim Ingenieur fehlen die genauen Vorstellungen über das Berufsbild", so der Projektleiter. Auch das spiegelt sich in den Abbruchquoten wider, die bei Medizin und Lehramt am niedrigsten sind und bei Ingenieur-, Sprach- und Geisteswissenschaften in die Höhe schnellen.

Wer nach einigen Semestern das Studium abbricht, muss sich aber noch lange nicht zu den gescheiterten Existenzen zählen. Hilfe gibt es zum Beispiel auf der Plattform www.studienabbrecher.com, die vor sechs Jahren von einem Studenten gegründet wurde und seitdem ständig gewachsen ist.

Studienabbrecher können dort kostenlos ihre Profile einstellen. Die persönlichen Stärken stellen die Abbrecher auf Jobsuche dabei ebenso dar wie ihre Gründe für den Abbruch. So ist in der Stellenbörse beispielsweise zu lesen: "Das zweite Staatsexamen in Jura nicht bestanden", "Ich konnte das Studium aus finanziellen Gründen leider nicht fortführen", oder "Der Teilbereich Mathematik ist in den fortgeschrittenen Semestern sehr abstrakt und hat kaum Bezug zu realen Problemstellungen in Unternehmen". Manche werben zusätzlich mit konkreten finanziellen Vorteilen für Unternehmen: "Know-how eines Ingenieurs zum Preis eines Meisters oder Technikers."

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum man zugeben sollte, dass man nur Party gemacht hat.

Vermatrikuliert?

Bei den Gründen für den Abbruch sollte man ehrlich sein

Erhard Stahl, Pressesprecher der Plattform, beschreibt die Vorteile, die Studienabbrecher für ein Unternehmen bringen: "Man muss mit den Leuten nicht von vorne anfangen, sie haben schon ein fundiertes Grundwissen und brauchen nur noch den Feinschliff. Außerdem wollen Studienabbrecher keine unrealistischen Gehaltsforderungen durchsetzen."

All das haben die Firmen bereits erkannt und inserieren ebenfalls auf www.studienabbrecher.com. Die Siemens AG ist da nur ein Beispiel. "Ein Abbruch heißt ja nicht, dass derjenige nicht dafür qualifiziert ist, bei uns zu arbeiten. Wichtiger ist es, Begeisterung für den Job mitzubringen", sagt Marc Langendorf von Siemens. Gerade bei Abbrechern komme es jedoch darauf an, wie man sich bewirbt. "Auf jeden Fall muss man die Gründe für den Abbruch gut darlegen können", so Langendorf.

Dabei sollte man möglichst ehrlich sein, rät Job-Coach Gitte Härter, die Bewerber auf Vorstellungsgespräche vorbereitet und zusammen mit ihrer Kollegin das Buch "Studienabbruch, na und!" geschrieben hat. Die Bewerber sollten sich über den Grund des Abbruchs klarwerden und dann auch die Wahrheit sagen, sagt sie.

So sollten sie durchaus den Mut haben, dem Personaler zu sagen: "Ich habe das Lernen nicht ernst genommen und bin nicht klargekommen mit der Freiheit. Ich habe nur Party gemacht." Auf diese Weise die Verantwortung zu übernehmen und durch Erklärungen möglichst wenig Spielraum für Interpretation zu lassen, sei strategisch gut. "Das ist viel besser als irgendeinen Quatsch, wie zum Beispiel eine kranke Oma, zu erfinden. Das glaubt ohnehin keiner." Plakative Gründe, die gut klingen, würden auch sofort durchschaut.

Dass man - egal mit welcher Strategie - auch als Studienabbrecher noch gute Chancen hat, zeigt die Studie des Hochschul Informations Systems. Sie hat untersucht, was Studienabbrecher ein halbes Jahr nach dem Abbruch machen: "31 Prozent machen eine Berufsausbildung und 41 Prozent sind erwerbstätig. Arbeitslos ist dagegen nur rund ein Zehntel der Abbrecher, nicht mehr als bei den Absolventen", betont Heublein. Der Rest ist der Studie zufolge mit Praktika beschäftigt oder, beispielsweise als junge Mütter, mit Familienarbeit. Auch wenn eine niedrigere Abbruchquote wünschenswert wäre: Die Studienabbrecher haben bessere Perspektiven als gedacht und wissen, was sie wollen.

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