Süddeutsche Zeitung

Studie:Unternehmen als Bildungsmotor

Aktuelle Untersuchungen zeigen: Die Angebote und das Interesse am Weiterlernen hängen auch von der lokalen Wirtschaftssituation ab. Welche Faktoren eine Rolle spielen.

Von Benjamin Haerdle

Dieser Slogan bleibt leicht hängen: Wo Preußen Sachsen küsst - so wirbt der brandenburgische Landkreis Elbe-Elster im Dreieck von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt für die Region und preist die heimische Metall- und Elektroindustrie, zahlreiche Schlösser und eine vielfältige Natur an. Dabei zeichnet die Region noch etwas anderes aus, was sie im bundesweiten Vergleich besonders macht: Nirgendwo sonst in Deutschland nutzen so viele Menschen die Möglichkeiten, sich beruflich weiterzubilden. Dies geht aus dem Deutschen Weiterbildungsatlas 2016 hervor, den das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) und die Bertelsmann-Stiftung unlängst vorgelegt haben. Demnach übertraf die Bevölkerung des Landkreises Elbe-Elster die von den Wissenschaftlern definierte Teilnahmeerwartung um mehr als das Doppelte. Die Wissenschaftler hatten für jede Kommune anhand des Bildungsstands der Bevölkerung, der Wirtschaftskraft und anderer Einflussfaktoren einen "Erwartungswert" errechnet. Je nachdem, wie groß die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen tatsächlich ist, wird dieser Wert unter- oder übertroffen.

Manche brauchen eine Beratung. Doch in manchen Regionen mangelt es an solchen Angeboten

Die Bildungsexperten analysierten für ihre Studie bundesweit in Kreisen und kreisfreien Städten, wie es um das Angebot von Weiterbildung und die Teilnahme der Bevölkerung an Kursen und Seminaren bestellt ist. Das Ergebnis: "Deutschland gleicht einem Flickenteppich", konstatiert Frank Frick, Programmdirektor Lernen fürs Leben bei der Bertelsmann-Stiftung. Die Angebote an Kursen und die Teilnahme seien bundesweit ungleich verteilt. Wie groß die regionalen Unterschiede sind, zeigt sich bei den Weiterbildungsquoten. So besucht etwa in der 150 000-Einwohner-Stadt Darmstadt in Hessen fast jeder vierte Bewohner jährlich eine Fortbildung, im brandenburgischen Landkreis Prignitz dagegen nur jeder 34. Bewohner. Die ungleiche regionale Verteilung von Weiterbildungsangeboten habe Folgen, sagt Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Damit werde die Chancengerechtigkeit beim beruflichen und sozialen Aufstieg eingeschränkt.

Die staatlichen Ausgaben im Bereich Weiterbildung sind stark zurückgegangen

Dort, wo sich zahlreiche Unternehmen angesiedelt haben, und die Wirtschaft brummt, sind die Einwohner und die Berufstätigen in Sachen Weiterlernen engagiert. "Die wirtschaftsstarken Regionen sind im Vorteil, weil Unternehmen das Geld haben, um Fortbildungsangebote anzubieten", sagt Frick. Zudem verdienten die Beschäftigten gut und könnten es sich leisten, Fortbildung zu finanzieren. Hinzu kommt, dass in diesen Regionen überdurchschnittlich viele Akademiker wohnten. "Diese Bevölkerungsgruppe ist sehr motiviert und hat in der Regel einen höheren Bildungsstand", berichtet Frick. Im Landkreis Starnberg etwa kann jeder dritte Bewohner eine Hochschulreife nachweisen, das ist deutlich mehr als anderswo in Deutschland. 15 Prozent haben einen Hochschulabschluss in der Tasche. "Erfolge, wie sie wirtschaftlich schwächere Landkreise wie Elbe-Elster oder auch der Landkreis Wunsiedel vorweisen, sind umso höher zu bewerten, weil sie sehr viel mehr aus ihren Möglichkeiten machen", sagt Frick.

Im bayerischen Landkreis Wunsiedel etwa liegt die Teilnahme der örtlichen Bevölkerung an Weiterbildungskursen mehr als 70 Prozent über dem zu erwartenden Wert. Statt einer anzunehmenden Teilnahmequote von 10,2 Prozent lag die tatsächliche Quote bei 18,2 Prozent. Dabei sind die Rahmenbedingungen ähnlich schwierig wie im Elbe-Elster-Kreis: Die Bevölkerung des Kreises gilt als überaltert, das Einkommen ist im Vergleich zu Bayern unterdurchschnittlich, der Anteil der Hochschulabsolventen gering. Für die höhere Teilnahme an der Weiterbildung machen die Autoren der Studie mehrere Gründe aus. Die Region im Fichtelgebirge hat schon mehrere wirtschaftliche Umwälzungen hinter sich: Die Porzellanindustrie brach zusammen, dafür erstarkte der Metallsektor. "Es liegt nahe, dass dieser Strukturwandel zum beruflichen Weiterbildungsbedarf beitrug", sagt Josef Schrader, Wissenschaftlicher Direktor am DIE. Dazu kommt der demografische Wandel. Da fast jeder zweite Bewohner über 50 Jahre alt ist, werden in der Region Altenpfleger gesucht. Das sorgt für eine starke Nachfrage nach Fortbildungen auf dem Gebiet der Gesundheit und der Pflege. Im Jahr 2012 ging deswegen in Marktredwitz eine Akademie für Pflege, Gesundheit und Soziales an den Start.

Damit viele Menschen an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, kommt es darauf an, dass Volkshochschulen, kirchliche Einrichtungen, private Bildungsanbieter, Kammern, Unternehmen und Kommunen kooperieren. "Der Bildungsbereich ist oft unübersichtlich und insbesondere in den Städten nur schwer überschaubar", sagt Erziehungswissenschaftler Schrader. Von mehr Transparenz profitieren vor allem weniger gut ausbildete Menschen. "Wer in der Schule oder während der Ausbildung schlechte Erfahrungen gemacht hat, den muss man oft beraten, welche Fortbildung zu ihm passen könnte", sagt er. Gebe es zum Beispiel Beratungsinitiativen zur Weiterbildung, erhöhten sich Teilnahmequoten.

Dort allerdings, wo Landstriche nahezu entleert, die Einkommen gering und kaum Wirtschaftsunternehmen angesiedelt sind, haben jene schlechte Karten, die sich wirklich weiterbilden möchten. Für private Anbieter rentieren sich diese Standorte kaum. In Regionen wie dem Elbe-Elster-Kreis sind die Menschen deswegen stärker auf die öffentliche Hand angewiesen.

Doch die staatlichen Ausgaben in die Weiterbildung sind deutlich rückläufig. Zwischen 1995 und 2012 fielen sie um 41 Prozent auf jährlich 6,1 Milliarden Euro, wie Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen voriges Jahr berechneten. "Das gefährdet vor allem die Weiterbildungschancen von Geringqualifizierten oder atypisch Beschäftigten, etwa in Teilzeit, Zeitarbeit oder Befristung, die nicht über ausreichend Geld verfügen", sagt Dieter Münk, Bildungswissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen und gemeinsam mit Marcel Walter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Berufs- und Weiterbildung der Uni Duisburg-Essen, einer der Autoren der Studie. Diese Menschen seien zusätzlich benachteiligt, da Arbeitgeber mit betrieblichen Angeboten eher in Festangestellte als in Teilzeit- und befristet Angestellte investierten. DIE-Wissenschaftler Schrader fordert deswegen in jenen strukturschwachen Regionen, die von kommerziellen Anbietern gemieden werden, höhere Investitionen des Staates. "Wenn man die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse aufrechterhalten will, kommt die öffentliche Hand nicht umhin, mehr in die Weiterbildung zu investieren."

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Quelle:
SZ vom 13.10.2016
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