Studie zu Sexarbeit unter Studierenden:Studentenjob: Prostitutierte

"Kombination aus Geld und Spaß": Jeder vierte Student kann sich vorstellen, sein Studium durch Prostitution zu finanzieren. Studierende, die diesen Plan tatsächlich umsetzen, unterscheiden sich nur in einem Punkt deutlich von ihren Kommilitonen, ergab eine internationale Studie.

Jeder vierte Studierende kann sich vorstellen, Sex für Geld zu haben. Diesen seltenen Einblick in die bisher kaum beleuchtete Szene studentischer Prostitution gewährt eine auf Daten aus Berlin, Paris und Kiew basierende Studie des "Studienkolleggs zu Berlin". Demnach kann sich jeder vierte Studierende Sexarbeit wie Strippen, Escortservice oder klassische Prostitution als Job vorstellen. Das ist eines der Ergebnisse der Untersuchung mit dem Titel: "Nebenjob: Prostitution".

FKK Club in Pasing, 2011

Jeder vierte Studierende könnte sich vorstellen, sein Geld mit Prostitution zu verdienen, besagt eine internationale Studie.

(Foto: Robert Haas)

In Berlin, Paris und Kiew hat eine internationale Forschungsgruppe insgesamt rund 3600 Studentinnen und Studenten nach ihrer Einstellung zur Prostitution befragt. Der Schwerpunkt lag mit 3200 Befragten in Berlin. In der deutschen Hauptstadt kann sich sogar jeder dritte Student (Paris: 29,2 Prozent, Kiew 18,5 Prozent) vorstellen, in der Prostitution zu arbeiten. Tatsächlich aktiv im Rotlichtmilieu ist in Berlin jeder 27. Studierende (3,7 Prozent).

Die Untersuchung liefert Daten zu einem bisher eher wenig beachteten Bereich. "Das Thema kommt zwar immer wieder mal in den Medien vor. Aber wissenschaftliche Untersuchungen gibt es dazu kaum", sagt Felix Betzler, der zu der vierköpfigen Studiengruppe gehört, die mit vielen Studenten und Studentinnen über die Gründe für ihren Weg in die Prostitution, über ihre Probleme und die eigene Selbstwahrnehmung gesprochen hat.

Die Ergebnisse der Umfrage wirken teilweise überraschend. So sind Frauen und Männer in der Sexarbeit etwa in gleichem Maße vertreten. "Das hat uns auch überrascht, wir waren von einem höheren Frauenanteil ausgegangen", erklärte Betzler. Es zeige, dass "auch wir uns den Vorurteilen, mit denen das Thema Sexarbeit noch immer belastet ist, nicht ganz entziehen konnten". Charakterlich scheinen sich die Sexarbeiter kaum von ihren anderen Kommilitonen zu unterscheiden. Ein Persönlichkeitstest ergab bei Eigenschaften wie Offenheit, Verträglichkeit oder Gewissenhaftigkeit nur graduelle Unterschiede.

Die Gründe für die Sexarbeit sind vielfältig. Die betroffenen Studenten sind zu mehr als 30 Prozent verschuldet. In einer nicht in der Prostitution engagierten Vergleichsgruppe ist der Anteil der verschuldeten Studenten mit rund 18 Prozent deutlich geringer. Gleichzeitig erhalten nur etwa 50 Prozent der nebenberuflichen Sexarbeiter finanzielle Unterstützung aus ihrer Familie (Vergleichsgruppe: rund 65 Prozent).

Auf die Frage, welche Gründe für ihren Weg in die Prostitution wichtig waren, erhielt die mit Abstand höchste Zustimmung die Angabe "Höherer Stundenlohn". Ungefähr gleichauf dagegen lagen die Aussagen der Studentinnen und Studenten: "Finanzielle Notsituation", "Suche nach Abenteuern" und "Spaß am Sex". Die Forschungsgruppe fragte aber auch nach weiteren Motivationen. Während eine Studentin namens Nike darauf antwortete, sie "suche nach neuen Erfahrungen", sagte Sonia: Geld spiele für Prostituierte immer eine Rolle, "sonst müssten sie die Sexualität nicht im Puff ausleben". Ein männlicher Sexarbeiter gab als Motivation eine "Kombination aus Geld und Spaß" an.

Der Traum vom schnellen Geld

Fachleute einer Beratungsorganisation für Prostituierte, dagegen nannten als Gründe unter anderem "Illusionen, Erwartungen vom schnellen, großen Geld, Suche nach körperlicher Nähe und Neugier am Sex". An ihre Kunden kommen die Studierenden meistens über Kontaktbörsen im Internet. Nahezu gleichauf folgen persönliche Kontakte oder die Arbeit in Bordellen.

Die Studenten sind überwiegend in höheren Semestern und im Durchschnitt knapp 26 Jahre alt. Auffällig ist, dass mit 52,3 Prozent ähnlich viele in einer festen Beziehung leben wie andere Studenten auch.

Auffällige Unterschiede gibt es aber offenbar bei der sexuellen Orientierung der Studenten. So bezeichnen sich nur 49 Prozent der Sexarbeiter als heterosexuell (Vergleichsgruppe: 85,5). 13,3 Prozent (Vergleichsgruppe: 5,3) gaben dagegen an homosexuell zu sein, während sich 37,8 Prozent (Vergleichsgruppe: 8,9) als bisexuell bezeichneten.

Die Hoffnungen dieser Studierenden auf hohe Verdienste werden nur teilweise erfüllt. Nike etwa verdient zwischen 2000 bis zu 5000 Euro je Woche, andere Studentinnen liegen zwischen 50 und 300 Euro am Tag. Dafür bezahlen sie mit besonderen Belastungen: Stigmatisierung, Geschlechtskrankheiten, soziale Ausgrenzung und Probleme in der Partnerschaft führten jeweils rund 60 Prozent der Befragten an.

Gerade der Blick von Fremden auf Sexarbeiter ist den Studienergebnissen zufolge von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich. So haben in Berlin, Paris und Kiew zwischen 50 und 60 Prozent der Befragten Mitgefühl mit den Betroffenen oder Bestürzung empfunden. Unverständnis zeigten in Kiew mit gut 30 Prozent viel mehr Befragte als in Berlin und Paris, wo die Werte etwa bei 20 Prozent lagen. In Berlin reagierten weit mehr als 40 Prozent der befragten Studierenden auf das Thema mit Neugier, während in Paris fast 40 Prozent des Sexarbeitern Anerkennung zollten.

Die Untersuchung, die am Mittwoch in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorgestellt wird, bezieht sich ausschließlich auf Studierende. Die Situation von Zwangsprostituierten oder etwa notleidenden illegalen Immigranten wurde nicht erfasst. Das Studienkolleg zu Berlin ist eine gemeinsame Initiative der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Kooperation mit dem Wissenschaftskolleg zu Berlin und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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