Studentenproteste in Deutschland:Hilfe von oben

Unterstützung für die protestierenden Studenten: Der Wissenschaftsrat räumt Mängel im Bildungssystem ein und auch Politiker springen den Studenten zur Seite.

Johann Osel

Während die Proteste an vielen deutschen Hochschulen zu Beginn dieser Woche andauern, können die Studenten auf die moralische Unterstützung bildungspolitischer Gremien zählen. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider, räumte handwerkliche Fehler bei der Einführung der Bachelor-Studiengänge ein.

Studentenproteste in Deutschland

Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität in München: Seit Mittwochabend besetzt.

(Foto: Foto: dpa)

Unterschiedliche Fächer seien bei der Bologna-Reform über einen Kamm geschoren worden, und der Schwerpunkt liege einseitig auf der Verkürzung der Studienzeit, sagte der Münchner Germanist dem Magazin Focus: "Während einige Geisteswissenschaften mehr Struktur vertragen können, bräuchten die Ingenieurfächer eher mehr Freiheiten." Gleichzeitig habe sich die finanzielle Ausstattung der Unis weiter verschlechtert.

Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel, zeigten sich angesichts der Proteste zum Dialog und zu raschem Handeln bereit.

Im Video: An deutschen Hochschulen braut sich was zusammen. In rund 20 Städten haben Studenten Hörsäle besetzt. Einige wurden schon geräumt, aber in Berlin wollen die Studenten durchhalten bis zum bundesweiten Protesttag am 17. November.

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Erstmals hatte Strohschneider nach den Bildungsstreiks im Juni in einem SZ-Interview Kritik an der Bologna-Umsetzung geäußert. "Jedenfalls läuft die Reform nicht so, dass man sagen kann: Super, so machen wir einfach weiter", sagte Strohschneider damals. Der Wissenschaftsrat berät Bund und Länder in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hochschulen.

Auch der Präsident der Kultusministerkonferenz, Henry Tesch (CDU), stellt sich rhetorisch an die Seite der Studenten: "Die konkreten Forderungen der Studierenden, die vor allem darauf gerichtet sind, die unmittelbaren Studienbedingungen zu verbessern, sind richtig", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister der Bild am Sonntag. Nun seien die Unis in der Pflicht, darauf einzugehen. Schavan (CDU) kündigte ein Gespräch mit den Wissenschaftsministern der Länder schon in den nächsten Tagen an. "Die Studenten haben ein Anrecht zu erfahren, was wir unternehmen, um die Lehre zu verbessern", sagte sie.

Ebenso äußerte die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel, Verständnis für "vernünftige Formen des Protests", warnte aber zugleich vor Frontalangriffen auf die Professorenschaft und "ideologisch gefärbten Thesen wie dem Vorwurf der Ökonomisierung der Hochschulen". Es gebe keinen Anlass, "die Bologna-Reform in Bausch und Bogen abzulehnen". Sehr wohl seien die Protestaktionen aber "ein deutlicher Indikator dafür, dass politisches Handeln gefordert ist".

Angestachelt durch die seit Wochen anhaltenden Hörsaal-Besetzungen in Österreich haben die deutschen Studenten zuletzt ihren Protest gegen schlechte Studienbedingungen nochmals deutlich ausgeweitet. Beteiligte sprechen davon, dass die Ereignisse die ursprünglichen Planungen überholt hätten. An Berliner Hochschulen und an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München übernachteten am Wochenende Hunderte Studenten im Audimax. Beispielsweise an den Unis Hamburg und Osnabrück hielten die Besetzungen am Wochenende an.

Bei einem Aktionstag am Dienstag wollen die Studenten in ganz Deutschland auf die Straße gehen. Bereits im Juni hatten sich Zehntausende Schüler und Studenten an einem bundesweiten "Bildungsstreik" beteiligt. Die Veranstalter sprachen sogar von mehr als 200.000 Teilnehmern, die bessere Unterrichts- und Studienbedingungen forderten.

Die Organisatoren hoffen nun, dass sich am Dienstag erneut Schüler an den Demos beteiligen werden. Wie groß die Veranstaltungen diesmal sein werden, ist allerdings schwer abzuschätzen. Die Hörsaalbesetzungen gingen teils nur von überschaubaren Gruppen aus, unter ihnen Aktive des linken Studentenverbands SDS und der Bildungsgewerkschaft GEW.

In vergangenen Jahren ebbten Proteste oft schnell wieder ab. Studentenvertreter beklagen, dass jüngere Kommilitonen oft glauben, sie könnten sich politische Aktionen wegen des Zeitverlusts im Studium nicht erlauben.

Neben den Studiengebühren sind die neu geschaffenen Verhältnisse durch die Bologna-Reform Knackpunkt der Proteste. Bei der großen Mehrheit der Studiengänge in Deutschland ist die Umstellung auf den sechssemestrigen Bachelor und den darauf aufbauenden Master bereits abgeschlossen. Viele Studenten klagen jedoch über große Probleme bei der Umsetzung.

Sie kritisieren, die Strukturen seien zu starr und verschult, die Arbeitsbelastung zu hoch. "Gestanzte Produkte einer globalen Wissensschmiede" nennt ein Kritiker etwa das Modell in seinem Blog: "Das Produkt Student wird nach Effizienzkriterien zugerichtet. Es muss wenig kosten und in kurzer Zeit fertiggestellt werden, um sich am Markt zu platzieren." Die Studenten bemängeln zudem die mangelnde Durchlässigkeit zwischen Bachelor und Master. Einen generellen Anspruch auf einen Master-Studienplatz gibt es nicht.

Auch das Herzstück von Bologna - die bessere Mobilität von Studenten im EU-Hochschulraum - ist offenbar noch nicht eingetreten. Wie kürzlich eine Studie der Bildungsgewerkschaft GEW moniert hat, gehen Bachelor-Studenten seltener ins Ausland als Studenten zu Zeiten von Diplom und Magister. Und dies sei mehr denn je vom Geldbeutel der Eltern abhängig: Akademikerkinder entschieden sich demnach mehr als doppelt so häufig für ein Auslandssemester wie Kinder von Nicht-Akademikern.

Die Erwartungen an den nun bevorstehenden Bildungsgipfel von Ministerin Schavan dürften also hoch sein. Sollte dieser nicht die erhofften Verbesserungen klar in Aussicht stellen, könnten nach dem Aktionstag am Dienstag neue Proteste anrollen.

Schon jetzt kündigten Studenten an, möglicherweise die nächste Tagung der Kultusministerkonferenz Anfang Dezember in Bonn zu blockieren.

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