Studentengefängnis:Bei "Unfleiß" ab in den Knast

Trunkenheit, nächtliches Lärmen: Früher kamen Studenten schnell in Karzerhaft. Die Uni Göttingen renoviert nun ihr historisches Studentengefängnis.

Eine Pritsche mit Strohsack, Tisch und Stuhl, in den Ecken Eimer-Toilette und Kohleofen. Komfortabel war der Karzer nicht. Das historische Studentengefängnis sei dennoch "ein einzigartiges Zeugnis der Hochschulgeschichte", sagt Doris Lemmermöhle, die Vizepräsidentin der Universität Göttingen. Der Grund sind die zahllosen Sprüche, Bilder und Karikaturen, die Studenten im 19. und frühen 20. Jahrhundert an Wänden und Decken hinterlassen haben. "Einen vergleichbaren Karzer gibt es in ganz Deutschland nicht mehr", sagt Lemmermöhle. Um die kostbaren Inschriften und Bilder zu erhalten, hat die Hochschule eine umfangreiche Sanierung eingeleitet.

"Anlässe für Karzerhaft gab es viele", sagt Robert Förster, der die Restaurierung für die Universität koordiniert. Untersagt waren öffentliche Trunkenheit, nächtliches Lärmen, Mitbringen von Hunden in die Vorlesungen, "ständiger Unfleiß", Schuldenmachen, Baden in der Leine oder Wandeln im Schlafrock auf den Straßen. "Wer ertappt wurde, musste zumeist drei oder vier Tagen ins Studentengefängnis."

In den acht kleinen Räumen in den oberen Etagen des Aulagebäudes waren viele der inhaftierten Sünder dann sehr kreativ. Sie griffen zu Öl- oder Wasserfarbe, Kreide, Bleistift oder Ruß. Und dann pinselten, kritzelten, zeichneten und tuschten sie Sprüche, Schattenrisse, Wappen ihrer Verbindungen und zum Teil ganze Landschaften oder Straßenansichten auf den Lehmputz der Wände und Decken."Wohl an die tausend sichtbare Werke sind erhalten", sagt Förster. "Alles zusammen ist ein einzigartiger Schatz", meint Kerstin Klein vom niedersächsischen Amt für Denkmalpflege. Wie viele weitere Inschriften und Bilder sich unter den sichtbaren Werken noch befinden, könne man nur ahnen.

Der kostbare Schatz drohte allerdings zu verfallen. Licht und Feuchtigkeit machten den kleinen Kunstwerken zu schaffen. An vielen Stellen fiel der Lehm bereits von den Wänden. Seit einigen Wochen sind jedoch Restauratoren dabei, den Putz zu festigen und die darüber liegenden Farbschichten zu konservieren. "Wir wollen den Zustand des Karzers erhalten, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts war", sagt Restauratorin Katharina Heilung. Bis Ende Mai wollen sie und ihre Mitstreiter mit der aus Spendengeldern finanzierten Sanierung fertig sein. Die Kosten für die Arbeiten betragen insgesamt etwa 80.000 Euro.

"Das Dasein im Karzer war für die Studenten ursprünglich nicht sehr angenehm", sagt Förster. "Später galt es dann aber als schick, einmal im Studentengefängnis gesessen zu haben." Manch ein Studiosus habe es ganz gezielt darauf angelegt, eingesperrt zu werden. "Dass der Karzer 1933 aufgelöst wurde, hatte dann auch weniger mit der Herrschaft der Nationalsozialisten zu tun, als mit dem geschwundenen Respekt der Studenten. Der Haftzettel war zuletzt nur noch ein begehrtes Erinnerungspapier."

Der wohl prominenteste Karzerhäftling in Göttingen war Otto von Bismarck. Der spätere Reichskanzler wurde 1833 mehrfach zu Arreststrafen verdonnert, wegen Rauchens auf der Straße und wegen der Teilnahme an Duellen. Beides war damals streng verboten. Bismarck verbüßte seinen Strafe allerdings nicht im Aulagebäude. Er saß im Vorgängerbau des Karzers. Und dieser, sagt Förster, sei leider nicht erhalten.

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