Studie mit Personalern:"Das Erstellen von Arbeitszeugnissen ist zum sinnfreien Ritual mutiert"

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Selbst Profis wissen oft nicht mehr, was die Textbausteine im Arbeitszeugnis bedeuten sollen. (Foto: dpa-tmn)

Selbst in den Personalabteilungen versteht kaum noch jemand, was die Codes und Floskeln in Arbeitszeugnissen bedeuten. BWL-Professor Klaus Watzka fordert eine radikale Lösung.

Interview von Sarah Schmidt

Wann immer jemand den Arbeitgeber wechselt, kommt dieses Dokument ins Spiel: das Arbeitszeugnis. Und immer wieder rätseln die Mitarbeiter, ob nun gut oder schlecht ist, was da in verschwurbelten Floskeln steht. Schließlich liest man häufig von Geheimcodes, mit denen die Personalabteilungen vor aufmüpfigen Querulanten oder renitenten Faulpelzen warnen. Der Professor für Personalwirtschaft Klaus Watzka und die Forscherin Steffi Grau von der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena haben in einer Studie untersucht, ob denn zumindest diejenigen, die Zeugnisse schreiben und lesen, wissen, was sie da tun.

SZ: Arbeitszeugnisse sollen wahr und wohlwollend sein. Das klingt nett, dagegen kann man doch wenig sagen, oder?

Klaus Watzka: Diesen Grundsatz haben die Gerichte aufgestellt. Und das kann man durchaus kritisch hinterfragen. Was mache ich denn bei einem Mitarbeiter, der wirklich schlechte Leistung bringt? Ich behaupte: Wahrheit und Wohlwollen, das kann gar nicht zusammengehen. Dieses Paradox hat dazu geführt, dass die Bewertungen in Zeugnissen oft nur Sprechblasen sind, von denen man nie weiß, ob sie wahr oder frisiert sind.

Sie sind mit einer empirischen Studie der Frage nachgegangen, ob Arbeitszeugnisse noch Sinn machen. Das Ergebnis ist deutlich.

Unsere Analyse zeigt, dass das Erstellen von Arbeitszeugnissen zu einem sinnfreien Ritual mutiert ist. Der dürftige Aussagewert ist allen Beteiligten bewusst. Ich habe früher selbst in einer Personalabteilung gearbeitet und schon damals war man sich unter Kollegen einig: "Wir müssen das zwar machen, weil es im Gesetz steht, aber wirklich zielführend ist das Spiel nicht."

Auf der anderen Seite herrscht ganz viel Unsicherheit, was die Bedeutung von Formulierungen angeht. Das merke ich, wenn mich meine Studenten fragen, ob ich auf ein Praktikumszeugnis schauen kann. Es gibt unglaublich viele Ratgeber - gedruckt oder im Internet. Jeder weiß etwas zu dem Thema, aber jeder weiß etwas anderes.

Und das gilt nicht nur für diejenigen, die ein Zeugnis bekommen, sondern auch für die, die sich professionell damit auseinandersetzen, wie Ihre Studie zeigt.

Wir haben zwei getrennte Fragebögen konzipiert: Einen für diejenigen, die Arbeitszeugnisse erstellen, einen für diejenigen, die sich Bewerbungen anschauen. Wir wollten Dinge wissen wie: "Wie sicher fühlt ihr euch?" oder "Wurdet ihr für diese Aufgabe ausgebildet?", "Hat euch jemand beigebracht, wie so ein Zeugniscode funktioniert?" Uns hat interessiert, ob wir es in diesem Bereich mit Profis zu tun haben oder ob man sich da mehr schlecht als recht hindurch dilettiert.

Auf besonders viele Profis sind Sie nicht gestoßen.

Von einer systematischen Ausbildung kann jedenfalls nicht die Rede sein. Etwa die Hälfte der Befragten hat keinerlei Training bekommen, die haben sich irgendwie reingefuchst in die Materie. Ich finde das verheerend.

Fachwissen, Leistungsbereitschaft, Verhalten
:Knacken Sie den Arbeitszeugnis-Code?

Typische Formulierungen aus Arbeitszeugnissen: Finden Sie heraus, welche Note sich hinter der Bewertung verbirgt.

Sie haben sich aber nicht nur darauf verlassen, wie die Personaler ihre Kompetenz selbst eingeschätzt haben, sondern diese auch getestet.

Den Zeugnis-Erstellern haben wir mehrere Fälle vorgelegt, in denen ein Mitarbeiter ein schlechtes Leistungsverhalten an den Tag gelegt hat. Sie sollten dazu eine Zeugnispassage formulieren. Die Bandbreite der Antworten war immens. Wir haben kaum auch nur halbwegs deckungsgleiche Formulierungen bekommen.

Den Zeugnis-Lesern haben wir fünf typische Formulierungen vorgelegt und gefragt: Welcher Note entspricht das? Ein einziger von etwa 90 Befragten hat alle Noten korrekt zugeordnet.

Es gibt also keine einheitliche Zeugnissprache, die von allen Personalern verstanden wird?

Das wird zwar immer wieder behauptet. Aber nein, die gibt es definitiv nicht. Das gehört ins Reich der Sagen.

Gleichzeitig hat Ihre Untersuchung ergeben, dass Arbeitszeugnisse in der Bewerberauswahl gar keine besonders große Rolle spielen. Anschreiben und Lebenslauf sind viel wichtiger. Provokant formuliert: Ist es dann nicht egal, was im Zeugnis steht?

Einerseits ja, andererseits gibt es vielleicht doch noch Unternehmen, die sich das Zeugnis genau anschauen, allerdings oft auch nur selektiv, also etwa nur die zusammenfassende Leistungsaussage oder die Schlussformel lesen und dann womöglich falsche Schlüsse daraus ziehen. Und wir müssen auch sehen: Das Thema Arbeitszeugnis beschäftigt unsere Rechtsprechung - und das nicht zu knapp. Wenn Sie sich anschauen, mit welchen Fragen sich das Bundesarbeitsgericht befassen muss, dann schütteln Sie den Kopf. Will heißen: Der Unsinn kostet uns eine Menge Geld.

Also noch zusätzlich zu der Zeit, die das Schreiben, Verschicken und noch mal Ändern im Unternehmen in Anspruch nimmt.

Wobei sich da viele Unternehmen "rausmogeln" und einen Zeugnisgenerator anschaffen. Also eine Software, mit der man sich das Zeugnis aus fertigen Formulierungen zusammenklickt.

Macht sowas das Zeugnis nicht vielleicht sogar besser, wenn die Ersteller nicht geschult sind?

Nein, ich denke nicht. Das wäre vielleicht ein vernünftiger Ansatz, wenn die Personalabteilungen alle mit demselben Generator arbeiten würden - und dafür auch trainiert werden. Aber das ist leider nicht der Fall.

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"Er arbeitete mit größter Genauigkeit" bedeutet "Achtung, unflexibler Pedant". So knacken Sie die Floskeln in der Leistungsbeurteilung.

Was kann denn ein Mitarbeiter machen, der ein gutes Zeugnis haben möchte?

Wenn der Arbeitgeber Ihnen anbietet "Machen Sie doch mal einen Vorschlag", dann sollten Sie diese Gelegenheit beim Schopf ergreifen und dafür sorgen, dass Sie ein so gutes Zeugnis wie möglich ausgestellt bekommen. Wichtig ist, darauf zu achten, dass alle wichtigen, alle anspruchsvollen Aufgaben, die man hatte, auch wirklich drinstehen.

Der zweite Punkt - das werden die Arbeitgeber nicht gern hören - ist: Wenn Sie sich zu schlecht bewertet fühlen oder eine Formulierung für missverständlich halten, dann kämpfen Sie für eine Änderung! Denn das Zeugnis tragen Sie im Zweifel bis zur Rente in Ihren Unterlagen mit sich herum. Letztlich hat kein Arbeitgeber ein Interesse an einem Zeugnis-Prozess - daher wird dieser in der Regel klein beigeben und die Formulierung zu Gunsten des Mitarbeiters ändern.

Und so sinnfrei das Ganze auch sein mag - auf ein Zeugnis verzichten sollte man auf keinen Fall, oder?

Nein, wenn das in der Bewerbungsmappe fehlt, wird das immer zum Nachteil des Mitarbeiters ausgelegt. Da tauchen beim potenziellen neuen Arbeitgeber dann große Fragezeichen auf.

Trotzdem sprechen Sie von einem "unsinnigen Ritual" - was wäre denn Ihr Vorschlag?

Aus rationalen Aspekten würde ich das Arbeitszeugnis tatsächlich abschaffen. Wir haben nur ein Problem, das wir dann lösen müssen: Dem Mitarbeiter fehlt die Bescheinigung darüber, was er im Unternehmen über viele Jahre gemacht hat. Meine Favoritenlösung wäre, die Bewertungen zu streichen und das Arbeitszeugnis als sogenanntes einfaches Arbeitszeugnis auszustellen. In dem wird beschrieben: Was hat der Mitarbeiter gemacht? Welche Funktion hat er ausgeübt, mit welchen Tätigkeitsanteilen und wie lange? Das sind Informationen, die in der Personalauswahl tatsächlich wertvoll und wichtig sind.

Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Wenn es eine Zeugnissprache gäbe, bei der alle verstehen, was sie bedeutet - dann könnten wir doch auch gleich Klartext reden.

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