Studie zur Leiharbeit:Angestellte zweiter Klasse

Die Leiharbeit hat als Brücke in die Festanstellung kläglich versagt. Zu einem regulären Job verhilft sie kaum einem - stattdessen wird sie zur Bedrohung für die Stammbelegschaft.

Thomas Öchsner

Eigentlich muss man dem Milliardär Anton Schlecker dankbar sein. Der Herrscher über Europas größte Drogeriekette trieb es bei dem Versuch, seinen Profit zu maximieren, ein bisschen zu weit. Er entließ systematisch Verkäuferinnen in seinen Filialen und stellte sie als deutlich billigere Leiharbeiter wieder ein. Schlecker hat damit geschafft, was keiner Gewerkschaft gelungen ist: Weil er durch seine Machenschaften die Leiharbeit in eine Schmuddelecke der Nation gehievt hat, gibt es endlich eine breite öffentliche Diskussion über den Missbrauch dieser Beschäftigungsform. Und die ist dringend notwendig: Die Branche, die in ein paar Jahren mehr als eine Million Menschen beschäftigen dürfte, braucht dringend neue, gerechte Spielregeln.

Studie zur Leiharbeit: Schlecker wollte Angestellte entlassen und als billigere Leiharbeiter neu einstellen - das hat die Diskussion um die Branche entfacht.

Schlecker wollte Angestellte entlassen und als billigere Leiharbeiter neu einstellen - das hat die Diskussion um die Branche entfacht.

(Foto: AP)

Es war ausgerechnet ein sozialdemokratischer Kanzler, Gerhard Schröder, der noch vor den Hartz-Reformen den Einsatz von Leiharbeitern einfacher machte. Die Idee war gut: Die Unternehmen sollten leichter Arbeitskräfte auf Zeit bei Auftragsspitzen einsetzen können. Zugleich war die Leiharbeit als Brücke für Arbeitslose gedacht, um so einen Job zu finden. Diese Funktionen erfüllt die Leiharbeit jedoch nur teilweise oder schlecht. Sicher, die Leiharbeit ist ein Jobmotor, gerade in dieser Zeit, in der es nach der Krise langsam wieder aufwärts geht. Neue Stellen gibt es zuerst in den Zeitarbeitsfirmen, weil die Unternehmen in diesen unsicheren Zeiten sich lieber von dort zunächst Arbeitskräfte ausleihen, als selbst eigene Arbeitnehmer einzustellen. Vieles deutet aber darauf hin, dass sich die Nutzungsform der Leiharbeit verändert. Was die Ausnahme sein sollte, droht zum Normalfall zu werden.

Noch ist der Anteil der Betriebe, die Leiharbeiter einkaufen, mit zwei bis drei Prozent äußerst gering. Aber ihr Anteil steigt deutlich, und mit ihm die Intensität der Nutzung: In jedem zehnten Entleihbetrieb stellen Leiharbeitskräfte bereits mehr als ein Fünftel der Belegschaft. In der Metall- und Elektroindustrie, die besonders stark Leiharbeiter einsetzt, ist bereits fast ein Viertel länger als zwölf Monate in einem Unternehmen beschäftigt. Das gibt es so nirgendwo in Europa.

Dies deutet darauf hin, dass die Entleihfirmen diese Form der Beschäftigung nicht mehr ausschließlich nutzen, um kurzfristig auf Schwankungen der Nachfrage zu reagieren. Leiharbeit dient inzwischen auch dazu, sich aus dem Kündigungsschutz herauszukaufen, die Arbeitsstandards zu reduzieren und die tariflichen Löhne zu reduzieren. Es gibt nicht nur den Fall Schlecker. Es gibt längst auch Unternehmen in der Gesundheits- oder Medienbranche, die junge Menschen ausbilden und ihnen danach sagen: "Wir haben für euch keine Anstellung, aber wenn ihr zu unserer Zeitarbeitsfirma geht, dann könnt ihr (zu niedrigeren Löhnen und mit weniger Urlaub) bei uns arbeiten."

Schluss mit der Zwei-Klassen-Gesellschaft von Arbeitnehmern

Auch die Hoffnung, schlecht Qualifizierten beim Sprung auf den regulären Arbeitsmarkt zu helfen, hat sich kaum erfüllt. Zwar war ein Großteil der Leiharbeiter vorher arbeitslos. Aber nicht einmal jeder zehnte von ihnen schafft es, außerhalb dieser Branche eine Anstellung zu finden. Wer einmal Leiharbeiter ist, muss sich oft wieder einen Job suchen oder mit einer dauerhaften "Zeitarbeitskarriere" begnügen. Und die ist hart: Im Schnitt sind Leiharbeiter nur drei Monate bei ihrer Verleihfirma beschäftigt. Sie sind häufiger krank. Mehr als zwei Drittel erhält einen Niedriglohn.

Einigung bei Metall-Tarifverhandlungen erzielt

Die Zwei-Klassen-Gesellschaft der Arbeitnehmer muss ein Ende haben. Die Leiharbeitsbranche braucht neue Spielregeln.

(Foto: ddp)

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen muss deshalb jetzt ein Kunststück vollbringen: Sie sollte einerseits die Leiharbeit als Beschäftigungsform am Leben lassen, weil ein Job besser ist, als zum Nichtstun verdammt zu sein. Andererseits muss sie, so wie sie es angekündigt hat, den Missbrauch bekämpfen. Die leichteste Übung dürfte dabei sein, den Mindestlohn in der Branche gegen den Willen der FDP durchzusetzen. Schwieriger wird es, faire Spielregeln für die Leiharbeit zu schaffen.

Man kann eine Höchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitern festlegen oder eine maximale Leiharbeiterquote für Unternehmen einführen. Beides hat Haken: Ist die Höchstdauer ausgereizt, kann der Betrieb einen anderen Leiharbeiter engagieren. Quoten wiederum können nur sinnvoll sein, wenn sie sich auch überwachen lassen und je nach Branche unterschiedlich sind. In vielen europäischen Ländern haben Leiharbeiter deshalb, zumindest nach einer gewissen Einarbeitungszeit, das Anrecht auf den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit. Dies würde die Leiharbeit auf jeden Fall teurer machen. Es könnte aber dazu beitragen, dass sie wieder vor allem genutzt wird, um den schwankenden Arbeitsanfall abzudecken. Es wäre ein Anreiz, für die Entleihbetriebe, die Mitarbeiter auf Zeit selbst zu übernehmen. Außerdem müsste der Staat weniger Geld ausgeben, um die kargen Löhne vieler Leiharbeiter mit Hartz-IV-Leistungen aufzustocken.

Die Bundesregierung sollte Schluss machen mit der Zwei-Klassen-Gesellschaft von Arbeitnehmern in Deutschland. Davon profitieren auch diejenigen, die noch zur Stammbelegschaft gehören und durch die Leiharbeiter unter Druck geraten. Für sie sind die Kollegen zweiter Klasse derzeit ein ständiger und falscher Vorwurf, zu teuer zu sein.

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